Das Hohe Lied des Liedermachers

Wie der Rockfeuilletonist sich in den Songwriter verliebte, Gott sah, ihm die Gefolgschaft verweigerte und sich vor allem auf sich selbst besann: Willi Winklers Dylan-Biografie „Bob Dylan. Ein Leben“ scheitert fast auf der ganzen Linie

Ist es der Singer oder ist es der Song? Und wenn, wessen Song? Rechtzeitig zum Trubel um Bob Dylans 60. Geburtstag am 24. Mai und zu seinem Oscar für „Things have changed“ hat auch Willi Winkler, Übersetzer, Zeit- und Spiegel-Redakteur, Ex-taz- und heute SZ-Autor und vieles andere mehr, endlich sein Dylan-Buch auf dem Markt: Das Hohe Lied des Liedermachers Nummer eins! In dem es am Ende aber leider vor allem um eins, respektive um einen geht: den Rockfeuilletonisten Willi Winkler. Mit all den Vor- und Nachteilen, die eine solche Herangehensweise an einen Populärmythos wie Bob Dylan zeitigen kann, darf und muss.

Zum Beispiel, was den Grundgag betrifft: Bob Dylan sei Gott, zumindest Jesus, jedenfalls keiner von uns. „Beim großen Vorgänger lautete der Vorwurf nicht weniger kleinlich (Mt 13,54 f.)“, heißt es da etwa über den bekanntlich als Robert Allen Zimmerman in Duluth geborenen Ex-Protestsänger: „ ‚Woher hat dieser Mann seine Weisheit, woher die Kraft, diese Werke zu tun? Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns?‘ “ Das ist, in der Tat, einmal ein Lacher, vielleicht auch zweimal. Dann aber hört der Spaß auf, klafft die Schere zwischen Fakt und Fiktion immer weiter auseinander, und weil das so ist, hat Gott Willi Winkler auch gleich in seinem eigenen Buch gestraft: „Hatte man nicht damals auch gelacht und IHn verspottet“, können wir da an einer Stelle lesen. „So blieben die Jünger zurückgeworfen auf die nächste Nachfolge, das Nachleben in SEinem Geiste“ an einer anderen.

„IHn“ und „SEinem“, mit doppelten Initiales majestates, das sieht aus, als könne da etwas nicht stimmen – und das ist denn auch auf den folgenden Seiten der Fall. Überwältigend zwar die geradezu sagenhafte Bestückung des handlichen Bändchens mit Unmengen ganz wunderbarer Fotos, durchaus gewinnbringend auch der durch und durch persönliche Ansatz: wie Willi Winkler einmal in der Provinz den Folkmythen und Rockmärchen aus dem fernen Amerika aufsaß, sich in den frühen Bob Dylan verliebte, seine in Deutschland im Herbst einst nicht nur von ihm schmerzlich vermisste innere Heimat in der Neuen Welt fand und sich eine Existenz mit allem Pipapo daraus zurechtzimmerte. Das alles in zuweilen hemmingway’sch auf den Punkt verdichteter Klarheit und Kraft. Aber dann kippt die Geschichte, beim Künstler selbst wie bei seinem Biografen: Dylan kommt, nach dem kometenhaften Aufstieg zum religiös verehrten Superstar, künstlerisch wie persönlich ins Schlingern, und Winkler verweigert die Gefolgschaft. Meckert sich durch die Siebziger, verachtet die Achtziger, heizt durch die Neunziger, als gelte es, Schumi zu schlagen. Verzapft Blödsinn wie „Keiner ist so erfolgreich gescheitert wie Bob Dylan“, nennt „Nashville Skyline“ in einem Atemzug mit „Self Portrait“ eine „mindere Platte“ und verliert mit Sätzen wie „vielleicht schadete ihm auch das gesunde, ausgeglichene Familienleben“ jegliche Relation.

Einerseits: Wie kann einer Gott sein, der seit 35 Jahren kaum noch etwas anderes macht als Mist? Andererseits: Kann es von irgendeinem Nachteil sein, seine Popularität in den Dienst eines Boxers wie Rubin „Hurricane“ Carter zu stellen, dem in einem rassistisch versaubeutelten Prozess offensichtlich sein Recht vorenthalten wurde – selbst wenn das Interesse an der guten Sache sich danach auch dreimal wieder in Nichts auflöst? Warum nicht für eine halbe Million drei Stücke beim Papst spielen, darunter mit „Knockin’ on Heaven’s Door“ immerhin die Erfolgshymne auf den berühmtesten Revolverhelden aller Zeiten, Billy the Kid? Warum nicht seine Songs den Mitarbeitern eines japanischen Security-Konzerns vorspielen, um damit mal eben im Vorbeigehen eine Million zu kassieren: Ist es verwerflich, mit seiner Arbeit Geld zu verdienen?

Eine gute Frage, zumal Willi Winkler selbst aus marktstrategischem Kalkül nicht minder in der Lage zu sein scheint, fünf Mal eben gerade sein zu lassen. Hauptsache, man ist rechtzeitig zum Oscar- und Geburtstagsgeschäft auf dem Markt. Oder wie sonst ist die Tatsache zu deuten, dass das Buch in den Regalen steht, bevor es eigentlich fertig ist?

„Bob Dylan hat sich, hoffe ich und hoffe ich ausführlich genug gesagt zu haben, gefangen“, schreibt Winkler verklausuliert im „Fade out“, doch hat er dies keineswegs plausibel gemacht im Buch zuvor. Und schlimmer noch als das, er hat Bob Dylans vielleicht größte Tat von allen nicht einer einzigen Erwähnung für wert befunden: seine mittlerweile auf eine Zahl zwischen 1.300 und 1.400 Konzerte angewachsene „Never Ending Tour“. In dieser manischen Rückbesinnung auf das ursprüngliche Geschäft des Musikers liegt ein Thema von mindestens ebenso epischer Breite wie im rasanten Aufstieg des kleinen Landeis zum Superstar, der einst das Musikgenre der Rockmusik auf die Ebene der literarischen Satisfaktionsfähigkeit hievte. Ein Thema, das Willi Winkler, ohne es überhaupt zu merken, verschenkt.

CHRISTIAN BECK

Willi Winkler: „Bob Dylan. Ein Leben“. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 206 Seiten, 49,80 DM