Kleines Glück, große Katastrophen

Zwei Wochen lang richtet das 3001 sein 2. Japanisches Filmfestival aus  ■ Von Tobias Nagl

Am Pissoir ist Takagi (Shinichi Tsutsumi) der King: Erst ein- dann freihändig steht der japanische Geschäftmann eine kleine Ewigkeit lang pinkelnd in der Toilette und lässt dabei seine Hüften verzückt zur Musik kreisen. Ein Moment des kleinen Glücks und zugleich ein ungeheuer lächerliches Bild. Zurück zur Form lässt sich nach dieser Geste männlicher Selbstvergewisserung in Monday kaum mehr finden. Im Gegenteil: Die Reise geht abwärts – dorthin, wo ein böser Gott die Geschicke krisengeplagter Männer lenkt und sich die Katastrophen nach dem Domino-Prinzip ereignen.

Eines Morgens erwacht Takagi angezogen in einem Hotelzimmer; der einzige Schlüssel zu den Ereignissen der letzten Tage scheint ein Briefchen mit rituellem Reinigungssalz. Auf einer Trauerfeier, erinnert er sich, muss alles seinen Anfang genommen haben. Beim Versuch, den explosiven Herzschrittmacher des Toten auszuschalten, sprengt er aus Versehen die Leiche. Später endet er in einer Yakuza-Bar und tötet im Suff den Boss beim unvorsichtigen Hantieren mit einer Schrotflinte. Nach einer Reihe weiterer, ähnlich blutiger „Vorfälle“ auf einer nicht enden wollendener Sauftour, findet sich Tagaki im Fernseher des Hotels wieder: Sein Unterschlupf, erzählt die Moderatorin einer Sondersendung, sei inzwischen zum Glück von Scharfschützen umstellt, er innerhalb weniger Tage zu „Japans most wanted“ geworden. Von da an überschlagen sich die Ereignisse, Zeitebenen geraten in Konflikt, und alles steuert auf einen furiosen, unerwarteten Showdown zu, dem sodann ein zweites Ende den Boden unter den Füßen entzieht. Was wie eine lakonisch zerfräste Falling Down-Version beginnt, gewinnt schnell die uhrwerkhafte Präzision und Stringenz einer kafkaesken Gegenwelt.

Ambitionierter hat kaum ein Regisseur sein böses Spiel mit den Genrekonventionen des Action-Kinos getrieben. Und weil dabei vom Timing bis zu den nervösen Nuancen seines Hauptdarstellers alles stimmt, kann sich der Film auf dem Weg zum klaustrophobisch-komödiantischen GAU selbst Ausflüge ins Musical-Fach erlauben, ohne eklektizistisch zu wirken.

Hinter dem Ausnahmefilm verbirgt sich ein Mann, den viele nach der Abwanderung Takeshi Kitanos für die vielleicht größte Hoffnung des zeitgenössischen japanischen Kinos halten: der Schauspieler und Regisseur Sabu. Und dafür gibt es gute Gründe: Dangan Runner und Postman Blues. Mit nur zwei Regiearbeiten hat er sich bereits in die Herzen aller Freunde des ostasiatischen Kinos katapultiert, dochMonday könnte zu seinem persönlichen Homerun werden, würde es in der Welt des Kinos so gerecht zugehen wie in der des Sports.

Da die Macher des 3001 ganz sicher zu den Gerechten gehören, präsentieren sie auf dem von ihnen nun zum zweiten Mal ausgerichteten Filmfestival gleich noch eine Sensation: den Dokumentarfilm Gaea Girls. Seine Macherinnen, Kim Longinotto und Jano Williams, haben unter anderem Transsexuelle und eine feministische Performance-Künsterlin in Tokio porträtiert, in Gaea Girls jedoch drehen sie ihr Interesse an Körperbildern und deren sexuellen Zuschreibungen um einige mächtige Spiralen weiter: Dieser Film tut weh und lässt einen noch einmal ganz grundsätzlich über das Verhältnis von Gewalt und Repräsentation grübeln. Gaea Girls verfolgt die junge Wrestlerin Takeuchi Saika in ein Trainingslager, in dem wir dann ohne Unterlass erleben, wie sie von ihrer Trainerin ins Gesicht geschlagen wird, sich blutüberströmt wierderaufrappelt, zur Sau gemacht wird, noch größere Qualen auf sich nimmt, wieder zu Boden geht, heult, weitertrainiert, wieder verspottet wird. Dennoch scheint zwischen den beiden ein so perverses Einverständnis zu herrschen wie jenes zwischen dem zugleich abgestoßenen und faszinierten Zuschauerauge und der Kamera.

Leichter zu ertragen ist da ganz sicher der zwar blutige, aber hemmungslos durchgeknallte Eröffnungsfilm Versus, in dem ein Strafgefangener auf der Flucht vor dem Gesetz, einem untoten Yakuza und anderen kriminellen Spinnern durch einen Zauberwald flüchtet, aber doch nur eines will: „Non-stop Freefall Ultra Violence Action Entertainment“, eine Form der Unterhaltung übrigens, für die auch Kensake Watanabes absurde Trash-Perle Die Geschichte von PuPu in Hülle und Fülle sorgt.

Von den sexuellen Verwicklungen in einer lesbisch-heterosexuellen Zweier-WG erzählt der Mädchenfilm Love/Juice, Taikan Sugas Blister gibt Einblicke in die Welt japanischer Anime-Freaks und Sla-cker, Freunde gut abgezirkelter Genrekost hingegen dürften beim melancholischen Yakuza-Thriller Chinpira und Fudoh von Audition-Schöpfer Takashi Miike (in der Gore-Night am 14.4.) auf ihre Kos-ten kommen.

Programm der ersten Woche: Eröffnung Do, 20.30 Uhr mit Versus (läuft auch Fr, 20.30 Uhr) und anschließender Party; Love/Juice: Sa + Mo, 20.30 Uhr; Ugetsu: So, 20.30 Uhr; Die Geschichte von PuPu: Di + 13.4., 20.30 Uhr; Blister: Mi + 17.4., 20.30 Uhr, alle 3001