Nazi-Pilgerstätten

Die Linke rüttelt am rechten Mythos, zeigt sich aber unschlüssig im Umgang mit dem Horst-Wessel-Grab

Der Nikolaifriedhof an der Prenzlauer Allee hat sich zur braunen Pilgerstätte entwickelt. Sogar im Internet wird Werbung für die Grabstätte des SA-Führers Horst Wessel betrieben, berichtet Julia Eckey, Grünen-Politikerin im Kreisverband Pankow. Und das, obwohl Wessels Grab sich nicht mehr lokalisieren lässt, einzig das Grab seines Vaters ist noch in Fragmenten erhalten.

Die Bündnisgrünen nahmen Wessels 71. Todestag am 23. Februar zum Anlass, durch eine Demonstration auf die braune Wallfahrerei aufmerksam zu machen. Am Donnerstagabend hielt man in einer öffentlichen Diskussion im Haus der Demokratie Nachlese.

Zur Diskussion geladen hatte Julia Eckey Vertreter vom „Förderverein Karl-Marx-Allee“, vom Zentrum Demokratische Kultur, dem zuständigen Polizeiabschnitt sowie die Jugendstadträtin in Pankow, Christine Keil (PDS). Unerwartet schnell waren alle sich einig, dass eine Einebnung des Grabs am Kern des Problems vorbeigehe. Die Jugendstadträtin gab zudem zu bedenken, dass der Einfluss der Politik auf die Gräberdebatte nur gering sei: Einebnungen von Nazigräbern seien Angelegenheit der Friedhofsverwaltung. Sie fügte hinzu, den Neonazis liege weniger an der Grabstätte selbst als an dem von ihr ausgehenden Provokationspotenzial.

Die Frage der Mythenbildung wurde unter den 50 Besuchern am heftigsten debattiert. Hat die Linke diese sogar selbst forciert? Eine Aktion von Autonomen zu Wessels Todestag im vergangenen Jahr hat die Mythensammlung erweitert: Nach nächtlichen Grabungen hatten sie verbreitet, Horst Wessels Schädel in der Spree versenkt zu haben. Und wie ist es zu bewerten, wenn die Linken zu jedem Nazi-Gedenktag zu einer Gegendemo aufrufen? Feiern sie dadurch indirekt mit? Viele Fragen wurden aufgeworfen, doch letztlich nicht beantwortet. LOTHAR GLAUCH