Akute Lebensverplemperei

Mühen belohnt: Katharina Hacker zeichnet im Roman Der Bademeister ein beeindruckend ereignislosen Leben nach  ■ Von Liv Heidbüchel

Wenn im Schwimmbad einer das Sagen hat, ist das wohl der Bademeister. Er entscheidet, wann der Sprungbrettturm aufmacht und dass Köpper vom Beckenrand grundsätzlich verboten sind. Ansonsten deutet er auf mit Merksätzen beschriftete Schilder und passt auf, dass keiner absäuft. Und vielleicht ist die Bezeichnung „Schwimmhallenkönig“ gar nicht mal so unzutreffend. So nennt nämlich der Hausmeister in Katharina Hackers Romandebüt Der Bademeister seinen Kollegen im Volksbad in Prenzlauer Berg. Nur ist das keinesfalls ein freundschaflticher Gestus: Unter den Angestellten gilt der Bademeister als stark beschränkt, wenn nicht gar verrückt.

Kaum verwunderlich, ist doch der Hausmeister ein schäbiger Charakter und zudem Liebhaber der durchtriebenen Verwalterin. Jahrzehntelang streicht sie das Gehalt eines potenziellen zweiten Bademeisters ein. Dessen Arbeitskraft wäre jedoch für Hackers Bademeister das sichere Aus. Lieber schiebt er die 14 Stunden täglich allein: Immer pünktlich, niemals krank, Feiertage eine Last.

Wer hier nun krankhafte Arbeitswut wittert, liegt allerdings falsch. Die kommenden Mittwoch vom Literaturzentrum geladene 33-jährige Katharina Hacker entblättert auf 200 fesselnden Seiten einen Lebensentwurf, der exemplarisch für eine unzählige Menge Arbeitnehmer steht: Jene nämlich, die offensichtlich unbeabsichtigt bis ins Grab stets das tun, was sie eigentlich nie tun wollten. Vor der Reue wegen Lebensverplemperei schützt nur Gewöhnung. So erscheint auch der Bademeister in erster Instanz als Arbeitstier und nicht als Mensch. Trotzdem ist das Schwimmbad sein Königreich: Hier kennt er sich aus und fühlt so etwas wie Geborgenheit.

Doch das Gebäude verfällt immer mehr, das Hallenbad ist nicht mehr rentabel – hier findet sich im Übrigen der reale Berliner Hintergrund für den Bademeister. Für Hugo bedeutet dieser Umstand den inakzeptablen Vorruhestand. Also verkriecht er sich nach drei Wochen ziellosen Umherstreifens schließlich im Schwimmbad. Seine Wohnung findet er bald versiegelt vor, doch keiner sucht ihn. Ungestört vegetiert er zwischen bröckelndem Putz und Spinnweben und erzählt sein Leben. Dienten die Mikrophone einstmals der Bespitzelung, spricht der Bademeister nun durch sie zu imaginären Zuhörern: „Ich habe nie viel gesprochen“, wiederholt er ständig. Mit unnötiger Verbosität ist er sicher niemandem jemals auf den Geist gegangen. Eigentümlich ist dieser Bademeister, das stimmt.

Hackers genial komponierter und vielgelobter Roman besteht aus einem einzigen, sehr dichten Monolog, der nicht an obsoletem Vokabular spart. Denn da spricht einer, der sein Sprachzentrum mühsam reaktivieren muss: „Verstehen Sie: es hat sich nie etwas ereignet, ich habe meinen Ehrgeiz dareingelegt, daß mein Leben ereignislos verläuft, und man kann sagen, es ist gelungen.“ Folglich beziehen sich auch die restlichen Verbindungen im Gehirn nach vierzig Jahren in immer gleichen Bahnen fast ausschließlich aufs Schwimmbad.

Querschwimmen war ja stets strengstens untersagt. Trotzdem entschlüpfen dem Bademeister neben den etlichen Wiederholungen immer wieder völlig unerwartet Informationen, die dieser tragischen Figur psychologische Tiefe und Glaubwürdigkeit verleihen: Da ist das schweigsame Zusammenleben mit der lockengewickelten Mutter und ein erst tyrannischer, später im Wohnzimmer erhängter Vater mit Nazivergangenheit.

Und auch im Hallenbad gab es Hinrichtungen. Die Geister dieser Toten kommen dem Bademeister gefährlich nahe: Immer mehr überlappen sich im allgemeinen Endzeitzustand die Stimmen der verdrängten Vergangenheit mit den Spuren der Badegäste, die der traurige Held so sehr zurückwünscht. Dieser verlorene, wunderliche Bademeister verdient nicht nur Mitgefühl, wenn er ganz ernsthaft Klebstoff für eine lose Kachel im Ab-rissgebäude kauft. Sondern auch dafür, dass er bezeichnenderweise an seinem siebten Tag im Schwimmbad schließlich eigenmächtig für sich das Becken flutet.

Mittwoch, 18. April, 20 Uhr, Literaturhaus