Flanieren zwischen arm und reich

■ Neu im Kino: „Marabus“ ist ein schöner Film. Nur schade, dass Regisseur Iosseliani einen Alki spielte und nicht den weisen Vogel

Ein junger Mann sitzt mit Pennern am Straßenrand und isst mit ihnen die auf einem Campingkocher erhitzte Dosensuppe. Ein Hubschrauber überfliegt die Straße, und er sagt ganz selbstverständlich, als wäre es das Normalste auf der Welt: „Das ist meine Mutter!“ Dies ist ein Schlüsselbild in Otar Iosselianis neuem Film „Marabus“: Er zeigt die ganz Armen und ganz Reichen – die einen schlafen unter Brücken, die anderen in Schlössern – und Nicolas, der zwischen beiden Welten nach Belieben wechselt. Das Leben mit seiner herrschsüchtigen Mutter ekelt ihn an; frühmorgens klettert er über die Mauer des feudalen Familiensitzes und fährt mit dem Boot nach Paris, wo er als Tellerwäscher oder Fensterputzer arbeitet – und wegen Unfähigkeit ständig gefeuert wird. Er sucht sich seine Freunde unter den Ärmsten. Dass diese genauso hartherzig und brutal sein können wie seine Mutter, merkt Nicolas erst zu spät, und so ist dies im Grunde eine traurige Geschichte voller Missverständnisse, in der jeder nun gerade das will, was er nicht haben kann.

Aber „Marabus“ ist alles andere als ein trauriger Film, sondern eher ein komödiantisches Sittenpanorama – sehr französisch, elegant, leicht, charmant. Fast vergisst man, dass Otar Iosseliani ja ein Filmemacher aus Georgien ist. Aber er hat schon mit „Günstlinge des Mondes“ und „Jagd auf Schmetterlinge“ bewiesen, dass seine Filme inzwischen mindestens so gallisch sind wie die von Rohmer oder Resnais.

Sich überschneidende Handlungsstränge, ein scheinbar zufälliges Beziehungsgeflecht, ein eher beiläufig entwickelter Plot, der auch als Parabel zu verstehen ist, und ein sehr kultivierter, anarchistischer Humor – das sind die Bestandteile eines Iosseliani-Films. Die Geschichte erzählt er eher beiläufig, viel lieber lässt er seinen Film durch Paris flanieren, und man folgt ihm gerne dabei, bevölkert er doch seinen Mikrokosmos durchweg mit eigenwilligen, amüsanten Menschen. Fast alle sind Filous: Sie lügen, sind eitel, egoistisch und dennoch liebenswert.

Er selber spielt Nicolas' Vater, einen sanftmütigen Alkoholiker, der von seiner Frau scheinbar völlig kontrolliert wird, bis er des Nachts in eine schöne, weinhaltige Utopie entschwindet. Solch ein märchenhaftes Ende gönnt Iosseliani aber Nicolas nicht. Wie einst bei Flaubert führt seine „Education sentimentale“ in die gefühlsmäßige Versteinerung. Aber auch das zeigt Iosseliani eher melancholisch als melodramatisch. Ach ja, einen Marabu gibt es auch im Film. Als Haustier der Schlossbewohner wirkt er wie ein alter, skurriler Weiser und ist wohl ein Art Selbstporträt des Filmemachers.

Wilfried Hippen

bis Dienstag, 18 Uhr im Kino 46 als OmU