Geld her oder zeugen

Immer mehr Politiker wollen die Deutschen vom Kinderkriegen überzeugen. Die Singles werden zu Hassfiguren. Dabei finanzieren die schon jetzt den Nachwuchs anderer Leute

Das anachronistische Ehegattensplitting muss abgeschafft werden, um mit dem Geld Kinder zu fördern

Wer Kinder hat, das wissen hierzulande alle Eltern, gehört zur benachteiligsten Bevölkerungsgruppe der Republik. Während kinderlose Singles schon mit 20 Jahren dreimal jährlich in die Karibik düsen, mit 30 das zweite Haus bauen und mit 40 auf ihren Geldsäcken den Ruhestand genießen, reimt sich, sagen die Experten, auf Kinderfreud’ heute Offenbarungseid. Der Staat lässt also ausgerechnet jene im Stich, die dafür sorgen, dass auch in Zukunft jemand Steuern bezahlt und uns allen im Alter Rente und Pflege angedeihen lässt.

Allerdings lassen nicht alle die Mamas und die Papas im Regen stehen. Auch Kinder haben wieder eine Lobby. Vor allem die Politiker, die demnächst für die Union als Kanzlerkandidat antreten wollen, überbieten sich wie auf einer Auktion, seit nicht mehr Theo Waigel (CSU) seinen Kopf für den Bundeshaushalt hinhält, sondern Hans Eichel (SPD). Also forderte Edmund Stoiber, Eltern für jedes Kind 1.000 Mark zu schenken, monatlich, drei Jahre lang. Welcher Politiker bietet mehr? Nachdem wieder einmal das Bundesverfassungsgericht eine Benachteiligung von Eltern festzustellen glaubte (diesmal bei der Pflegeversicherung), traute sich auch Angela Merkel aus der Deckung. Sie übertraf ihren internen Konkurrenten um 200 und forderte 1.200 Mark. Zum Ersten, zum Zweiten und zum ...

Mehr Geld für Kinder muss also ausgegeben werden, heißt es, und zahlen sollen die anderen. Geld her oder zeugen – wenn sich die neuen Kinderlobbyisten durchsetzen, wird das bald die Alternative sein. Aber sind Eltern tatsächlich benachteiligt? Und haben sie ein Recht, mehr Geld von den Kinderlosen zu fordern? Nehmen wir eine klassische Familie, in der die Erwachsenen zwei Kinder geschaffen haben, um die (und den Haushalt) sich Mama kümmert und er monatlich, sagen wir, 5.000 Mark brutto verdient. Dagegen stellen wir einen Single, dem sein Chef ebenfalls 5.000 Mark versprochen hat. Der Single, der zur biologischen Regeneration nichts beiträgt, kann also das Geld für sich allein verprassen, während es sich in der Familie vier Menschen teilen müssen. Daraus wird die Forderung nach einem Familiengehalt generiert. Es ist längst Realität: Die Familie bezahlt in Steuerklasse 3 bei zwei vollen Kinderfreibeträgen 380 Mark Lohnsteuer, hat ein netter Mitarbeiter der Oberfinanzdirektion Berlin für die taz-LeserInnen errechnet. Der Single muss monatlich 533,50 Mark mehr abliefern. Außerdem bezahlt er 45 Mark mehr Solidarbeitrag und (in Berlin) 73 Mark mehr (evangelische) Kirchensteuer. Macht zusammen 651,50 Mark. Dazu gibt’s zweimal Kindergeld, zurzeit 270 Mark. Damit erhöht sich das „Familiengehalt“ vom Staat auf 1.192 Mark.

Zudem spendiert dieser noch ein Erziehungsgeld von 600 Mark pro Kind in den ersten beiden Lebensjahren (oder von 900 Mark bei einjähriger Berufspause), das von einigen Bundesländern ein weiteres halbes oder ganzes Jahr verlängert wird. Bei geschickter Familienplanung macht das bei unserer Modellfamilie mindestens vier Jahre weitere 600 Mark. Familiengehalt damit 1.792 Mark, netto!

Und der Staat investiert noch mehr: Wenn Eltern bauen, kostet die Kinderkomponente bei der Eigenheimzulage fast sechs Milliarden Mark; Ausbildungs-, Haushalts- und Unterhaltsfreibeträge verlagern ebenfalls Geld von kinderlosen Singles zu Eltern. Kein Kinderloser hat sich darüber bisher beklagt. Alles selbstverständlich. Auch den „Familienrabatt“ bei der Krankenkasse gibt es schon längst. Kinder sind bei berufstätigen Eltern in einer gesetzlichen Krankenkasse kostenlos mitversichert, ebenso ein erziehendes Elternteil, wenn es sich ausschließlich Haushalt und Erziehung widmet – noch immer die Regel bei deutschen Eltern. Kinderlose zeigen sich auch hier über ihre Beiträge solidarisch, ohne das an die große Glocke zu hängen.

Auch wer weniger verdient als unser „Musterpaar“, wird mit Kind nicht allein gelassen. Auf dem Sozialamt um Almosen zu betteln, ist oft alles andere als angenehm, aber Sozialhilfe, Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und andere (finanzielle) Erziehungshilfen bezahlen in einer solidarischen Gemeinschaft auch Kinderlose. Auch dagegen hatte kein Single bisher etwas einzuwenden. Darüber hinaus erdulden Kinderlose überwiegend klaglos, dass sie im November in Urlaub fahren müssen, weil in der schönsten Ferienzeit Eltern Vorrang haben. Im Spätherbst ist der Urlaub zwar billiger als im August, aber es ist auch ganz schön kalt in Mitteleuropa. Wenn berufstätige Eltern zu Hause bleiben müssen, weil ein Kind krank ist, arbeiten die am Arbeitsplatz verbliebenen KollegInnen zusätzlich. Und wer übernimmt die Schichtdienste zu Heiligabend oder an Silvester?

Kinderlose leisten durchaus ihren Beitrag in der Solidargemeinschaft. Volker Stern, Leiter der Abteilung Steuern des Karl-Bräuer-Instituts (Bund der Steuerzahler), hat wenig Verständnis für das Jammern der Eltern. Seine im vergangenen Jahr erschienene Studie zur Steuer-und-Abgabenbelastung weist nach, dass Familien mit Kindern in den letzten Jahren „immer stärker entlastet worden sind, Singles dagegen immer mehr belastet“. Für eine durchschnittliche deutsche Familie ist also das „Familieneinkommen“ längst verwirklicht.

Wo also liegt die Gerechtigkeit? Kinder sind sehr wohl eine Sache der Gesellschaft, wenn es darum geht, sie zu schützen. Und die Gesellschaft ist aufgerufen zu helfen, wenn beispielsweise wirklich allein Erziehende oder andere sozial Schwache nicht in der Lage sind, ihren und des Kindes Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten.

Familien mit Kindern werden seit Jahren immer mehr entlastet, Singles dagegen immer mehr belastet

Kinder dürfen, ja sollen von der Gesellschaft unterstützt werden. Aber wie viel für Kinder zu geben die Gesellschaft bereit ist, diese Frage müssen auch Kinderlose beantworten, die nun plötzlich fremde Rechnungen begleichen sollen. Das ist nicht gerecht. Denn Kinderlose profitieren mitnichten vom Nachwuchs anderer Leute. Wer Kinder liebt, darf sich aber fragen, ob es bald einmal Eltern geben soll, die Kinder gebären, um finanziell aus dem Schneider zu kommen. Solche Eltern kann sich niemand wünschen. Wer Kinder zeugt, sollte sich vorher auch die Frage gestellt haben, ob die Bereitschaft vorhanden ist, etwas vom bisherigen Leben gegen den Gewinn einzutauschen, den ein Kind einbringt. „Ich will alles!“ Dieser Wunsch ist legitim. Ihn zu erfüllen, ist aber nicht Sache des Staates und schon gar nicht die einer Teilgruppe, in diesem Fall der Kinderlosen. Nur in einem Bereich sichern sich manche Kinderlose einen ungerechtfertigten Vorteil: beim Ehegattensplitting.

Diese anachronistische Regelung abzuschaffen würde nicht nur die Neigung zum traditionellen Familienmodell schmälern, sondern schüfe Raum für mehr wirkliche Kinderförderung, in erster Linie für mehr Ganztageskindergärten. Aber gerade hier tun sich die selbstlosen Förderer des deutschen Kindes entlarvend schwer – kinderlose mehrfach Verheiratete im Bundeskabinett ebenso wie Politiker von Parteien mit dem C im Namen.

PETER KÖPF