Komm nach Hause, arbeiten

Die Übergänge zwischen Großraumbüro und After-Work-Club sind fließend: Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende der DDR soll in Prenzlauer Berg mit dem Multimediazentrum Backfabrik.de ein postsozialistisches Freizeit- und Arbeitskollektiv entstehen

von JANA SITTNICK

Bis die Medienarbeiter kommen, soll es so schön sein wie daheim. Am besten noch schöner. Dann sind die Medienarbeiter nämlich lieber auf der Arbeit als zu Haus. Können mehr leisten, haben Spaß dabei, fühlen sich geliebt und gebraucht.

Die Bauherren der „Backfabrik.de“ am Fuß des Prenzlauer Bergs wollen „das größte Multimediazentrum in der kreativen Mitte von Berlin“ errichten, auf einem Zehntausend-Quadratmeter-Fabrikareal an der Saarbrücker Straße. Hagen M. Bartels und seine Unternehmensgruppe „Real-Estate Merger & Management“ (R.E.M.M.) gehören zu den größten Privateigentümern von Liegenschaften im Prenzlauer Berg. Auf dem seit drei Jahren brachliegenden Gelände schaffen sie nun „Hightech-Arbeitsplätze“ für die IT- und New-Media-Branche: Software- und Telekommunikationsfirmen, Multimedia-, Werbe- und Castingagenturen, Filmproduktionsbüros und Verlage sollen hier ab Mai dieses Jahres einziehen.

„Wir wollen da sein, wo die Leute gern hingehen“, sagt Sibylle Gernhardt mit leuchtenden Augen. Die Pressesprecherin der „Backfabrik.de“ glaubt an Prenzlauer Berg. Der Stadtteil besitzt allem Anschein nach immer noch Sogkraft, trotz des Prozesses fortschreitender Yuppisierung. Frau Gernhardt würde selbst gern hier wohnen, aber mit drei kleinen Kindern bevorzugt sie den grünen Stadtrand.

Noch ist die „Backfabrik.de“ eine Baustelle mit Musterbüro, Pressemappe und viel versprechender Topografie an der Saarbrücker Straße, Ecke Prenzlauer Allee. Von hier aus blickt man auf einen alten Friedhof, links hinauf nach Prenzlauer Berg, rechts hinab zum Alexanderplatz. Den Hackeschen Markt erreicht man zu Fuß, Wasserturm und Kollwitzplatz auch, die Verkehrsanbindung mit S- , U- und Straßenbahn ist optimal.

Im November 2000 tat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse den ersten Spatenstich. Die Sanierung der Fabrikgebäude aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert soll im Herbst 2001 abgeschlossen sein, der Neubau im „historischen Stil“ zum Ende nächsten Jahres. Große Bürohallen oder kleine Loft-Offices können für einen Preis zwischen fündundzwanzig bis zweiunddreißig Mark pro Quadratmeter gemietet werden.

In einer der sechs Meter hohen, tausend Quadratmeter umfassenden Produktionshallen stehen noch so genannte Backstraßen, auf denen Brot und Brötchen in industrieller Fertigung entstanden. Baumüll liegt auf dem Boden, Kabel hängen von der durch Emporen gestützten Decke. Die Wände sind mit beigegelben Kacheln aus den Zwanzigerjahren verkleidet. Es ist ruhig wie auf einem Friedhof. Die großflächigen Räume liegen da, ungenutzt, funktionslos und märchenhaft. Nur ein paar Überreste erinnern wie Requisiten an ihre Geschichte.

Mehr als achtzig Jahre wurde in der Fabrik produziert. Die „Aschinger AG“, Großhersteller für Back-, Wurst- und Feinkostwaren, ließ den U-förmigen, fünfstöckigen Gebäudekomplex 1912 erbauen. Die Gebrüder Aschinger, die 1892 ihre erste „Bierschwemme“ eröffnet hatten und in den folgenden Jahren die Berliner Innenstadt mit ihren billigen Schnellesslokalen netzartig überzogen, lieferten nicht nur die Lebensmittel, sondern versorgten von der Saarbrücker Straße aus auch die eigenen Lokale mit Tischwäsche, Besteck und Möbeln.

Aschingers beschäftigten bevorzugt ledige Arbeiter und Arbeiterinnen vom Land, die auf dem Werksgelände wohnten und verpflegt wurden. Sie waren mobil, rund um die Uhr einsetzbar und sozial kaum verankert. Sie wurden „ganzheitlich betreut“, im Zeichen der Gewinnmaximierung.

Gewinnmaximierung findet heute allerdings in einem höheren Sinnzusammenhang statt. Im ehrgeizigen Projekt „Backfabrik.de“ sollen die Bereiche „Arbeit“ und „Freizeit“ in unmittelbarer Beziehung stehen, der digitale Arbeiter kann bei Bedarf zwischen ihnen hin und her „switchen“, ohne lästige Wege zurückzulegen, die ihm die Trennung der beiden Welten bewusst machten. Praktisch sieht das in der geplanten „Backfabrik.de“ so aus: Neben den „lichtdurchfluteten Loft-Büros“ installieren sich diverse Dienstleister, Friseur, Schuster, Änderungsschneiderei, „Tante-Emma-Laden“, Anwalt, Steuerberater. Zum „Lunch“ geht man hinunter in eines der schicken Pasta-Restaurants, oder man lässt sich die Verspannungen im Rücken wegmassieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Aschingers Großbäckerei enteignet und in den „Volkseigenen Betrieb Backwarenkombinat Berlin“ (Bako) umbenannt. Der Sozialismus gedachte bald zu siegen, und die Bako-Schrippen, damals sagte noch niemand „Brötchen“, waren sehr gefragt. Dafür stellte sich am Sonnabendmorgen sogar der Vati beim Konsum an. Wer eine Patenbrigade bei Bako hatte, konnte von Glück reden – und ging am „Tag der offenen Tür“ mit der Schulklasse in die Saarbrücker Straße, um sich von den Errungenschaften der Werktätigen erzählen zu lassen. Die Bako-Arbeiter saßen mit weißen Kitteln und Haarnetzen da und guckten auf ihre Hände, während der Parteisekretär von der Notwendigkeit des „antifaschistischen Schutzwalls“ sprach. Danach aß man Kuchen, Torten und Eis, so viel man wollte.

1990 wurde Bako abgewickelt, die „Treuhand“ verkaufte den Betrieb an den Westberliner Großbäcker Horst Schiesser. Der wollte ursprünglich alle DDR-Betriebe aufkaufen, wohl in einer Laune unternehmerischen Pioniergeistes. Schiesser machte aus „Bako“ die „City-Back“ und entließ einhundert Mitarbeiter. Sieben Jahre später war er bankrott. Zweihundertfünfzig Angestellte warteten, bevor sie in die Arbeitslosigkeit gingen, auf drei Monatsgehälter. Seit drei Jahren liegt die Fabrik still. Es kam und ging die Off-Kultur: „Cookies“, das „Casino“ und das „VEKKS Theater“ feierten in den verlassenen Industrial-Hallen ihre Partys.

„Come home to work“ lautet der Slogan auf dem Umschlag der dunkelblauen Pressemappe der „Backfabrik.de“. Die Mitarbeiter der New Economy, so Bauherr Bartels, könnten angesichts des Kampfes um Fachkräfte „sehr wählerisch sein in Bezug auf die Standorte ihrer Unternehmen“. Und um an vorderster Gewinnfront mitzuspielen, arbeitet er mit den Architekten Cornils Bartels, Gerald Tritscher und Ex-Aldo-Rossi-Partner Marc Kocher an der Maximalverschönerung des „Standortes“.

In der DDR gab es den Wettbewerb um die „Goldene Hausnummer“. Wenn am Samstagvormittag das sozialistische Mieterkollektiv des Marzahner Wohnhauses „Subbotnik“ in seiner Freizeit einen unentgeltlichen Arbeitseinsatz machte, kamen sich alle Beteiligten ein Stück näher, säuberten das Treppenhaus und die Grünanlagen. Ein jeder fühlte sich gut aufgehoben in der Gruppe, und niemand fehlte ohne triftigen Grund.

Die „Backfabrik“ hätte schon jetzt, kurz vor ihrer Eröffnung, eine „Goldene Hausnummer“ verdient. Ist das Planziel doch hier die Realisierung eines Arbeitsplatzes, der nahtlos in den Freizeitbereich übergeht. Bars, Shops, Restaurants und Clubs werden auf dem Firmengelände untergebracht. Nach getaner Arbeit kann man Pasta oder Sushi essen, Caipirinha trinken oder im hauseigenen After-Work-Club tanzen. Bald schon sitzt das postsozialistische Kollektiv aus glücklichen Werbern und Software-Entwicklern in den Pausen oder am Wochenende auf der Piazza im Innenhof, bei Latte Macchiato und Croissant, und schaut in die Wasserspiele der Springbrunnen.