jungschriftsteller, knieverletzungen etc.
: Die Chaussee der Enthusiasten lud zur Party

Scheitern mit Familie Juckel

Junge Menschen funktionieren nach dem Vereinnahme-Prinzip. Sie gehen an vernachlässigte Orte. Dorthin, wo andere früher tagsüber ihre Post hinbrachten, Geld lagerten oder Wurst und Strickmode einkauften. Nachts reden, rauchen und trinken hier dann junge Menschen.

Ein weiterer Ort, den jugendliche Subkulturen jetzt kurzzeitig in ihren Besitz bringen konnten, ist das Altdeutsche Ballhaus in der Ackerstraße in Mitte. Üblicherweise ist hier zweimal die Woche Tanz. Das ist schon seit vielen Jahrhunderten so. Die angestammten Besucher kommen in eleganter Garderobe. Der Fairness halber gilt unter den Tanzenden stets mehrmals am Abend Damenwahl. Und ebenso entspricht es der Tradition, dass sich alle weiblichen Mitglieder der Betreiberfamilie Juckel um die Versorgung der Gäste mit Getränken kümmern.

Am vergangenen Freitag veranstaltete allerdings die Friedrichshainer Lesegruppe „Chaussee der Enthusiasten“ im Altdeutschen Ballhaus eine „Brillenschlangenparty“. Das ist ein schöner Name für ein Abendprogramm. Leider hatte er nichts zu bedeuten, außer dass die jungen Autoren am Freitag auch Ausgaben einer gleichnamige Zeitschrift verkauften. Ihr Fanpublikum strömte trotzdem herein. Eigentlich sind Jeanshosen im Altdeutschen Ballhaus nicht erlaubt. Aber unter Studenten gilt es oft als Zeichen von Freiheit, sich nicht an Kleiderordnungen zu halten.

Familie Juckel hatte dagegen wie immer einladende, mit Mohnblumen bedruckte Tischdecken auf die Tische gelegt. Das verlässliche Garderobenpersonal nahm an diesem Abend ungewohnt viele Daunenjacken entgegen. Zur Einleitung des Programms erzählten schließlich zwei Mitglieder der „Chaussee der Enthusiasten“, dass sie krank seien. Einer wurde gerade von seiner Freundin verlassen, der andere sogar von seiner Exfreundin.

Nacheinander las dann die gesamte Lesegruppe sympathische Geschichten vor. Diese handelten von weiterem alltäglichen Versagen. Mal scheiterte der jeweilige Vorleser als Arbeitsloser, mal als studentischer Hospitant in einer Brandenburger Gesamtschule, dann als Kunde beim Friseur. Zwischen den Texten wurde das Publikum mehrmals dazu angehalten, nicht die Aschenbecher durch den Raum zu werfen.

Vor dem Auftritt hatte ein Fernsehteam der Deutschen Welle die Autoren noch gefragt, ob sie Vorbilder hätten, zum Beispiel Bertolt Brecht. Eigentlich sollten an diesem Abend auch die Pop Tarts spielen. Leider hatte sich die berühmte Berliner Mädchenband am Knie verletzt und sagte ab. Stattdessen sangen die Autoren der „Brillenschlange“ später ihre eigene Version von Punkrock. Die Lieder trugen Titel wie „Überall Feinde“ oder „Das Grau“. Und der sonst eher stille Schriftsteller Jochen Schmidt schrie sehr laut ins Mikrofon: „I’m a rocker“.

An dieser Stelle packte das Kamerateam der Deutschen Welle seine Ausrüstung zusammen und ging. Auch andere Besucher lächelten ängstlich. Eine der vielen Juckel-Frauen sagte: „Das ist die letzte Party hier gewesen.“ KIRSTEN KÜPPERS