Zeit der Zärtlichkeit

Wo die liebe Seele ruht: Der Trend zum Akustischen findet immer mehr Freunde. Einige Betrachtungen zur Deutschlandtour der Turin Brakes

von GERRIT BARTELS

„Ihr seid super“, schallt es laut aus dem vollen, stickigen Saal des Berliner Clubs Maria am Ostbahnhof, als der Gitarrist und Sänger von Komëit um Nachsicht für gewisse Ungereimtheiten bei Spiel und Auftritt bittet. Ihn und seine Partnerin an den Keyboards hätte erst nachmittags die Anfrage erreicht, diesen Abend für Kings of Convenience als Vorband der Turin Brakes einzuspringen, dementsprechend unvorbereitet seien sie.

Passender aber konnte tatsächlich kein Ersatz sein. Denn wie für die aus Bergen in Norwegen stammenden Kings of Convenience, die wegen Krankheit und einem Todesfall im Freundeskreis abgesagt haben, gilt für die zart, zerbrechlich und reichlich verinnerlicht klingende Musik der Berliner Band Komëit: Quiet Is The New Loud.

So haben die Kings of Convenience ihr Debütalbum genannt, einfach, weil es gut klang und bestens passte zu ihren stillen, leichten, zurückgenommenen Songs. Ohne zu ahnen aber, dass sie damit das Bekenntnis zur Stunde abgegeben, den Hype zur Zeit geschaffen hatten. Laut ist das neue Leise. Sensibilität ist der neue Glamour. Und der Song an sich, handgefertigt und live oft nur mit akustischen Gitarren vorgetragen, ist der neue Star des Pop. Nicht nur in Norwegen: Auch deutsche Bands wie Komëit, Contriva oder Britta, isländische wie Sigur Ros und nicht zuletzt britische wie I Am Kloot, Elbow, Starsailor oder Turin Brakes verstärken den Eindruck, dass der britische NME Anfang des Jahres nicht nur wie gewohnt zwecks Auflagensteigerung die Trommel rührte, sondern gar nicht falsch lag, als er sich für die vielen neuen, leisen, lauten Bands den Begriff „New Acoustic Movement“ ausdachte.

Das gab es selbstverständlich schon früher – man denke nur an den Neofolk oder Softcore Anfang der Neunziger, an Helden und Heldinnen wie Penelope Houston, Sonja Hunter, Terry Lee Hale oder X-Tal. Doch insbesondere in England zeichnet sich seit zwei, drei Jahren ein Paradigmenwechsel ab: Der Lad vom Schlage eines Robbie Willams oder Noel Gallagher hat ausgedient. Eher unauffällige Ecken- und Rumsteher und schlaue Sensibelchen, die eigentlich nichts so sehr hassen wie Rampenlicht, sind nun die neuen britischen Pop-Helden. Auch alles Nerds, aber lieber mit der Klampfe in der Hand als der Hand an den Reglern. Das fing an mit Travis und ihrem „Why Does It Always Rain On Me?“. Das setzte sich fort mit Coldplay, die meinten „We live in a beautiful world“, aber sich ungleich melancholischer und trauriger anhörten. Und das findet gerade seinen Höhepunkt mit der Reihe besagter Bands. Die scheren sich nicht um Pop, sondern machen Folk, die könnten eher aus Amerika stammen als aus London oder Manchester, und die können wie Sigur Ros auch in ihrer reichlich unverständlichen Muttersprache singen und finden trotzdem andächtig Gehör.

I Am Kloot aber singen „There’s blood on your legs, I Love You“ und die Turin Brakes: „I gotta find some tenderness, before I get too old“: Umso verlockender die elektronischen Lebenswelten, umso stärker die Sehnsucht nach den starken Gefühlen und der Drang zur Selbstvergewisserung, so scheint es, umso verzweigter, vernetzter und atomisierter die elektronische Musik, umso beliebter auch wieder der Griff zur Gitarre und das Ersinnen von Liedern über Love and Despair. (Besonders gilt das für den Indiebereich, in dem sich die neue, akustische Bewegung größtenteils bewegt. Gerade dort hatte man zuletzt etwas viel Postrock gehört und sich dabei zunehmend im Post verloren, statt dem Rock hinzugeben.)

Ein wenig Starrsinn und eigenartige Vorlieben gehören natürlich ebenfalls dazu: So sind Gale Paridganian und Ollie Knights von den Turin Brakes zwar erst Anfang, Mitte zwanzig, haben seit ihrer frühesten Jugend aber nicht Acid-House, Britpop oder Drum & Bass gehört, sondern Joni Mitchell, Neil Young und Leonard Cohen. Das will was heißen, das schlägt sich natürlich in ihren feinen, mitunter pathetischen, mitunter spröden Songs nieder.

Da wundert es nicht, dass die beiden ihren ersten Deutschland-Gig im Sitzen mit zwei akustischen Gitarren vortrugen, und jetzt, zwei Monate später, nach dem schönen, aber oft doch leicht im Clublärm untergehenden Auftritt von Komëit erneut zwei Schemel auf der Bühne bereitgestellt werden. Im Sitzen lässt es sich leichter auf das Wesentliche konzentrieren. Da geht es noch tiefer in die Songs hinein. Und da braucht man sich nur einmal den leicht verkniffenen und entrückten Ausdruck Paridganians beim Vortrag seiner Lieder anzuschauen, um zu wissen, wo sich die liebe Seele gerade befindet.

Mitgebracht aber haben sie dieses Mal die ganze Mannschaft, einen zusätzlichen Gitarristen, einen Schlagzeuger und auch einen Keyborder, was ihren Sound naturgemäß voller, aber kaum weniger fein klingen lässt. Keine Frage, dass das Publikum, das sich aus dem typischen Indiepublikum wie auch notorischen Clubgängern zusammensetzt und zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht (ungewohnt für ein Konzert in diesem Rahmen), auch die Turin Brakes „super“ findet.

Am Ende gab’s dann mehrere Zugaben, die die Band fast überfordern, weil sie schon alles, was sie können, gespielt haben (um dann ein „neues“, sehr hinreißendes Stück als letztes zu spielen). Es blieb die Erkenntnis, dass leise schön und erfolgreich sein kann. Und nicht zuletzt das Raunen eines Kollegen, dass inzwischen auch viele Elektronikmusiker wieder ihre alten Gitarren mit ins Studio nehmen. Das kann was geben.

Turin Brakes: heute Abend noch in München im Atomic Café