Einfach irgendwo atypisch

Die „Schwuhplattler“ bestehen aus 24 Männern und gehen in ihrer Freizeit einer Beschäftigung nach, die traditioneller nicht sein könnte: dem Schuhplatteln. Weil sie aber allesamt schwul sind, sind manche verstört

von GEORG ETSCHEIT

„Grüß Gott. Da ist der Anschluss vom Sepp Stückl.“ Die Stimme auf dem Anrufbeantworter klingt männlich, bodenständig, bayerisch. „Ich bin nicht daheim. Doch wenn Sie mir nach dem Signal eine Botschaft hinterlassen, ruf ich gern zurück. Pfüa Gott und vergelt’s Gott für den Anruf.“

Er hat zurückgerufen. Und wir haben uns dann mit dem Sepp verabredet und treffen ihn ein paar Tage später in München, im Gemeindesaal der Altkatholischen Kirche St. Willibrord am Sendlinger Tor. Ein wirklicher Bayer, möchte man sagen, ein richtiges Mannbild: Lederhose, Haferlschuhe, Schnauzbart.

Dunkle Haare hat er und eine eher kleine, kompakte Gestalt, was ja ziemlich typisch ist für den oberbayerischen Menschenschlag und den schlaksigen Blondling Stoiber trotz seines bemühten Lodenoutfits als verkappten Preußen entlarvt. Nur die elegante, yuppiemäßige Hornbrille scheint beim Sepp nicht ganz ins prächtig-rustikale Bild zu passen. Ein kleiner Bruch, ein wenig zu modisch, vielleicht.

Der 48-Jährige kommt aus Uffing am Staffelsee, was mitten im bayerischen Oberland liegt, das in dieser Ecke „Pfaffenwinkel“ genannt wird, der vielen schönen Klöster und Kirchen wegen und weil die Menschen hier schon immer sehr gottesfürchtig waren. Was nicht heißt, dass sie nicht auch mal über die Stränge schlagen.

Apropos schlagen. Sozusagen im Nebenberuf ist der Sepp Chef einer Gruppe von Volkstänzern, die sich alle vierzehn Tage in der Münchner Altstadt trifft, um das rhythmische Schlagen der Schenkel und Schuhe, das Schuhplatteln, zu trainieren.

Das wird ja gemeinhin als Inkarnation bayerischer Volkskultur angesehen, nicht zuletzt auch als Ausdruck kerniger Männlichkeit. Das Gegenstück dazu, die dirndlpralle Weiblichkeit, sucht man vergebens in Sepps Schuhplattlertruppe. Denn er selbst und seine 24 Jungs stehen nicht so sehr auf die Maria-Hellwig-Typen mit der stammsprichwörtlichen Portion „Holz vor der Hütt’n“, wie sie überhaupt nicht auf Frauen stehen. Sie sind, nun muss es aber heraus, ho-mo-se-xu-ell. Allesamt.

Die Gruppe nennt sich, durchaus programmatisch, „D’Schwuhplattler“ und hat sich in den drei Jahren ihres Bestehens nicht nur in der oberbayerischen Homogemeinde einen Namen gemacht, sondern auch die offizielle Trachtlerszene gehörig aufgemischt.

Bevor wir ein wenig tiefer einsteigen in diese Heimatkunde speziellerer Art und die, sagen wir: Schwulitäten, denen man sich im Bayerischen immer noch aussetzen kann, wenn man sich einer Normabweichung schuldig macht und dies womöglich auch noch öffentlich kundtut, wollen wir den „Schwuhplattlern“ bei ihrer Übungsstunde zusehen und dabei auch im Auge behalten, dass es sich hier ja eigentlich um eine Minderheit in der Minderheit handelt.

Denn auch unter Lesben und Schwulen haben die Trachtler, weil gemeinhin als konservativ, gar spießig verschrien, zuweilen keinen leichten Stand, auch wenn beim alljährlichen schwulen Oktoberfesttreffen die Krachlederne als Fetisch mittlerweile durchaus akzeptiert ist. „Als ich vor einem Jahr mit dem Platteln angefangen habe, haben sich meine Bekannten alle nur an den Kopf gefasst“, sagt Manfred, müht sich in seine enge Lederhose, streift die Wadlstrümpfe über und packt ein Frotteehandtuch aus: Schuhplatteln ist, auch ohne „Dirndldrahn“, eine äußerst schweißtreibende Angelegenheit.

Sepp fordert Toleranz ein, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen: „Wir sind ganz traditionell wie die anderen Plattler. Der einzige Unterschied ist, dass wir halt alle schwul sind.“ Wenn die Jungs den „Ruhpoldinger“ lautstark und offenbar ziemlich professionell aufs Parkett legen, fällt der kleine Unterschied nur Eingeweihten auf, etwa die Regenbogenfahne – Symbol der Homobewegung, zu sehen auf dem weißen T-Shirt eines der Tänzer –, die unauffällig-kokett unter dem Hosenträger hervorlugt.

Dass Schwule nicht männlich seien, stellt sich spätestens beim Anblick dieser zünftigen Truppe als schäbiges Vorurteil heraus. Ebenso wie die Vorstellung, dass nur „echte“ Bayern, was immer das sei, Spaß am Schuhplatteln haben können. Harry beispielsweise kommt aus Hessen, hatte sich schon im heimatlichen Turnverein dem Trachtenwesen verschrieben, damals noch in „Hessenkittel“ mit schwarzer Stoffhose, was freilich „nicht so toll ausgesehen“ habe wie die bayerische Kurze, die er jetzt trägt.

Der 36-Jährige bekennt sich zweideutig zur „Lust an der Tracht“, ebenso wie Joachim, der in der Münchner Aidsberatung arbeitet. Der rothaarige Schwabe hat sich seine Krachlederne auf den trainierten Körper maßschneidern lassen, damit sie „perfekt“ sitzt. Zu diesem Zweck ist er eigens zu einem Spezialisten in den Bayerischen Wald gefahren.

Leider keine echte „Hirschlederne“, wie er bedauert, und auch nur maschinengstickt. „Hat dafür aber auch nur dreihundert Mark gekostet.“ Und dann ist da noch Dimos, ein 34 Jahre alter schwuler Deutschgrieche, der sich als begeisterter Volksliedsänger und Jodler zu erkennen gibt. Den „Erzherzog-Johann-Jodler“ habe er drauf, den „Königsjodler“ und auch das „Kufsteinlied“, sagt Dimos mit vernehmbarem Akzent. Die Hörprobe musste allerdings fürs Erste ausfallen, weil Hartmut an der „Quetschen“ (vulgo Akkordeon) die einschlägigen Melodien nicht auswendig spielen konnte.

Als Hartmut schließlich den „Ammerseer“ anstimmt, einen ziemlich bekannten Schuhplattler, legt Harry, der Hesse, schwitzend und heftig aus der Puste, eine Pause ein. „Ich bin ja noch ein blutiger Anfänger“, meint er: „Zu kompliziert für mich.“ In der Pause gehen Fotos von der letzten Gruppenfahrt nach Herrenchiemsee herum.

Wie viele bayerische Schwule hegen natürlich auch die „Schwuhplattler“ eine heimliche Sympathie für ihren mutmaßlichen Bundesgenossen, den „Märchenkönig“ Ludwig II., der sich auf dem sinnigerweise Herreninsel genannten Eiland im Chiemsee sein tuntiges Versailles bauen ließ. In vollem Trachtenornat, wenn auch sozusagen inkognito, legten die Jungs vor dem Schloss einen Plattler hin. Die anwesenden Touristen waren begeistert.

Der Übungsraum der „Schwuhplattler“ befindet sich im Souterrain des Münchner Gemeindezentrums der Altkatholiken. Auf einem Foto an der Wand erkennen wir Sepp wieder, im Kreise seiner Glaubensbrüder und -schwestern. „Zu Christi Himmelfahrt“ steht darüber und „Maria Brunn 2000, eine Idylle“.

Altkatholiken, die die Unfehlbarkeit des Papstes nicht anerkennen und auch den Zölibat ablehnen, erklärt Sepp, seien viel toleranter als die Römischkatholischen, die Homosexualität ja immer noch als Teufelswerk betrachten und Schwulen und Lesben Enthaltsamkeit nahe legen. Sepp Stückl ist, wie gesagt, ein gläubiger Mensch und ein begeisterter Anhänger der Trachtenbewegung.

Schon mit 21 Jahren war der Bauernsohn Vorstand des Uffinger Gebirgstrachtenerhaltungsvereins „D’Sunnastoana“, gegründet 1907. Seine erotischen Gefühle für Männer habe er lange geheim gehalten, sei sich selbst nicht darüber klar gewesen. „Die Schwulen, die ich so im Gedächtnis hatte, das waren alles so ausgeflippte Personen. Ich wollte nie so sein.“ Irgendwann aber sei „das Zehnerl gefallen und ich habe gesehen, dass viele Schwule, die vom Land kommen, ganz normale Berufe haben und auch schuhplatteln“.

1983 wagte Sepp in einer Vorstandssitzung des Uffinger Trachtenvereins sein Coming-out. „I bin mit am Mann z’amm“, gestand er seinen verdutzten Kollegen, ohne das ominöse Wörtchen „schwul“ in den Mund zu nehmen. Betroffene Stille. Nach einer „Schrecksekunde“ sei dann einer aufgestanden und habe ihm ganz feierlich das Vertrauen ausgesprochen: „Der Sepp hat das bisher gut gemacht. Ich mag ihn, egal ob er mit einem Mann oder einer Frau ins Bett geht.“ Der schwule Herr Vorsitzende, so befand die heterosexuelle Mehrheit, könne seinen Job ruhig weiter machen.

Erst zehn Jahre später gab er das Vorstandsamt auf, freiwillig, wie Sepp betont. „Ich wollte nach zwanzig Jahren Vereinsarbeit einfach mal was anderes machen und mehr Zeit für meine schwulen Aktivitäten haben.“ Seither war der Bankangestellte nur noch einfaches Mitglied der „Sunnastoana“. So weit also und so gut, bis im vergangenen Jahr das Bayerische Fernsehen, man sehe und staune, auf die schwulen Trachtler aufmerksam wurde und in seiner Jugendsendung „Quer“ den Auftritt der „Schwulplattler“ bei einem Christopher Street Day (CSD) in Augsburg berichtete. Da war es plötzlich aus und vorbei mit der Toleranz der Heterotrachtler.

Der Beitrag war zugegebenermaßen etwas hinterfotzig, weil die Redakteure Szenen eines konventionellen Trachtengaufestes, an dem auch Sepp als Mitglied der „Sunnastoana“ teilgenommen hatte, mit dem CSD-Auftritt zusammenschnitten und wohl bewusst ein wenig Verwirrung stiften wollten, in der hehren Absicht, zu zeigen, dass die sexuelle Orientierung bei dem ganzen Trachtenspiel ja wohl eine zu vernachlässigende Größe sei.

Weil der Sepp mit ein paar knackigen Sprüchen zitiert wurde, standen die Zeichen beim Uffinger Trachtenverein hernach auf Sturm. „Du bist eine Schande fürs ganze Oberland“, rief ihm beim Pfarrfest einer aus der Menge zu. Das war der, der ihn in der Vorstandssitzung 1983 noch so engagiert verteidigt hatte. „Die haben wohl gemeint, ich hätte das inszeniert“, sagt Sepp. Dabei habe er die Leute vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen doch „eher etwas gebremst“.

Richtig brisant wurde die Heimatschmonzette durch die Einlassungen des Vorsitzenden des Bayerischen Trachtenverbandes, Otto Dufter, der keinen Zweifel daran ließ, dass von seiner Seite kein Beitrag zur Gleichstellung von Lesben und Schwulen zu erwarten ist. „Das trifft das Herz des Urbayern und ist einfach irgendwo atypisch“, sagte Dufter in Gerhard-Polt-mäßigem Tonfall auf die Reporterfrage, was er denn von den schwulen Schuhplattlern halte. „Das gehört sich nicht, und das hat auch der Schuhplattler nicht verdient, dass er irgendwie für so was missbraucht wird. Dass man da in der Gruppe auftritt, ja gut, sollen die das irgendwo. Aber meinetwegen muss man da nicht in der Öffentlichkeit auftreten.“

Nein, da versteht das organisierte Trachtenwesen wahrlich keinen Spaß, ob aus Homophobie oder schlichtem Alleinvertretungsanspruch, sei dahingestellt. „Wilde Vereine und Plattlergruppen“, so hieß es schon einmal, „werden ausgerottet, Missbräuche radikal bekämpft.“ 1935 war das. Ein Vorgeschmack womöglich auf das Sperrfeuer, das den „Schwulplattlern“ drohte, kämen sie mal auf die Idee, Aufnahme im Dachverband zu beantragen.

Dass die „Schwuhplattler“ einen narrischen Spaß am Platteln haben, auch ohne offiziellen Segen, das müsste den sauberen Herrn Dufter doch mächtig wurmen. Am Ende der Trainingsstunde jedenfalls sind alle wie aus dem Wasser gezogen. „Früher in Uffing habe ich nie so geschwitzt“, sagt Sepp. In der kleinen Toilette des Gemeindesaales reißen sich die Männer die nassen Klamotten vom Leib und gönnen sich am Waschbecken eine kleine Erfrischung.

Dann stimmt Hartmut auf seiner Quetschen noch ein letztes Liedchen für den Abend an. Alle singen mit: „Der Weg zu meinem Dirndl ist steinig.“ Und irgendwie wirkt es ganz und gar nicht so, als müsse sich hier irgendjemand für irgendetwas rechtfertigen.

GEORG ETSCHEIT, 39, lebt als freier Autor und Journalist in München. Schwerpunkte: Karriere & Beruf, Essen & Trinken, klassische Musik