sein! nicht nicht sein!
: Schlingensief probt „Hamlet“

Am besten alles verbieten

In Zürich inszeniert Christoph Schlingensief „Hamlet“ mit aussteigewilligen Rechtsradikalen. Der Hauptdarsteller Sebastian Rudolph schreibt über die Proben und die Schweizer Erregung anlässlich des Projekts, das am 22. Mai beim Berliner Theatertreffen gezeigt werden wird.

Heute erfahre ich, dass www.naziline.com doch vom deutschen Innenministerium unterstützt wird. Anders lautende Meldungen, denen auch ich aufgesessen bin, mögen ein Versuch der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gewesen sein, unseren Aktionen in Zürich die Glaubwürdigkeit zu nehmen. Eine Woche sind wir in der Stadt unterwegs gewesen, mit roten Naziline-Jacken, -Kappen und -Armbinden, mit Musik, Flugblättern sowie einem Infotisch und haben uns gegen den Versuch der SVP gewehrt, die „Hamlet“-Aufführung schon im Vorfeld zu verhindern. Wir fordern das Verbot der SVP. Und weil es rechte Krawalle bei dem von zwei SVP-Mitgliedern geführten Eishockeyclub gab, auch das Verbot der ZSC-Lions.

Die Reaktionen der Schweizer sind überwältigend. Die Leute strömen mittlerweile in Scharen zu den vorab bekannt gegebenen Standorten unseres Infotischs und sind durch die Medienberichte so aufgegeilt, dass sie blind jede Liste unterschreiben, die wir ihnen hinhalten. Die Zeitungen unterstützen uns auch ganz wunderbar, indem sie unsere Aktion kritisieren, aber schön die Plakate und ganzseitige Artikel abdrucken.

Es gibt natürlich auch Schweizer, die empört sind vom Eingreifen deutscher Arbeitsasylanten in die Schweizer Innenpolitik und das teilweise auch handgreiflich deutlich machen. Konsequent werden wir auf Englisch angesprochen. Hochdeutsch ist als Verständigungsmittel bei der Schwere unserer Vergehen verständlicherweise ausgeschlossen – Schweizerdeutsch verstehen wir hingegen nur ungenügend. Hauptanliegen ist, dass wir als Deutsche doch gefälligst die guten Franken, die wir in Zürich bekommen, nicht dazu verwenden sollen, Theater zu machen, das Schweizer ärgern könnte.

Die SVP kündigt an, die geplante Etaterhöhung für das Zürcher Schauspielhaus, über die gerade verhandelt wird, wegen unserer Aktionen zu verhindern. Der Verwaltungsrat des Schauspielhauses, das Schlingensief mit der Hamlet-Inszenierung beauftragt hat, distanziert sich daraufhin von unseren Aktionen. Die künstlerische Leitung nicht. Am Tag nach dem Verrat fordern wir die Streichung der gesamten Subventionen für das Schauspielhaus. Wenn schon, denn schon. Den Wahlspruch leihen wir uns von Max Frisch: Erst wenn ein Theater geschlossen ist, wird man seinen wahren Wert erkennen. Das schreckt die Leute auf, auch die, die unser Vorgehen eigentlich ablehnen, denn Gängelei kann man hier überhaupt nicht ausstehen. So geht’s ja nun nicht: das Theater zum Sprachrohr der Stadtregierung zu machen. Indirekt bekommen wir dann auch Unterstützung vom berüchtigten Zürcher SVP-Vorsitzenden Blocher, der meint, es stünde in einer Demokratie jedem frei, das Verbot einer Partei zu fordern, nur Kunst müsse man das doch nicht nennen. Wir beschließen daraufhin, ihn mit seiner Albisgüetli-Parteitagsrede zum Berliner Theatertreffen einzuladen.

SEBASTIAN RUDOLPH