Die Wandlungen des Wunderkinds

Relaunch of Mr. DJ-Culture: Tim Simenon, einst Bomb The Bass, meldet sich mit diversen stilleren Projekten zurück

Auch Wunderkinder werden älter. Nur: Manchen sieht man es nicht an. Tim Simenon sitzt auf einer etwas durchgesessenen Couch in einer Altbauwohnung in Berlin-Prenzlauer Berg, und man wundert sich unvermittelt über sein Gesicht, an dem 13 Jahre scheinbar spurlos vorbeigegangen sind. Wundert sich, dass sein erstes Lebenszeichen nach vielen Jahren, die gerade erschienene Maxi „Clear Cut“, auf dem kleinen Berliner Label Morr Music herauskommt, und darüber, dass die Londoner DJ-Legende darauf mit den bayerischen Eso-Elektronikern Lali Puna kollaboriert oder sich von deutschen Elektro-Geheimtipps wie Arovane oder Hermann & Kleine remixen lässt.

Vor dreizehn Jahren, 1988, war Simenon süße 20 und der Mann der Stunde; seine erste Veröffentlichung unter dem Namen Bomb The Bass, „Beat Dis“, die Single des Sommers. Der damals unglaublich eklektizistische Track, zusammengestellt aus über 20 Samples, half wesentlich, die DJ-Kultur auf den Weg zu bringen, eröffnete der Kunst des Sampelns neue Perspektiven und beförderte das Konzept Club in den Mainstream.

Heute fragt man sich, wie er danach so in der Versenkung verschwinden konnte. Die Antwort: weil er so wollte. Simenon war naiv mit seiner Plattenkiste in ein Studio und nach einer Nacht mit dem nun klassischen „Beat Dis“ wieder herausgestolpert, um sich prompt in den Charts zu finden. Seitdem sucht er den Weg zurück in den Underground. „Seit 1988“, sagt Simenon, „bin ich mit Zurückrudern beschäftigt.“ Diese Verweigerungshaltung führte zwangsläufig zu Problemen mit seiner Plattenfirma, von der er sich aber nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten erst kürzlich trennen konnte.

Er wirkt, als hätte er durch den Erfolg von „Beat Dis“ kurz in den Abgrund gesehen. „Auf der Straße erkannt zu werden, der Ruhm“, erzählt Simenon, „damit konnte ich nicht sonderlich gut umgehen.“ Also verschwand er ganz im Studio, wo er „nicht mehr das Gesicht sein musste“. Er produzierte Alben für Michael Hutchence, Sinead O’Connor, Björk, U 2, Depeche Mode. Zur Strategie des Abtauchens gehörte auch, dass Simenon vor einem halben Jahr mit seiner niederländischen Freundin nach Amsterdam umgezogen ist. „London hat mich gestresst. Jetzt hat das Leben eine völlig andere Geschwindigkeit.“ Er nimmt auf in der eigenen Küche, nur mit dem allernötigsten Equipment. Um die Nachbarn nicht zu verärgern, muss er Kopfhörer benutzen.

Die Beschränkungen sind gewollt – und zu hören auf den Tracks, die weit entfernt sind von seinen Sample-Orgien der ausgehenden 80er-Jahre. Es sind spartanische Stücke, die vor allem Atmosphäre generieren und dabei fast demütig zu verschwinden scheinen. Simenon veröffentlicht sie auf diversen Labels und unter wechselnden Namen. Als Bomb The Bass werden auch zukünftig Kollaborationen herausgebracht, als Flow Creator veröffentlicht Simenon seine Solo-Aktivitäten.

Noch ist nicht klar, in welche Richtung es fortan gehen soll. Momentan sammelt er Ideen. So viel weiß er immerhin. Und dass er nie wieder mit einem Major-Label zusammenarbeiten will. Das Wunderkind ist jetzt 33 Jahre alt, und es geht ihm gut. Bald sollte man das wohl auch wieder hören können. THOMAS WINKLER

Bomb The Bass & Lali Puna: „Clear Cut“ (Morr Music)