Die Reifeprüfung

Autobiografisch, archetypisch: In „Almost Famous“ erzählt Cameron Crowe davon, wie er und der Rock ’n’ Roll in den 70ern ihre Unschuld verloren

von DANIEL BAX

Wie wird man eigentlich Musikjournalist? So wie der 15-jährige William Miller (Patrick Fugit) zum Beispiel: Als der Junge aus San Diego eines Tages dem bärbeißigen, bereits legendären Rockkritiker Lester Bangs über den Weg läuft – sein lange verehrtes publizistisches Vorbild, dessen Artikel er mit geradezu religiöser Inbrunst verschlingt –, da nutzt er die einmalige Gelegenheit, sich seinen ersten Auftrag an Land zu ziehen. Eine Konzertkritik zu Black Sabbath, die gerade in der Stadt sind, überträgt die Koryphäe dem enthusiastischen Eleven, der sich, mit einem klapprigen Kassettenrekorder ausgerüstet, von seiner besorgten Mutter zur Konzerthalle fahren lässt. Doch so einfach gestaltet sich die Aufgabe nicht. Die Roadies verwehren dem Jungen den Einlass zum Backstage-Bereich. Und als ihm dann im Gefolge einiger Groupies, die den Jungen kurzerhand in ihre Mitte nehmen, doch noch der Eintritt gelingt, weiß die Band dort Besseres zu tun, als dem unbedarften Kind, das so treuherzig dreinschaut wie das Pausbäckchen auf der Kinderschokoladen-Packung, ins mitgebrachte Aufnahmegerät zu sprechen. Dafür kommt der journalistische Neuling immerhin mit dem Gitarristen der Vorband Stillwater, Russell Hammond (Billy Crudup), ins Gespräch.

Die Geschichte, die Cameron Crowe in seiner Rock-’n’-Roll-Saga „Almost Famous“ erzählt, ist autobiografisch geprägt. Denn der amerikanische Regisseur („Singles“, „Jerry Maguire“) machte selbst einst als Rock-Schreiber seine ersten Schritte ins Berufsleben und stieß schon in frühen Jahren zum Autorenteam des renommierten Rolling Stone-Magazins vor, bevor er in den 80ern zum Film überwechselte. Entsprechend authentisch ist das Bild, dass er aus dem Inneren der Bestie Musikbusiness zeichnet, und exemplarisch. Crowes Alter Ego William Miller darf, nach bestandener Feuertaufe, im Auftrag des Rolling Stone der Vorband Stillwater hinterherreisen, deren Stern am Rock-Firmament gerade zu steigen beginnt, und wird so aus unmittelbarer Nähe Zeuge des rasanten Aufstiegs und Beinahe-Falls der Gruppe. Er selbst verliert dabei nicht nur die Unschuld, sondern auch seine Illusionen über die Rockmusik jener Zeit, die längst Industrie ist und deren Geist heute in ungebrochener Form bestenfalls noch von Gruppen wie den Black Crowes oder, sagen wir mal, den Guano Apes beschworen wird.

Archetypisch ist das Personal in „Almost Famous“: Da sind die Musiker von Stillwater, bei denen der plötzliche Ruhm auch den Konkurrenzkampf ums Rampenlicht freisetzt. Da sind Groupies wie die einem Rauschgoldengel gleiche Penny Lane (Kate Hudson) – Mädchen, die sich in der Rolle moderner Musen wähnen, während die Musiker sie doch nur als austauschbare Kommodität betrachten, um die man beim Poker wie um einen Kasten Bier spielen kann. Und da sind fiese Manager und betrogene Musikerfreundinnen sowie Fans und abgebrühte Journalisten wie Lester Bangs oder der Rolling-Stone-Chefredakteur Ben Fong-Torres, der nicht ahnt, dass sein neuer Exklusivreporter, den er ins verruchte Riot House am Sunset Strip in L. A. schickt, bloß ein Dreikäsehoch ist. „Almost Famous“ hält viele solcher Verweise auf reale Personen und Plätze bereit. Anders als etwa in „Velvet Goldmine“, bilden diese Anspielungen aber nicht das Grundgerüst des Films; sondern dienen lediglich als geschichtliches Dekor für eine Erzählung, die auch ohne diesen Hintergrund funktioniert.

Es ist die fast schon klassische Geschichte eines Erwachsenwerdens mit Hilfe von Popmusik, vor allem aber das Resümee einer Art Reifeprüfung. An den gleichnamigen Dustin-Hoffman-Film erinnern dabei nicht nur die Songs von Simon & Garfunkel und Kollegen, die für die zeitgetreue Stimmung sorgen, sondern auch die sympathische Komik und der kathartische Schluss: Als die Party vorbei ist, ziehen alle Protagonisten geläutert ihrer Wege. „Almost Famous“ ist ein formal braver, aber sehr amüsanter Abgesang auf eine Epoche, durch die Augen eines Kindes betrachtet. Bye, bye, Miss American Pie.

„Almost Famous“. Regie: Cameron Crowe. Mit Billy Crudup, Kate Hudson, Frances McDormand, Jason Lee u. a. USA 2000, 127 Min.