Krieg gegen die roten Hacker

Chinesische Computerfreaks haben ein paar Websites amerikanischer Ministerien angegriffen. Das FBI tappt im Dunkeln, die Regierung will einen virtuellen Schutzschild im Cyberspace aufbauen. Das deutsche Innenministerium plant Frühwarnsystem

von NIKLAUS HABLÜTZEL

In der Nacht zum Mittwoch waren 340 Websites beim hessischen Provider ICC plötzlich nicht mehr erreichbar. Das System läuft unter WindowsNT, und gelegentliche Abstürze wären daher noch vergangene Woche kaum eine Nachricht wert gewesen. Heute ist alles anders. Der hessische Provider hängt an den Leitungen des US-amerikanischen Netzwerkbetreibers „WorldCom“ – und die Logfiles weisen aus, dass die Rechner von Peking aus mit böswilligen Abfragen von Daten lahm gelegt worden sind. Das Ziel der Angriffe war nicht Hessen, sondern es waren die USA, hat der Firmensprecher erkannt: Plötzlich scheint eingetreten, wovon bisher nur Geheimdienstfetischisten und Verschwörungstheoretiker raunten: der Krieg im Cyberspace.

Am 1. Mai, also kurz bevor in Hessen das erste Opfer außerhalb der Krieg führenden Staaten zu beklagen war, hatte das sonst sehr auf seinen guten Ruf achtende Magazin Wired allen Ernstes gefragt, ob gerade der erste Cyberweltkrieg ausgebrochen sei („Is this World Cyber War I?“, www.wired.com/news/politics/0,1283,43443,00.html)

Der auf Sicherheitsprobleme spezialiserte Nachrichtendienst www.attrition.org fragt verblüfft: „Steht das Ende des amerikanischen Internets bevor?“ Die Antwort: „Nicht wirklich.“ Tatsächlich sind die Fakten eher dürftig. Das Technomagazin Wired beruft sich unter anderem auf eine Mitteilung des National Infrastructure Protection Center (NIPC), das eine Unterabteilung des FBI ist. Seit letztem Donnerstag, so gaben die Wächter über Amerikas Computer bekannt, seien chinesische Hacker dabei, amerikanische Netzwerke mit so genannten denial-of-service-Angriffen zu stören. Allerdings, räumte die FBI Abteilung ein, sei der Ursprung der Angriffe nicht zweifelfrei zu klären, auffällig sei aber ihre Zunahme in den letzten Wochen.

Materielle Schäden sind bisher nicht gemeldet worden. Doch schon der bloße Hinweis auf diese Art von Hackerspielen löst in den USA Großalarm aus, seit letztes Jahr namhafte Internetunternehmen davon betroffen waren. Das Web-Verzeichnis Yahoo! beispielsweise war stundenlang durch völlig sinnlose, von zahlreichen Rechnern gleichzeitig abegfeuerte Suchanfragen lahm gelegt worden.

Die betroffenen Firmen sprachen von milliardenschweren Schäden, doch das FBI konnte die Täter, die sich zuvor Zugang zu allen möglichen Rechenzentren, teils auch an Universitäten, verschafft hatten, bis heute nicht eindeutig ermitteln. Die Schlappe sitzt tief, nicht zuletzt, weil Fachleute die zuständigen Stellen schon länger auf diese Möglichkeit bösartiger Sabotageakte hingewiesen hatten.

Doch inzwischen hat in Washington die Regierung gewechselt, und die Geheimdienste wittern Morgenluft. Selbst die peinliche Panne der Kollision eines amerikanischen Spionageflugzeugs mit einem chinesischen Jagdflugzeug durfte hemmungslos zur außenpolitischen Krise und Staatsaffäre hochgespielt werden. Warum sollte es also nicht möglich sein, die nicht weniger blamablen Pannen bei den Ermittlungen gegen ein paar clevere Computerkids nach diesem Muster auszubügeln?

Nichts leichter als das. Wer des Chinesischen mächtig ist, kann unter der Adresse hongrui.com jederzeit nachlesen, was chinesische Cyberkrieger offenbar schon länger planen. Die Website soll von einem Dachverband chinesischer Hacker betrieben sein, die Domain ist angemeldet auf den Namen„zheng jun long“ in „harbin“, China, und geizt nicht mit lodernd animierten GIF-Flammen, in denen mutmaßlich amerikanische Flaggen aufgehen.

Leider dürfte unter der Wählerschaft von George Bush junior kaum jemand die chinesischen Zeichen der zweifellos antiamerikanischen Parolen lesen können – auch die englische Fassung der Seite ist chinesisch geschrieben, mit Ausnahme einiger markiger Zeilen wie etwa „Fuck Bush“. Auch das überaus dilettantische Design lässt nicht gerade auf eine ernst zu nehmende Aktion chinesischer Revolutionäre oder gar der Pekinger Führung schließen. Dennoch steht inzwischen auch für die gesamte amerikanische Presse fest, dass die chinesischen Compuerfreaks einen Großangrif auf Amerika ausgelöst haben. Erster Höhepunkt sollte der 1. Mai sein, davon sind alle Chinaexperten überzeugt, die den staunenden Reportern verraten, dass an diesem Tag die Kommunistische Partei Chinas besonderen Wert auf antiamerikanische Massenmobilisierung im Innern des Reichs legt.

Seltsamerweise mochten aber die roten Hacker gar nicht auf den traditionellen Tag der Arbeit warten. Schon am Donnerstag gelang es ihnen, die Homepage des amerikanischen Arbeitsministeriums mit roten Fahnen und einer patriotischen Würdigung des Piloten zu verzieren, der bei dem Zwischenfall vor der chinesischen Küste ums Leben kam. Weitere Hacks von braven Websites folgten, unter anderem derjenigen des amerikanischen Gesundheitsministeriums. Wired spricht von „Hunderten“ vergleichbarer Scherze, ohne jedoch die Adressen zu nennen.

Der für Europa gewählte Icann-Direktor Andy Müller-Maguhn kann in den bisher nachgewiesenen Fällen denn auch nur ziemlich simple Attacken erkennen. Selbst informierte Laien könnten heute mit einfachen Programmen altbekannte Schwächen des für das heutige Internet typischen Unix-Systems ausnutzen.

Aber die friedliche Lösung überfälliger technischer Probleme steht offenbar nicht auf der Tagesordung. Umgehend haben sich amerikanische Hacker zu einem Verband zusammengeschlossen, um ihrerseits chinesische Websites anzugreifen. Sie dürfen auf stilles Wohlwollen ihres neuen Präsidenten rechnen. Seine Regierung hat schon vor einiger Zeit angekündigt, neben der strategischen Verteidigung im Weltraum auch einen virtuellen Schutzschild im Cyberspace aufzubauen, um amerikanische Institutionen vor außeramerikanischen Angriffen zu schützen.

Auch die hessische Firma wird bald nicht mehr völlig schutzlos dem neuen Weltkrieg ausgeliefert sein. Brigitte Zypries, Staatssekretärin im Berliner Innenministerium, verriet gestern dem Handelsblatt, dass auch die deutsche Regierung eine „nationale Infrastruktur“ schaffen wolle, die als „nationales Frühwarnsystem“ vor Hackerangriffen schützen soll. Das Konzept der Bundesregierung sehe allerdings nur vor, dass die bei Großunternehmen ohnehin getroffenen Sicherheitsvorkehrungen besser miteinander „kommunizieren“.

niklaus@taz.de