Broadway bei Seegang

Theater der Verzweiflung oder amerikanische Benefiz-Gala mit zu viel falschen Tränen? In Hamburg hatte Neil LaButes mörderisches Bekenntnisstück „Bash“ in der Regie von Peter Zadek Premiere

von KEES WARTBURG

Mord an Wehrlosen ist ne scheußliche Sache. Säuglinge, Kinder, drei gegen einen. Diese Motive bringen die Gefühle zum Dröhnen. Das kann man kalkulieren. Da arbeitet die Psychomotorik wie bestellt, Empörung inklusive. Doch was dann? Was treibe ich als Autor mit diesem Affekt? Will ich im Geiste Schillers Verständnis konstruieren oder in der Nachfolge Bret Easton Ellis' mit dem kalten Exzess aufklären? Will ich einen neuen Kirchturm aufrichten oder als Fatalist versteckt an das Herz appellieren? Oder will ich vielleicht nur brillieren?

Neil LaBute, dessen schräge Komödie „Nurse Betty“ gerade erst in den Kinos zu sehen war, hat auf jeden Fall ein sehr amerikanisches Stück über die tödlichen Blüten der Verzweiflung geschrieben. Vier Menschen beichten drei Morde, „Bash“ heißt es. Ein elegantes Wortspiel, natürlich. Denn Bash heißt sowohl Party als auch Prügel und mit dem Appendix -ful auch noch verschämt. Als Gay-Bashing wurde es auch hier zu Lande bekannt – und genau darum geht es im Herzstück dieser kleinen Kammerspieltrilogie.

Ein paar fröhliche Mormonen auf Party in New York. Nett, adrett, gut angezogen amüsieren sie sich im Plaza-Hotel, bis zu später Stunde ein paar Jungs raus in den Central Park streunen und auf ein schwules Pärchen stoßen. Von gierigem Ekel angefixt schlagen sie einen der beiden auf einer öffentlichen Toilette tot. Und als kleinen perversen Triumph klaut der Anführer der Leiche einen goldenen Ring und schenkt ihn seiner Freundin als Siegel ihrer großen Liebe.

Hier soll es einen schaudern und das tut es auch pflichtgemäß. Denn Neil LaButes Dramaturgie ist einfach zu fixiert auf Pointen, zu herrlich durchkomponiert, ein zu schön gemeißeltes Beichtendrama, das jeweils von Mitleid zu Grauen hingedrechselt ist, um nicht von einem Boulevardtheater des Todes zu reden.

Das gilt insbesondere für den dritten Teil, in dem eine Mutter erzählt, warum sie ihren Sohn umgebracht hat. Hier, wo es um das verzweifelte Verhältnis einer Schülerin zu ihrem Lehrer geht, ist alles durchtränkt von einer sturen Wassermetapher. Er nähert sich ihr im Aquarium, er schwängert sie in einem Boot auf dem Michigansee, sie ist „Fische“, sie wollte immer Meeresbiologin werden, sie liebt die Brandung, und sie tötet ihren Sohn in der Badewanne, vierzehnjährig so wie sie, als sie von dem Lehrer geschwängert wurde, und trinkt dabei Wasser, Wasser, Wasser. Das ist dann doch alles ein bisschen zu herrlich ausgedacht, um mehr zu sein als Broadway bei Seegang.

Und Peter Zadek? Der bald fünfundsiebzigjährige Halbstarke, den die Alten immer noch lieben und die Jungen nicht attackieren, schaut frisch und fröhlich auf die Welt und nimmt die Steilvorlage für ein prasselndes Schauspielertheater dankbar an. Er holt Ben Becker, der sich bei seinen ersten Bühnenauftritten am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg vor vielen Jahren den Kritikerstempel „schlechtester Schauspieler der Welt“ erwarb; jetzt bringt er allerdings vierzig Minuten mörderische Biederkeit im Solo über die Rampe.

Mit Uwe Bohm holt sich Zadek dazu noch ein Fernsehgesicht, das sich alle professionelle Mühe gibt, um ein ausgepustetes amerikanisches College-Ei mit sportlich zappelnden Muskeln überzeugend zu geben. Und schickt schließlich zum Finale Judith Engel, eine der besten Schauspielerinnen weit und breit, an einen kleinen Tisch, um mit aller erdenklichen Brillanz die Verwirrung der Welten einer Mutter im Kindesalter auszuagieren.

Da ist es wieder, das böse Wort: Brillanz. Will man wirklich, dass ein Saal voll mit Udo Lindenbergs, Hark Bohms, Burkhard Driests und Hellmuth Karaseks jubelt und tobt, wenn auf der Bühne gerade die kaputtesten Biografien ever ausgebreitet wurden? Ist die elegante Lässigkeit, mit der hier Grauen unter dem Plakat „Bash is everywhere“ zelebriert wird, nicht so durchschaubar reine Show, dass man lieber darüber nachdenkt, wie das Verhältnis von lebenden Menschen und begangenen Gräueltaten tatsächlich ist? Sehnt man sich nach American Psycho, Pulp Fiction und Frank Schmökel wirklich noch nach Kindsmord als kultivierte Abendveranstaltung unter Kapitelüberschriften wie „Iphigenie in orem“ oder „Medea redux“? Vor allem, wenn das Ganze noch der moralischen Wachrüttelung dienen soll?

Das sind alles rhetorische Fragen, zugegeben. Aber wenn das vermeintlich Aufklärerische sich zu eitel spreizt, wird man leicht spöttisch. Dann fühlt man sich plötzlich versetzt in eine amerikanische Benefizgala mit all ihren falschen Tränen und fragt sich, warum der traurige Anlass so überhaupt nicht zu spüren ist. Und so geht es einem dann auch bei „Bash“: „Kindsmord. Ja, schrecklich. Aber Ben Becker heute Abend – wirklich brillant.“