Digital verbrannter Kork

In „It’s Showtime“ setzt sich Spike Lee mit den rassistischen Stereotypen der gegenwärtigen Medienkultur Amerikas auseinander. Die Parodie der „blackness“ zielt auf HipHop- und Sitcom-Stars

von TOM HOLERT

Im symbolischen Zentrum des neuen Films von Spike Lee steht eine Rezeptur: Man lege zwei Korkenstücke in eine feuerfeste Schale mit reinem Alkohol, entzünde diesen, bis der Kork schwarz wird; mit einem Löffel dann den verrußten Kork zerkleinern und zerreiben; etwas Wasser dazugeben, auf dass es sich mit dem Kork zu einer schwarzen Paste verbinde. Fertig ist der Signifikant.

Die rituelle Zubereitung der Paste, wie sie in „It’s Showtime“ ins Bild gerückt wird, ist eine Urszene des amerikanischen Showbusiness. Mit Hilfe der pechschwarzen Schmiere wird jedes noch so bleiche Gesicht zum „blackface“. Und „blackfacing“, das ist die Schlüsseltechnik der Minstrel-Shows, in denen Amerika im 19. Jahrhundert seine erste Massenkultur erblickte: weiße Schauspieler, Sänger und Tänzer, die mit geschwärzten Gesichtern die Lebensweise der versklavten afroamerikanischen Bevölkerung parodierten.

Das rassistische Possenspiel war nicht nur enorm populär, es diente den jungen USA auch als Integrationsmaschine. Die „blackface“-Maske bot den verschiedenen Gruppen europäischer Einwanderer ein gemeinsames Anderes: Das kollektive Lachen über die „schwarzen“ Hanswurste integrierte den Melting Pot zur Nation. Und dieses Lachen hielt auch an, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend afroamerikanische Schauspieler und Komiker verbrannten Kork auflegten. Das „blackfacing“, die Überaffirmation der rassistischen Zuschreibung, war einer der wenigen Zugänge zu gesellschaftlicher Sichtbarkeit, der AfroamerikanerInnen offen stand. Eine perverse Logik überließ die stete Erneuerung des rassistischen Konsens dessen größten Opfern.

Solcherart Minstrelsy zieht sich wie ein schwarzer Faden durch die Geschichte der amerikanischen Massenkultur. Nachfolgende Formen der Massenunterhaltung wie Vaudeville, Tin Pan Alley, Kino, Radio und Fernsehen, schreibt der Kulturhistoriker Michael Rogin, hätten „blackfacing“ nicht abgelöst, sondern „inkorporiert“.

Diese These übernimmt, unterstreicht und erweitert Spike Lee mit „It’s Showtime“ (der Originaltitel „Bamboozled“ bedeutet so viel wie „verarscht“ und bezieht sich auf eine Rede von Malcolm X). Der Film setzt auf die Behauptung, dass sich an den gesellschaftlichen Bedingungen der Minstrel-Shows des 19. und 20. Jahrhunderts in der Medienkultur des 21. Jahrhunderts im Prinzip nichts geändert habe. „Blackfacing“, konstatiert Lee, sei weiterhin der Code, der die Produktion von Öffentlichkeit und Sichtbarkeit für AfroamerikanerInnen regele.

Geschwärzte Gangster

Seit den Sechzigerjahren muss dafür kein verbrannter Kork mehr aufgetragen werden. Blaxploitation, „afroamerikanische“ Sitcoms und Comedy-Shows, Gangster Rap und R&B-Musikvideos, sagt Lee, bedienten sich lediglich eines modernisierten Zeichenrepertoires für die alten „blackfacing“-Effekte.

Dabei hat Lee einen höchst komplizierten Weg gewählt, seine These vom Fortdauern der Minstrel-Logik in der gegenwärtigen amerikanischen Kultur zu formulieren. Diese Kompliziertheit erkaufe er mit Inkohärenz und Schematismus, beanstanden die KritikerInnen, die dem Regisseur wie eh und je mangelnde „psychologische“ Durcharbeitung der Figuren und fehlendes „erzählerisches“ Talent vorwerfen. Diese Kritik trifft zu, läuft aber zugleich ins Leere, weil Lee an diese Qualitäten nicht glaubt, nicht glauben will. Gerade durch die größtmögliche Nähe von Komplexität und Schematismus gewinnt Spike Lee ja jene Inkohärenz, die seine Filme so erfolgreich an den Richtlinien von Kohärenz in Komposition, Stil und Erzählstruktur scheitern lassen. Die Katastrophe der Form ist bei ihm der Triumph von Gegenwärtigkeit.

Denn hier passt nichts zusammen, und doch ist alles kulturell angeschlossen – oder zumindest potenziell anschließbar. Lee bedient sich des gesamten Spektrums der amerikanischen Mediengeschichte und -gegenwart. Er hat in den Archiven gegraben und verstörendes Bildmaterial aus den großen Zeiten des „blackface“-Entertainment zutage gefördert: von Al Jolson bis zu Judy Garland, Bing Crosby, Mickey Rooney. Vor allem aber wird die Geschichte afroamerikanischer „blackface“-KünstlerInnen aufgerufen, legendäre Namen wie Bill Bojangles, Stepin Fetchit, Mantan Moore, Butterfly McQueen oder Hattie McDaniel, die in der Versenkung der Kulturindustrie verschwunden waren.

„It’s Showtime“ beginnt mit einem Blick in die herrschaftlichen Wohnverhältnisse des Sitcom-Produzenten Pierre Delacroix und einer von diesem vorgetragenen Wörterbuchdefinition des Begriffs „Satire“. Natürlich ist Delacroix ein angenommener Name. Er soll seinen Träger aus den Niederungen der „blackness“, in denen sich sein Vater als Komödiant verdingt, in eine Sphäre kosmopolitischer Noblesse erheben. Delacroix „verkörpert“ afroamerikanischen Selbsthass par excellence. Mit aufgesetztem Harvard-Akzent und affektierter Körpersprache ist er die Karikatur des „race traitor“ schlechthin.

Zugleich verweist diese überzeichnete und vermeintlich flache Figur auf die vielschichtigen Verknüpfungen von „Rasse“, Bildung, Habitus; auf Vorurteile gegenüber ostentativer Intellektualität und Kultiviertheit; auf die ambivalente Aneignung schwuler, „effeminierter“ Posen durch machoeske Männer und damit indirekt auf Traditionen von Drag und Cross-Dressing in den Minstrel-Shows.

Schließlich wird Pierre Delacroix ausgerechnet von Damon Wayans gespielt. Wayans war Hauptdarsteller in der populären Fernsehserie „In Living Color“ und bildet mit seinem Bruder Marlon und Filmen wie „Scary Movie“ das afroamerikanische Brachial-Comedy-Pendant zu den Farrelly Brothers. Spike Lee hat also einen prominenten Vertreter jenes zeitgenössischen Minstrelsy-Gewerbes gecastet, auf dessen rassistische Matrix die Polemik von „It’s Showtime“ gerade gerichtet ist.

Blackface wird Pop

Delacroix will mit dem Konzept einer traditionellen „Blackface“-Show für das „neue Millennium“ seinen unbefriedigenden Job in einer rassistischen Arbeitsumgebung loswerden; der Plan geht nicht auf, die Show wird unerwartet zum Erfolg und wirft all jene Beteiligten aus der Bahn, die sich noch der eitlen Illusion hingeben, die Simulation kontrollieren zu können. Denn davon „handelt“ der Film: vom Albtraum, dass im 21. Jahrhundert eine Minstrelsy-Nostalgie ausbricht, die das ganze vergessen geglaubte Symbolarsenal der „misrepresentation“ (so ein Schlüsselbegriff des Films) zum Mega-Marketing-Erfolg werden lässt – schwarze Masken und Nippesfiguren mit weit aufgerissenen Augen und Mündern – in einer historischen Reihe mit Hula-Hoop-Reifen oder Pokémon.

Undenkbar! Undenkbar? So ist „It’s Showtime“ angelegt: wie ein grauenhaft komischer Traum. Durch diesen stolpern die Protagonisten – hilflos, auch wenn sie immer wieder von „Satire“ reden. Aber das hilft ihnen ebenso wenig wie eine antirassistische Moral, die permanent gebrochen wird durch prächtig inszenierte Einblicke in die hohe Kunst des Minstrel-Showmanship, die man fasziniert, ungläubig und angewidert zugleich betrachtet.

Ein Albtraum also, gebaut aus den Kulissen einer grotesk-verführerischen Musicalwelt der Dreißiger- und Vierzigerjahre, in der sich Stepp tanzende und radebrechende Gestalten mit schwarzer Gesichtsfarbe, grellrot geschminkten Lippen und weißen Handschuhen tölpelhaft von Klischee zu Klischee, von Uncle Tom zu Uncle Sambo hangeln. Ein Traum aber auch, in dem der Chef des Fernsehsenders ein weißer Mittelstandsjunge ist, der von sich behauptet, die „nigger“ besser zu „diggen“ als seine afroamerikanischen Angestellten. Michael Rapaport spielt den Part erschreckend überzeugend, und Spike Lee ließ verlauten, ein Vorbild für diese Rolle sei Quentin Tarantino gewesen. Um aus dem Vertrag mit diesem „positiven“ Rassisten herauszukommen, schleppt Pierre Delacroix ein obdachloses Street-Komikerpaar an, mit dem er die geplante Minstrel-Show besetzen will. Auch hier hat Spike Lee keine Nobodys genommen, sondern Tommy Davidson und Savion Glover, Letzterer eine Stepptanz-Größe mit Solo-Shows am Broadway. Die beiden überzeugen nicht nur die Verantwortlichen des Senders, sondern auch die Zuschauer. „Mantan: The New Millennium Minstrel Show“ entwickelt sich zum Medienskandal und in der Folge zum gigantischen Publikumserfolg. Das Experiment, auf Scheitern programmiert, gerät auf surreale Weise aus den Fugen.

Fast unnötig zu sagen, dass auch „It’s Showtime“ unter Spike Lees notorisch sexistischem Frauenbild leidet: Sloan Hopkins, der von Jada Pinkett-Smith gespielten Assistentin von Delacroix, wird als gutes und schlechtes Gewissen des Films die undankbare Rolle eines Spielballs männlicher Interessen zugemutet. Und wieder einmal konnte sich Lee eine explizit antisemitische Szene (mit sexistischen Untertönen) nicht verkneifen; angesichts der langen Tradition jüdischer „blackface“-Darsteller wie Al Jolson schimmert überdies der antisemitische Subtext der Minstrelsy-Thematik durch.

Manchmal scheint sich der Regisseur auch nicht ganz auf der Höhe jener (HipHop-)Kultur zu bewegen, die der entscheidende Stichwortgeber für seinen eigenen Anspruch auf Zeitgenossenschaft ist. Andererseits beweist Lee Fingerspitzengefühl, wenn er The Roots, die alternative HipHop-Stars, als Alabama Porch Monkeys in die Minstrel-Show einbaut und New Yorks charismatischen Underground-MC Mos Def zum Anführer eines Hardcore-HipHop-Kollektivs macht, das dem Film ein blutiges und „kontroverses“ Finale beschert.

Der albtraumhafte Charakter der Geschehnisse wird unterstützt durch den Digital-Video-Look von „It’s Showtime“. Dieser ist nicht etwaigen Dogmen, sondern ökonomischen Notwendigkeiten geschuldet. Das niedrige Budget führte Lee zu der ästhetischen Überzeugung, dass zu einem Film, der im Fernsehmilieu angesiedelt ist, auch der Videoeindruck passt. So dünn diese Argumentation, so überzeugend das Resultat: eine Fragmentarität, die an Traumprotokolle erinnert; kein Kino der geschlossenen Erzählungen, nicht einmal eins der kunstvoll verwobenenen Erzählstränge. Jenseits der Postmoderne wartet bei Spike Lee die ganze Konfusion der Gegenwart. Deren splittriger Ungereimtheit hat er mit diesem Film ein grandioses Agitprop-Denkmal aus digital verbranntem Kork errichtet.

„It’s Showtime“, Regie: Spike Lee. Mit Damon Wayans, Michael Rapaport, Jada Pinkett-Smith, Savion Glover, Tommy Davidson, Mos Def u. a. USA 2000, 135 Minuten