Die neuen Bosse sind die alten

Ein Kunstwerk rechnet im Web mit den Illusionen der „New Economy“ ab: Im Großraumbüro mit venetzten Computerarbeitsplätzen herrscht der blanke Terror der Ausbeutung. Die Arbeit ist sinnlos, die Persönlichkeit wertlos

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Noch im letzten Jahr stand fest, dass ernsthafte bildende Kunst im Internet fasziniert sein müsse von der Technik der vernetzten Computer. Sie schien eine neue Dimension zu eröffnen, und so waren selbst satirische oder polemische Produktionen für das Web von der im Kern optimistischen Überzeugung getragen, dass eine Revolution im Gange sei – dieselbe Revolution übrigens, die beinahe jedes Geschäftsmodell smarter junger Männer eine Zeit lang zum Börsenrenner gemacht hat.

Die wirtschaftliche Pleite dieser Illusionen war vorhersehbar und ist heute eingetreten. Unter der Adresse www.turbulence.org/Works/moreinc ist jetzt auch ein Kunstwerk zu betrachten, das die Konsequenzen aus den gescheiterten Erwartungen der letzten Monate zieht. Mit einem ganzen Team von Programmierern, Grafikern und Musikern zeichnet der Amerikaner Wesley Thomas Meyer mit einer Reihe von Flash-Animationen das Bild einer Firma dieser neuen Zeit. Sie trägt den schönen Namen „More Inc.“.

Puristen der Webkunst mögen gegen Meyer einwenden, er habe wenig an grafischer oder programmtechnischer Innovation zu bieten. Sie haben vollkommen Recht. Überaus traditionalistisch in dieser Hinsicht interessiert sich Meyer nicht im Geringsten für digitale Effekte, er nutzt das Medium ziemlich unbekümmert, um eine Botschaft mitzuteilen. Auch sie ist keineswegs neu, denn auch die virtuelle Firma More Inc., die er entwirft, ist das nicht. Sie ist ein Albtraum, ist das, was ein kapitalistischer Arbeitsplatz schon immer war: ein feindseliger Ort der vollkommen sinnlosen Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, ein Normensystem unveränderbarer Hierachien zudem, das totale Unterordnung verlangt und auch noch die kleinste individuelle Abweichung bestraft.

All das also, was die „New Ecomomy“ zu überwinden versprach, kehrt zurück. Die alten Bosse sind wieder da, ekelhaft gefräßig wie immer, die Arbeitsameisen auch. Kugelrunde, gesichtslose Köpfe tragen sie hier, die sie zwar abends vor dem genormten Spiegel in der genormten Wohnung ablegen, aber doch nur, um vor dem Fernseher durch Einheitsprogramme zu zappen oder wieder am Computer zu sitzen – auf dem Bildschirm erscheint dann der Schatten eines Frauenkörpers, der aber auch wieder nur aus lauter ASCII-Zeichen aufgebaut ist.

Was Meyers zu seinem Werk inspiriert hat, ist der Geist des radikalen Flügels der amerikanischen Arbeiterbewegung, verkörpert etwa in der legendären Gewerkschaft der „Industrial Workers of the World“ (IWW), die unter dem Symbol der schwarzen Katze in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts immer wieder Streiks nicht nur für mehr Lohn, sondern ebenso gegen die Arbeit und ihre kapitalistische Disziplinierung organisiert hatten. Das Internet und die Informationtechnik hat die alten Parolen nicht überholt. Auch die IWW selbst ist im Web unter www.iww.org wiederauferstanden – ausgerechnet in der „Bay Area“ von San Francisco, der Hochburg also der neuen Internetwirtschaft, scheint sie besonders erfolgreich um neue Mitglieder zu werben.

Im selben ewig sonnigen Kalifornien ist aber offenbar auch Meyers „More Inc.“ angesiedelt. Mit bösartiger Präzision inszeniert die Website, die dem namenlosen „Angestellten 12995“ gewidmet ist, das Gerede der neuen Kreativität in der Firmenfamilie. Die virtuellen Räume sind nur mit einer Verzichtserklärung über sämtliche Rechte der Person zu betreten. Danach sind sechs verschiedene Aufgaben zu erfüllen, eine ist monströser als die andere. Mal geht es darum, Kunden abzuwimmeln, mal darum, neue Geschäftsideen zu produzieren oder an einer Vorstandssitzung teilzunehmen.

Bewundernswert einprägsam hat Meyers den bloßen Schein der Komminkation in dieser geschlossenen Welt mit Auswahlbuttons inszeniert, die unterschiedslos dieselbe oder auch gar keine Reaktion zur Folge haben. Ein markiges „Yes, Sir“ oder „No, Sir“ sind dasselbe, der Chef hört nicht zu, weil er jede erlaubte Antwort schon kennt, und die Antwortoptionen muss man nur als Betrachter anklicken, damit der Flash-Film weiterläuft.

Niemand zählt, irgendeinen anderen Geschäftszweck als den Aktiengewinn schließt schon der Name „More“ aus. Das faschistisch anmutende Firmenlogo freilich symbolisiert fast schon unnötig deutlich den totalitären Terror dieser bloßen Vermehrung des Geldwertes: Im kreativen Großraumbüro besteht das Spiel, das der Betrachter nunmehr in der Rolle des Firmenaufsehers spielen soll, darin, jedes Nickerchen oder gar ein Verlassen des Computerarbeitsplatzes mit einem Mausklick zu bestrafen – und natürlich dürfen wir am Ende auch im Krematorium der Überflüssigen selber mit der Maus ausklicken, wie viele dieser glücklichen Angestellten in aller Freiheit heute gefeuert werden.

niklaus@taz.de