„Ich bin nicht Che Guevara“

Das wirkliche Zentrum der Macht ist die Werbung: Der französische Schriftsteller und ehemalige Werbetexter Frédéric Beigbeder über Berufe, in denen man sich wie in einem Luxusgefängnis fühlt, über den „Dritten Weltkrieg der Marken“, die Macht von Büchern und seinen Enthüllungsroman „39.90“

Interview ULLA HANSELMANN

taz: Herr Beigbeder, Sie waren etliche Jahre als Werbetexter für den französischen Ableger der renommierten US-Agentur Young & Rubicam tätig. Mit welchen Slogans haben Sie die Konsumlust der Verbraucher animiert?

Frédéric Beigbeder: Kennen Sie „Schauen Sie mir in die Augen, IN DIE AUGEN, habe ich gesagt!“ für Wonderbra? Der stammt von mir und ist in Cannes prämiert worden. Ich habe auch für Parfüms wie „Allure“ von Chanel oder „Jungle“ von Kenzo Werbekampagnen gemacht. Oder für Barilla. Für die haben wir einen Spot mit Ridley Scott und Gérard Dépardieu gedreht, in dem die beiden Pasta essen.

Hat Ihnen das Spaß gemacht?

Ja, klar. Das war sehr lustig. Zumindest am Anfang, da war ich 24. Ich hatte ein bisschen studiert, Politik, Wirtschaft, Marketing, da war es logisch, in die Werbung zu gehen, auch wenn ich schon damals viel über Dinge wie Manipulation und so weiter nachgedacht habe. Ich habe den Job zehn Jahre gemacht, war sehr zufrieden mit dem materiellen Komfort, den er mir bot, die Reisen und das alles. Aber nach und nach ist er mir auf die Nerven gegangen. Mir wurde klar, dass Werbung nicht nur optisch unsere Umwelt zerstört, sondern auch auf das Denken der Menschen und ihre Art zu leben eine verheerende Auswirkung hat. Wir leben in einer Epoche, in der es kein anderes Ideal als das Geld und den materiellen Luxus gibt.

Daraufhin haben Sie beschlossen, sich an der Branche zu rächen, indem Sie Ihren Insiderroman geschrieben haben, mit der Absicht gefeuert zu werden – genau wie Ihr Held Octave. Das ist Ihnen gelungen. Sind Sie jetzt zufrieden?

Nein, ich habe komplett versagt. Ich bin zwar meinen Job losgeworden, allerdings ohne eine Abfindung zu kassieren. Auch Octave, der Protaganist meines Romans, bekommt keine Abfindung. Stattdessen wird er für seine Enthüllungen auch noch belohnt und zum Kreativdirektor ernannt! Was zeigt, wie verkommen dieses Gewerbe ist.

Bereuen Sie Ihren Rachefeldzug?

Nein, überhaupt nicht. Mein Ziel war es ja vor allem, aus diesem Job herauszukommen, in dem ich mich wie in einem Luxusgefängnis gefühlt habe. Man bezahlt die Leute nur so gut, damit sie es in ihrem Gefängnis besser aushalten.

Wie viel haben Sie verdient?

45.000 Francs im Monat.

Da haben Sie ja von der Werbewelt mit ihren zynischen, menschenverachtenden Mechanismen, die Sie aufdecken, glänzend profitiert. Ist das nicht ein bisschen heuchlerisch?

Ich mache den Job ja nicht mehr. Ich habe also etwas kritisiert, dem ich selbst nicht mehr angehöre. Aber klar: Ich befinde mich in einem Widerspruch, wie jeder von uns. Die Werbung verleitet uns dazu, Produkte zu kaufen, die die Umwelt verschmutzen und zur Ausbeutung von Menschen beitragen.

Darf ich fragen, welche Jeansmarke Sie heute tragen?

Levi’s. Genau das meine ich ja: Ich kritisiere Levi’s, weil das Unternehmen seine Produktion von Europa in die Billiglohnregion Südostasien verlegt hat. Trotzdem trage ich Levi’s-Jeans. Also Vorsicht: Ich behaupte nicht, ein Vorbild zu sein. Oder Che Guevara. Ich bin nur ein Schriftsteller, der die Widersprüche aufdecken will, in denen wir alle leben. Mein Roman funktioniert wie ein Vergrößerungsspiegel, in dem sich jeder wieder erkennt und sich dabei ärgert.

Sie zeichnen ein groteskes Zerrbild. Wie viel Wahrheit steckt denn in Ihrem Buch?

Ich würde mal sagen, 99 Prozent von dem, was ich erzähle, ist wahr. Alle Zahlen, alle Informationen über die Marken stimmen, das kann man verifizieren. Ich habe lediglich den Namen der Joghurtmarke und die Namen einiger Figuren geändert. Ich glaube, die Leser erkennen gut, was wahr und was falsch ist. Sie wissen sehr wohl, dass ich niemanden umgebracht habe, so wie Octave. Es gefällt mir, wenn ich Vertrauen in die Intelligenz der Leser haben kann. Das hat mich nämlich an der Werbung am meisten genervt: dass man der Intelligenz des Verbrauchers nicht vertraut. In Frankreich gibt es inzwischen eine Antiwerbung-Bewegung –die Leute wollen nicht mehr für Idioten gehalten werden.

In der Kanadierin Naomi Klein, die in ihrem Buch „No logo“ die Machenschaften multinationaler Konzerne aufzeigt, haben Sie eine erfolgreiche Mitstreiterin. Ist der Kampf gegen Markenterror und Mode auch nur eine Mode?

Was schlagen Sie denn vor? Wenn man die Welt nicht mag, wie sie ist, hat man die Wahl: Man hält den Mund. Oder man kritisiert sie – und riskiert, selbst wiederum kritisiert zu werden, sich lächerlich zu machen, vereinnahmt zu werden. Das ist immer noch besser, als zu schweigen.

Literatur als Revolte?

Genau. Ich glaube wirklich, die einzige Möglichkeit, Widerstand gegen dieses System zu leisten, besteht darin, Bücher zu schreiben. Weil es in Büchern keine Werbung gibt!

Aber für Ihr Buch wird derzeit heftig die Werbetrommel in den Medien gerührt.

Ich verhalte mich so wie jeder Schriftsteller, der Romane schreibt. Ich sage in Interviews meine Meinung. Das ist keine Werbung. Im Gegenteil, ich karikiere in dem Buch ja die Welt der Werbung, ihre Sprache, ihre Gesetze. Es geht mir nicht darum, Produkte zu verkaufen.

Es sei denn, man betrachtet Literatur als Produkt.

Vielleicht ist sie das auch. Deshalb ist der Titel des Buches sein Verkaufspreis: 39,90 Mark. Weil ich genau das hinterfrage.

Sie hätten versuchen können, das System von innen zu verändern!

Das ist sehr schwierig. An einer Stelle im Buch sagt Octave: Um ein Flugzeug von seinem Kurs abzubringen, muss man erst mal an Bord gehen. Und später, da treibe ich die Metapher noch ein Stückchen weiter. Da wird ihm klar, dass man das Flugzeug doch nicht umleiten kann – weil es keinen Piloten gibt! Niemand ist verantwortlich heutzutage. Ich für meinen Teil habe die Literatur als Waffe gewählt. Vielleicht hilft sie, den Leuten die Augen zu öffnen und ihr Konsumverhalten zu verändern.

In Ihrem Buch beschreiben Sie den Mensch aber als klägliches, unmündiges Opfer des Markenterrors und des Merkantilen. Wie können Sie da an eine bessere Welt glauben?

Um ehrlich zu sein: Ich bin zwiegespalten. Es gibt Tage, an denen ich aufstehe, gute Laune habe und glaube, dass man Dinge ändern und die Menschen dazu bringen kann, sich zum Beipsiel über die Herkunft der Produkte, die sie kaufen, zu informieren, Tage, an denen ich mit den Adbusters demonstrieren gehe und Werbeplakate zerstöre. Und es gibt Tage, wie vielleicht heute, an denen ich sehr nihilistisch bin und denke: Es ist zu spät, die Welt wird im Jahr 2040 untergehen, sie ist eine Maschine, die sich nicht stoppen lässt.

Glauben Sie, dass die Literatur das richtige Mittel ist, um die Maschine zu stoppen?

Wir leben in einer Welt der Bilder, in einer Omnipräsenz des Visuellen. Aber ich glaube, mit Worten kann man die Menschen tiefer berühren, sie eher zum Nachdenken bringen als mit Bildern.

Warum haben Sie eine Mischung aus Fiktion und Pamphlet gewählt?

Ich glaube, dass die Fiktion kraftvoller ist als das Pamphlet. Wenn ich nur ein Pamphlet geschrieben hätte, wäre über mein Buch sicher nicht so viel geredet worden, es hat ja einigen Staub aufgewirbelt – nach meinem Rausschmiss gab es eine Debatte über die Frage, ob man seinen Arbeitgeber kritisieren darf oder nicht. Ein Roman berührt den Leser mehr, weil er, jenseits der Information, Gefühle hervorruft, ihn zum Lachen, zum Weinen bringt. Die Literatur ist eine ebenso starke Waffe wie die Werbung.