„Zur Hölle mit der Neutralität“

Kann man nach Srebrenica noch Satire machen? Der bosnische Regisseur Danis Tanović über die Verantwortung der Medien auf dem Balkan, militärische Bündnisse und Trauma und Normalität in seinem Kriegsfilm „No Man’s Land“

taz: Sie haben während des Krieges in Exjugoslawien als Kameramann in der bosnischen Armee gearbeitet und unter anderem monatelang im belagerten Sarajevo gefilmt. Mit Ihrer Kriegssatire „No Man's Land“ sind Sie in den Schützengraben zurückgekehrt. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen dokumentarischem und fiktionalem Material?

Danis Tanović: Wir brauchen fiktionale Bilder, um die medialen zu überwinden. Wir sind es satt, dass man mit Bosnien nur ein stigmatisiertes Land assoziiert, in dem Gräueltaten und Massenmorde stattgefunden haben. Die Medienbilder waren ja monatelang immer die gleichen, da will ich meine eigenen gar nicht ausschließen, die teilweise auch für BBC-Reportagen verwendet wurden. Diese Fernsehbilder haben eine statische Erinnerungsspur hinterlassen, aus der man irgendwann heraustreten muss, sonst bleibt man ewig das Opfer. Wir müssen uns so etwas wie Alltag und Normalität erst wieder erarbeiten. Unter anderem mit Filmen, die auf den Krieg ihren eigenen, auch satirischen Blick werfen.

Warum verwenden Sie dann in Ihrem Film Fernsehbilder mit einer Karadžić-Rede?

Ich hätte es als unredlich empfunden, den beiden Filmfiguren meine eigene Position in den Mund zu legen. Das hat immer etwas Pamphlethaftes. Der Serbe und der Bosnier streiten sich im Schützengraben, wer den Krieg angefangen hat, und beide glauben, dass sie im Recht sind. Ich als Regisseur bin allerdings davon überzeugt, dass die Aggression von der serbischen Seite kam, daher die eingeschnittenen TV-Bilder. Leute wie Radovan Karadžić haben diesen Krieg zu verantworten, deshalb ist es so wichtig, dass er vor Gericht gestellt wird. Damit wir endlich wegkommen von dieser ominösen, vagen Kategorie einer „Schuld des serbischen Volkes.“

Geben Sie dem Ausland einen Teil der Schuld? In ihrem Film sind die UN-Generäle desinteressierte Witzfiguren und die Soldaten machtlos.

Genau so habe ich es während des Krieges erelebt: Die UN-Truppen waren wie gelähmt von ihrer eigenen Neutralität. Soldaten mit einer ungeheuer starken Kampfausrüstung in dieses Gebiet zu schicken und ihnen angesichts der Schlachterei absolutes Nichtstun zu verordnen, ist einfach pervers. Ich habe damals englische Soldaten kennen gelernt, die mit dieser Passivität psychologisch nicht klarkamen. Sie waren wie traumatisiert. In Srebrenica haben holländische Solaten zugesehen, wie serbische Soldaten 8.000 Männer massakriert haben. Zur Hölle mit der Neutralität!

Was verlangen Sie? Dass die UNO sich aktiv in jeden Bürgerkrieg einmischt?

Nein, dass sie sich entweder heraushält oder richtig einmischt, statt sich hinter moralischen Deckmäntelchen zu verstecken und dann irgendwann kopflos ein Land zu zerbomben.

Das Ende Ihrer Satire ist zutiefst pessimistisch: Alle erschießen sich gegenseitig. Entspricht das Ihrer eigenen Sicht?

In diesem Krieg habe ich meine besten Freunde, meine Tanten und Cousins verloren, mein Dorf wurde zerbombt und mein Leben zerstört. Bosnien liegt immer noch in Trümmern. Wir sind aus der Aufmerksamkeit der internationalen Medien entschwunden, aber bei uns leben in Teilen von Herzegowina immer noch Kroaten, die ihre Unabhängigkeit fordern. Wie soll das enden? Mit 55 kleinen Ländern, in denen jeder seinen eigenen Gärtner mit einem Maschinengewehr hat?

Hat sich Ihr Verhältnis zu den Serben in Ihrem Bekanntenkreis verändert?

Ich war und bin eigentlich nur mit „normalen“ Serben befreundet. Mit Leuten, deren Interessen und Streben Lichtjahre entfernt ist von nationalistischen oder ethnischen Kategorien. Ganz im Ernst, ich verstehe bis heute nicht, was in Bosnien passiert ist.

INTERVIEW: KATJA NICODEMUS