Im Herz der rechten Finsternis

Timothy McVeigh gilt im rechtsextremen Lager der USA schon jetzt als Märtyrer, der sich gegen den alles kontrollierenden Staat zur Wehr setzen wollte. Aber auch der UNA-Bomber Theodore Kaczynski sah sich als Kämpfer für ein freies Land – ein Explosé

von HELMUT HÖGE

„Lupus lupo homo est“ (Alte Rudelweisheit)

Zuerst sollte die Hinrichtung des als „Oklahoma-Bomber“ berühmt gewordenen rechtsradikalen Attentäters Timothy McVeigh im Fernsehen übertragen werden. Dann wurde seine Exekution jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben, weil das FBI plötzlich bisher unterschlagenes Beweismaterial veröffentlichte. Wenn sich die öffentliche Diskussion bisher um die Todesstrafe drehte, so wird die kommende Auseinandersetzung nun wohl eher die „Gefahr von rechts“ thematisieren.

Als der US-Generalstaatsanwalt Ashcroft entschied, die Hinrichtung Timothy McVeighs als Liveübertragung zu zeigen, wenn auch nur für die Angehörigen der Opfer, befürchteten viele Amerikaner, dass dies die Wiedereinführung öffentlicher Hinrichtungen nach sich ziehen würde. McVeigh verlangte daraufhin selbst eine öffentliche TV-Übertragung seines Todes. Und eine Internetfirma, die sonst Softpornos vertreibt, klagte gegen die US-Regierung um Freigabe der Übertragungsrechte. Die Angst vor dem Volkszorn und Ahnungen von einer öffentlichen Hinrichtung gingen McVeigh bereits durch den Kopf, als man ihn vor dem Gerichtsgebäude in Oklahoma erstmalig einer erregten Menschenmenge vorführte. Dem Time-Magazin erzählte er später: „Ich bemerkte, dass die Menge zu weit abgedrängt war, um mich mit einem Pistolenschuss bedrohen zu können. Also nahm ich sofort die Bäume und die umliegenden Gebäuden in Augenschein. Und unwillkürlich schaltete ich einen starren Panoramablick an, mit dem man einen 1.000-Meter-Sicherheitsbereich überblicken kann. Das Einzige, was ich bei Gefahr hätte tun können, war ein kleiner Sprung zur Seite. Im Grunde genommen wirft man dich den Löwen vor.“

„Dem Löwen vorgeworfen zu werden“ erscheint als eher archaisches Bild, da die öffentlichen Torturen der Vormoderne doch längst durch humanistische Methoden der Beweisführung und Bestrafung ersetzt wurden. Schon die Einführung der Guillotine zielte darauf ab, unter den Zuschauern keine Sympathie mehr für die Verurteilten aufkommen zu lassen. Denn die Königsmörder des Ancien Régime wurden stundenlang gestreckt und gevierteilt und litten oft noch zusätzlich unter der Überforderung von Henkern und Zugpferden. Die Justiz des 19. Jahrhunderts wandte sich daher von körperlicher Bestrafung ab und widmete sich der Disziplinierung und Überwachung der Gefangenen. Mit der Übertragung des Todes des rechtsextremen Terroristen McVeigh aber ensteht mitten im blassen bürokratischen Akt wieder ein Moment von Märtyrertum. Schließlich ist McVeigh ebenfalls ein Königsmörder – der Mörder des demokratischen Souveräns in Gestalt der Bundesbeamten von Oklahoma.

Den Mörder opfern

Wenn McVeigh also sein Gift mit erwartetem sokratischem Gleichmut entgegennimmt, wird er Washington die Aufgabe überlassen, mit der ganzen Peinlichkeit und dem Durcheinander zurechtzukommen, die mit der Streckung und Vierteilung einer weißen amerikanischen Psyche einhergehen. Nachher wird die Unversehrtheit seines Körpers sichtbar der Erinnerung an das aufgerissene Bundesgebäude in Oklahoma gegenüberstehen. Werden seine Opfer so das Gefühl bekommen haben, nun sei Auge um Auge und Zahn um Zahn vergolten? Den toten McVeigh kann auch keine Regierung mehr kontrollieren. Er ist archaisch-anarchisch und erzählt eine eigene Geschichte.

Im vergangenen Monat verkaufte der weiße Separatist Randy Weaver ein Buch über seine Lebensgeschichte auf einer Waffenmesse in Lincoln, Nebraska. Er ist der Mann, dessen Martyrium Timothy McVeigh mit seinem Attentat im April 1995 in Oklahoma City rächen wollte. Weaver hatte einige Jahre zuvor seine Familie nach Idaho, in eine Gebirgsgegend namens Ruby Ridge, evakuiert und sich dort mit einem ganzen Waffenarsenal verschanzt. Als das FBI kam, um ihn wegen illegalen Waffenhandels festzunehmen, starben seine Frau und sein Sohn im Schusswechsel. Weaver wurde dadurch zu einem Volkshelden der Rechten. Auf der Waffenmesse überreichte ein Indianer ihm zeremonielle Geschenke, er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Der Geist von Crazy Horse lebt“ und war der einzige Nichtweiße im Saal. Weaver sagte zu ihm: „Ich schätze, wenn man ähnlich wie ich von den Stiefeln der Bundesregierung getreten wurde, weiß man eben, wie sich das anfühlt.“

Auch Weavers Rächer Timothy McVeigh würde dieses Prädikat „unter dem Stiefel der Bundesregierung gelitten zu haben“ gerne für sich in Anspruch nehmen. Doch obwohl die amerikanische Öffentlichkeit über die Belagerung von Ruby Ridge schockiert war, zeigte sie bis jetzt wenig Bereitschaft, für die Argumente McVeighs in seinem eigenen Fall ein ähnliches Verständnis aufzubringen. Das Vorgehen des FBI, seit dem Attentat in Oklahoma solche gewalttätigen Erstürmungen von Waffenburgen wie die bei Ruby Ridge und Waco, Texas, zu vermeiden, hat die Öffentlichkeit noch weiter beschwichtigt.

Doch mit der Freigabe der 3.000 Seiten Zeugenaussagen, die das FBI bis dahin auf illegale Weise den Anwälten McVeighs vorenthalten hatte, kurz vor der geplanten Hinrichtung hat die Bundesbehörde sozusagen zugegeben, dass beim Prozess nicht alles mit rechten Dingen zuging. McVeighs ständige Behauptung, dass das FBI sich als nicht an das Gesetz gebunden ansieht, wurde damit von ihnen jedenfalls zum Teil bestätigt. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft bestanden jedoch bislang darauf, dass das Attentat von einer einzigen Person ausgeführt wurde: McVeigh war der Kopf der Aktion, wobei er seine zwei Komplizen unter massiven Druck setzte. Doch verschiedene Prozessbeobachter, von den Verteidigern bis hin zu Angehörigen der Opfer, haben mehr als genug Anhaltspunkte dafür gefunden, dass hinter diesem Einzeltäter, der so offensichtlich ein Martyrium für sich sucht, noch ganz andere an der Tat beteiligte Kreise existieren.

Solche Vermutungen drängen sich jetzt auch der Öffentlichkeit auf: Saß ein zweiter Mann im Lkw, mit dem die Bombe transportiert wurde, der vom FBI „John Doe 2“ benannt wurde? War es bloßer Zufall, dass ein gewisser Richard Snell, der selber einst angeklagt war, das Gebäude in Oklahoma City 1982 in die Luft jagen zu wollen, am Tag des Attentats von Mc Veigh in Arkansas wegen Mordes hingerichtet wurde? Hatte der Rechtsextremist Snell geprahlt, als er Racheaktionen am Tag seiner Hinrichtung ankündigte? Und könnten am Tag der Hinrichtung McVeighs ebenfalls Vergeltungsaktionen von Rechten stattfinden? War McVeigh wirklich immer nur ein „einsamer Wolf“ gewesen?

Je mehr man über die amerikanische rechte Bewegung weiß, desto weniger kann man zwischen einem Einsamer-Wolf-Szenario und Verschwörungsszenarien unterscheiden. Die weißen Rassisten haben es im multiethnischen Amerika aufgegeben, Wählerschichten für sich gewinnen zu wollen und öffentliche Ämter anzustreben. Weil sie sich damit von allen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen haben, so behauptet Thomas Grumke in seiner gründlichen Studie „Rechtsextremismus in den USA“, bleiben ihnen fast nur terroristische Gewaltakte als Handlungsmöglichkeit.

Einer der Hauptstrategen der extremen US-Rechten, das ehemalige Ku-Klux-Klan-Mitglied Louis Beam, hat dazu eine Strategie entwickelt, die eine Adaptation und Zuspitzung klandestiner kommunistischer Organisationsmodelle – eine Reihe untereinander isolierter Zellen unter einem Zentralkommando – darstellt. Beam sieht für seine Bewegung die Schaffung von lauter „Phantomzellen“ vor, die aus nur einem Mann, ohne eine lenkende Zentralinstanz, bestehen und so aktiv werden sollen. In diesem Konzept eines „führungslosen Widerstands“ nimmt die Rechte zwar ideologischen Einfluss auf gewaltbereite Männer wie McVeigh, doch beteiligt sie sich nicht direkt an deren Taten. Auf einer Waffenmesse in Tulsa, Oklahoma, hatte McVeigh 1994 erstmalig ein Mitglied aus der rechtsradikalen Gruppe „Elohim City“ getroffen, danach – in den Monaten vor dem Attentat – besuchte er diese separatistische Gemeinschaft im Osten Oklahomas mehrmals.

Wölfe mit Waffen

Die Liebe zu Waffen gehört auf intimste Weise zur amerikanischen Tradition. Für viele weiße Männer, die in den dahinsiechenden agrarischen und industriellen Regionen der USA leben, besitzen Waffen eine magische Anziehungskraft. Sie erweitern die Macht und Potenz eines Menschen fast ebenso wie das Geld, das die meisten dieser Männer nicht haben. Timothy McVeigh zum Beispiel war der Enkel eines Bauern aus dem Norden des Bundesstaates New York, der seinen Hof aufgeben musste. McVeighs Vater war Arbeiter in einer Autofabrik bei Buffalo, die ab den Achtzigerjahren keine Leute mehr einstellte. McVeighs Helfer bei der Vorbereitung des Attentats, Terry Nichols, war ebenfalls ein Bauer, der in den Achtzigerjahren seinen Hof in Michigan verlor, und dann wie viele andere „gelegte Bauern“ zu der Überzeugung gelangte, dass sein Schicksal das direkte Resultat der Agrarpolitik der Bundesregierung war. In diesen Milieus ist die Waffe das letzte Symbol für Unabhängigkeit, das Mittel zur Verteidigung und Selbstversorgung schlechthin. Der amerikanische Waffennarr macht aus dem ihm aufgezwungenen Status des einsamen Wolfes eine Heldenfigur.

Timothy McVeigh trug ein Baumwollhemd, als ihn die Polizei von Oklahoma bereits wenige Stunden nach dem Attentat in seinem Auto – wegen fehlender Kfz-Kennzeichen und illegalen Waffenbesitzes – verhaftete. Bei der Vernehmung, so wunderte sich einer der Polizisten im Nachhinein, wirkte McVeigh merkwürdig ruhig, obwohl es seine erste Verhaftung war. Der Beamte bemerkte auch sofort das merkwürdige T-Sirt: Vorne war ein Porträt des ermordeten Abraham Lincoln und hinten ein Baum draufgedruckt. Ihm entging jedoch der Revolutionsspruch unter den Grafiken: „Der Baum der Freiheit muss immer wieder mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen getränkt werden.“ Deswegen kam der Polizist, der immerhin wie alle seine Kollegen an dem Tag bei der Fahndung nach den Beteiligten am Bombenüberfall eingesetzt war, auch nicht darauf, dass er den politischen Attentäter bereits gefasst hatte.

McVeighs politische Ideen über die Beziehungen zwischen dem Individuum und dem Staat, die er mit praktischen, aus den alten Pionierzeiten überkommenen Überlebenstechniken verband, sind einerseits zu intellektualistisch und andererseits zu asketisch, um vom Durchschnittsamerikaner ernst genommen zu werden. Dennoch hat er eine derartige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfahren, besonders seit der Aufschiebung seiner Hinrichtung, dass er nun seinen Wunsch, so schnell wie möglich zu sterben, hintanstellen könnte zugunsten der sich eben erst andeutenden Chance, von seiner Einmannzelle aus noch eine ganze Weile politisch-agitatorisch wirken zu können. In diesem Fall müsste er sich erstmalig auf Verhandlungen über ein neues Strafmaß und die Strafbedingungen mit der Regierungsseite einlassen.

Unter der ständigen Überwachung im Gefängnis „Supermax“ in Colorado entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Timothy McVeigh und Theodore Kaczynski, dem so genannten UNA-Bomber: ein Mathematiker und Ökoterrorist, der über zwanzig Jahre lang Briefbomben an Personen schickte, die er als verantwortlich für die Zerstörung der Natur durch die fortschreitende Technik erklärte. Die beiden Häftlinge lernten sich während der täglichen Freistunde, die sie außerhalb ihrer Einzelzelle verbringen dürfen, kennen.

McVeigh meint: „Ich bin sehr rechts, während er sehr weit links steht, wir sind uns ziemlich ähnlich. Alles, was wir jemals wollten, was wir von diesem Leben wollten, war die Freiheit, unser Leben genau so zu leben, wie es uns vorschwebte.“

Kaczynski erzählt: „Er war sicherlich kein gemeiner oder feindseliger Mensch, und nichts deutete darauf hin, dass er solch ein Superpatriot war. Ich vermute, er ist eigentlich ein Abenteurer, aber seit dem Ende der Pionierzeit hat Amerika wenig Platz für Abenteurer.“

Sowohl McVeigh als auch Kaczinski, wenn man ihren Spuren folgt, die sie ins Supermax führten, wirken weniger wie zwei Terroristen mit unterschiedlichen Ideologien, sondern wie zwei Trapper mit umgekehrten Vorstellungen. Man kann sagen, dass beide die Natur sehr hoch achten und beiden eine hohe Wertschätzung von Waffen eigen ist. Doch für den UNA-Bomber stellt die Natur die große Ordnung dar, in der man am besten mit dem Jagdgewehr klarkommt. Für den Oklahoma-Bomber sind dagegen die Waffen vor allem ein rhetorisches Werkzeug des Bürgers, sie haben nur zufällig ihre wahre Bestimmung im Wald.

Unschuldige Tote

Ist Timothy McVeigh ein rechter und Theodore Kaczynski ein linker Terrorist, wie das ihre jeweiligen Sympathisantenkreise nahe legen? McVeigh und Kaczynski haben im Gefängnis die Differenz zwischen ihren Taten selbst diskutiert: Der UNA-Bomber warf dabei dem Oklahoma-Bomber vor, dass er Unschuldige (Kinder) tötete, während Kaczynski gezielt die seiner Meinung nach Schuldigen (Verantwortlichen) angriff.

Der demokratische Staat fühlt sich von Links- und Rechtsradikalen gleichermaßen herausgefordert, deren Bedrohungspotential u. a. der Verfassungsschutz alle Jahre wieder einschätzt. Hier hat sich dennoch die Ansicht erhalten, dass die Linke sich auf die Organisierung des Widerstands bis zum Aufstand konzentriert, während die Rechte eher zum Staatsstreich neigt. „Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift“, so sagte es Karl Marx – und seitdem ist der unblutige Generalstreik gewissermaßen das Meisterstück für die Linke. Von Adolf Hitler stammt dagegen die Überzeugung: „Männer machen Geschichte, nicht die Massen!“ In diesen unterschiedlichen Machtübernahmekonzepten geht es auf der einen Seite um die Verschärfung der sozialen Kämpfe und auf der anderen um die Eroberung von Schlüsselpositionen, wobei dem Attentat eine unterschiedliche Bedeutung zukommt. Die Rechte neigt darüber hinaus aufgrund ihres Kriegerideals generell zu waffentechnischen „Lösungen“, während die Linke zunächst die Überredungskunst forciert – bis hin zu den schönen Künsten. Wer den Aufstand, mindestens einen Massenprotest, nicht organisieren kann, dem bleibt nur das Attentat – als Fanal mit einem möglichst hohen Symbolwert. Daneben kann man ganz allgemein bei den heutigen Partisanen einen starken Hang zu nichtsozialistischen oder sogar antikommunistischen Ideen feststellen. Auch bei den Einzelkämpfern McVeigh und Kaczynski: dieser, insofern er einen vorindustriellen Zustand anstrebte, und jener wegen seiner Neigung zum Herrenmenschentum.