zwischen den rillen
: In den Irrgärten der Angstlust: Air versündigen sich am guten Geschmack

Kilohertz der Finsternis

Zwei Jungs aus der Pariser Vorstadt, Nicolas Godin und Jean Benoît Dunckel, verschließen sich irgendwann in einem verwunschenen Schloss, das in Wahrheit ein Studio ist, und bringen 1998 das Album „Moon Safari“ zur Welt. Eine Platte, die, wie der lieblichste Duft der Welt, die Sinne betäubte und voller Zauber war. Eine Platte, mit der Jungs, ganz ohne Worte, Mädchen ihre Neigung zur Kuschelromantik beweisen konnten. Eine Platte wie ein David-Hamilton-Film, wo sich junge Mädchen auf weißen Pferden in ihre Tennislehrer verlieben. Perwollreiner ging nicht.

Doch jetzt hat die Sünde das Paradies erobert, die böse Stiefmutter Schneewittchen vergiftet, und aus dem zarten Petting auf den rosa Laken des elterlichen Himmelbetts ist Sex geworden, inklusive schmutziger Fantasien. Diese Entwicklung war abzusehen. Auch wenn ihr Soundtrack zu Sofia Coppolas Teenangst-Drama „The Virgin Suicides“ nicht als offizielles Air-Album gehandelt wurde, so konnte man darin doch die Hinwendung zu den dunkleren Seiten der Seele, zu den wahren Abgründen der Melancholie erkennen. In „The Virgin Suicides“ befördern sich junge Mädchen selbst aus dem Leben, zurück bleibt Beklemmung. Genau hier knüpft „10.000 Hz Legend“ an. Zu keinem Stück auf dieser Platte kann man sich so richtig wohl fühlen, nie hört man diese Platte befreit. Der Air-Organismus, wie man ihn kannte, ist zwar immer noch am Leben, doch schleicht er sich eher wie ein gutartiger Schmarotzer durch die erhabenen und doch erschreckenden Klangkörper. Selbst die schlonzigste Softporno-Orgel hinterlässt noch ein ungutes Gefühl. Die reine Schönheit ist irgendwo noch zu spüren, doch man sieht sie einfach nicht.

Schon der dem Album voraus geschickte Song „Radio #1“ warf die Frage auf: Was für eine Art von Musik soll das eigentlich sein? Ein dumpfes Schlagzeug, hymnischer Gesang, viel zu viel Bombast, und das auch noch stark angerockt? Solche Widersprüche finden sich zuhauf auf „10.000 Hz Legend“: Trash und Feingeist, Seventies-Elektronik und Neunziger-Eklektizismus, cheasy Listening und Hardrock. Die Stücke heißen entsprechend „Lucky And Unhappy“ oder „Wonder Milky Bitch“. Und wenn dann Nicolas Godin den dreckigen Schmierlappen Lee Hazlewood mimt und auch gleich den Part von Nancy Sinatra übernimmt, verdichtet sich diese ganze schöne schreckliche Fantasiewelt zu einem einzigen Track.

Mit „Moon Safari“ erklommen Air einst auf Anhieb den Hipness-Thron, und amtieren seitdem neben Gutgeschmack-Priestern wie Beck, Daft Punk oder den Beastie Boys als diejenigen, denen Lifestyle-Magazine wie The Face immer wieder ihr Existenzrecht verdanken. Durch Gäste wie Beck und Yumiko von Buffalo Daughter haben Air nun den Weg der Beastie Boys eingeschlagen, an dessen Ende die internationale Verknüpfung der Coolsten der Coolsten stehen soll.

Auch Air geht es scheinbar um größtmögliche Coolness durch das ständig neue Ausloten von Geschmacksgrenzen. So wie Daft Punk, die auf ihrem letzten Album plötzlich das Gitarrensolo herausholten: Im richtigen Moment auf das Verpönte setzen, und schon gibt es in der Club-Lounge wieder ein Gesprächsthema. Air klingen, auch wenn sie das selbst nicht so gerne hören, nach den Pink Floyd der Siebzigerjahre, nach Manierismus, Bombast und keine Ahnung von Punk. Aber weil man „10.000 Hz Legend“ zumindest faszinierend finden muss, tragen Air zugleich ihren Teil dazu bei, die letzten Markierungen zwischen gutem und schlechtem Geschmack abzutragen. In diesen Irrgärten werden sich die Hipster endgültig verlaufen. ANDREAS HARTMANN

Air: „10.000 Hz Legend“ (Virgin)