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: Wie das Sitarstück „Mathar“ die Clubszene eroberte

Indian Vibes im Schwarzwald

Eigentlich war alles als Scherz gedacht. Das Quartett „Dave Pike Set“ hatte sich Ende der Sechzigerjahre dem modernen Jazz verschrieben. Trotzdem kam man am übermächtigen Pop-Phänomen der Beatles nicht vorbei. Gerade war George Harrison nach Indien gepilgert und hatte dort in monatelanger Übungsfron das angeblich so komplizierte Sitar-Spiel erlernt. „Das kam uns maßlos übertrieben vor“, sagt der Gitarrist Volker Kriegel aus heutiger Sicht. Der Entschluss war schnell gefasst: das „Dave Pike Set“ wollte als augenzwinkernden Seitenhieb eine kleine, poppige Sitar-Nummer mit aufs Album nehmen. Gesagt, getan. Kriegel kaufte sich in einem Frankfurter Musikladen das im Schaufenster ausgestellte Instrument. Und stellte fest: „Das klingt schon gut, wenn man nur die leeren Saiten anschlägt.“

Kriegel komponierte das Stück mit einem Sitar-Intro und einer eingängigen Sitar-Hookline. „Es kam vor allem auf den Klangreiz an: Auf die Assoziationswolke, die mit dem Sitar-Sound verbunden ist“, sagt Kriegel rückblickend. Aus Jazzer-Sicht war das jedenfalls reiner Pop. Zusammen mit den Bandmitgliedern Hans Rettenbacher (bass) und Peter Baumeister (drums) sowie Dave Pike am Tambourin war das dreieinhalbminütige Stück schnell eingespielt, und zwar in der legendären MPS-Villa in Villingen im Schwarzwald. Der Name des Stücks war eine ironische Anspielung auf jenen Ort in Indien, in dem Beatle Harrison das Sitarklampfen erlernt haben soll: „Mathar“.

Anfang der Siebzigerjahre spielte das Dave Pike Set auf allen wichtigen Jazzfestivals und ging auf Welttournee. Die lustige, groovige Sitarnummer „Mathar“ wurde allerdings sehr selten live gespielt, der Transport des wuchtigen Instruments war zu kompliziert. Der Vibraphonist Dave Pike wurde Mitte der Siebziger vom Heimweh gepackt und ging zurück in die USA, Volker Kriegel gründete das „Mild Manic Orchestra“, schloss sich dem „United Jazz & Rock Ensemble“ an und begann später eine Karriere als Cartoonist und Schriftsteller.

Dafür wurde sein Stück mehr als zwanzig Jahre später von DJs aus der Rare-Groove-Szene wiederentdeckt. Das französische Label Yellow Productions um den Produzenten und DJ Chris „the french Kiss“ schreibt sich auf die Fahnen, „Mathar“ ausgegraben zu haben. Anfang 1994 presste Chris einige Whitelabels und brachte anschließend die Plattenfirma Virgin dazu, das „Mathar“-Stück neu aufnehmen zu lassen. An der elektrischen Sitar diesmal Englands Pop-Ikone Paul Weller, die Produktion besorgte Brendan Lynch von den „Young Disciples“. Die parallel erscheinenden Remixe ließen „Mathar“ nun selbst in die Plattenkisten von DJs aus dem Technolager wie Jeff Mills und John Aqaviva wandern. Auf dem bunten Cover der Vinylausgabe prangten, neben dem Titel „Mathar“, jetzt die zwei Worte: „Indian Vibes“. Volker Kriegel erfuhr nur durch Zufall von der Wiederentdeckung seiner Komposition im Underground: „In Frankreich lief damals ein Video mit meiner Musik. Ich wollte es erst gar nicht glauben.“

Im gleichen Jahr wurde das Originalstück wiederum auf der CD „Dancefloor-Jazz Volume 3“ vom Hamburger Mojo-Club veröffentlicht. Und nochmal zwei Jahre später stand plötzlich der Chef des Londoner Asian-Underground-Labels „Outcaste“ bei Kriegel vor der Tür und wollte über weitere Remixe sowie die Mathar-Masterbänder verhandeln. Die Enttäuschung war riesengroß, als der Asiate aus England erfuhr, dass es keine Mehrspurbänder gab. Trotzdem erschienen ein Jahr später unter dem Titel „Mathar – the Original Indian Vibes“ drei Remixe des Duos Badmarsh & Shri auf dem Outcaste-Label.

Dass „Mathar“ nach drei Jahrzehnten immer noch in den Hipsterclubs von London bis Paris gedropt wird, findet Volker Kriegel „einerseits komisch, aber auch sehr rührend“. Und dass indischstämmige Produzenten aus London einen Riesenrummel um ein paar Sitar-Sounds aus dem teutonischen Schwarzwald veranstaltet haben? Dass wundert auch Volker Kriegel: „Es brauchte anscheinend mitteleuropäische Hirnis, um auf einem geradezu abenteuerlichen Umweg jungen Indern in London ihre eigene Musik wieder ans Herz zu legen.“

STEFAN MÜLLER

Vom Autor erscheint im August die CD-Compilation „Orientation“ auf dem Label „Poets Club Records“ www.poetsclubrec.com