Polizei zu feige, Justiz zu lahm

Unter den Augen der Polizei griffen Mitglieder der Nazi-Kameradschaft „Germania“ im Juli vor zwei Jahren deutsche und polnische Punks an. Bis heute verliefen die Ermittlungen im Sande. Die Kameradschaft agiert inzwischen unbekümmert weiter

von HEIKE KLEFFNER

In der Berliner Neonaziszene geben sie den Ton an. Die rund 20 Mitglieder der Kameradschaft Germania organisieren regelmäßig rechtsextreme Aufmärsche in Berlin, leisten „Aufbauhilfe“ bei Brandenburger Gesinnungsgenossen und betreiben eine eigene Homepage im Internet. Ohne Zweifel gehören sie zum harten Kern der bundesweit organisierten, militanten „Freien Kameradschaften“.

Mit Steinen gegen Punks

Und wenn sich die Gelegenheit bietet, schlagen Mitglieder der Kameradschaft auch selber zu. So wie am 10. Juli 1999. Damals hatte die Gruppe von langjährigen Szeneaktivisten und rechtsextremen Skinheads aus Berlin und Brandenburg einen gemeinsamen „Ausflug“ unternommen. Nach Hamburg, zu einem von der NPD angemeldeten Aufmarsch von 600 Rechtsextremisten gegen die Wehrmachtausstellung. Auf der Rückfahrt stießen die zwei vollbesetzten Kleinbusse der Neonazis an der Raststätte Stolpe auf eine achtköpfige Gruppe von deutschen und polnischen Punks.

Was dann folgte, beschäftigt Staatsanwälte und Polizeistellen in drei Bundesländern seit nunmehr zwei Jahren. Gegen neun Erwachsene und fünf jugendliche Neonazis aus Berlin und Brandenburg ermittelt die Staatsanwaltschaft Schwerin, federführend für die anderen Anklagebehörden. Die Tatvorwürfe sind erheblich: Den Mitgliedern der Kameradschaft wird besonders schwerer Landfriedensbruch und gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Polizei schaute zu

Doch wer meint, in Zeiten staatlicher Machtworte gegen Rechtsextremisten würde der harte Kern der braunen Aktivisten und und Ideologen konsequent verfolgt, wird in diesem Fall eines Besseren belehrt. 16 Verdächtige, jede Menge Augenzeugen, zwei Jahre Ermittlungen und keine einzige Anklage, lautet die ernüchternde Bilanz der Staatsanwaltschaft in der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt Schwerin.

Dabei ist längst gerichtsbekannt, wie sich der Neonazi-Angriff in Stolpe abspielte: „Die Linken saßen ganz friedlich vor ihrem VW-Bus“, sagte im Oktober letzten Jahres ein Beamter der Mega, der brandenburgischen Polizei-Sondereinheit gegen rechte Gewalt, vor dem Amtsgericht Luckenwalde. „Plötzlich stiegen die Rechten aus ihren Fahrzeugen aus, vermummten sich und warfen mit Steinen und Flaschen auf die Punks.“ Einer der Rechten habe mit einer Eisenstange zugeschlagen.

Warum der Beamte und sein Kollege, die die Neonazigruppe auf dem Rückweg vom Aufmarsch nach Berlin beschattet hatten, nicht eingegriffen hätten, wollte der Richter in Luckenwalde wissen.

„Alles ging so schnell, und der Überfall war so brutal, dass wir nicht einschreiten konnten“, sagte der 36-jährige Polizist und senkte den Kopf. Sein Kollege und er hätten es vorgezogen, im Gebüsch sitzen zu bleiben und per Notruf weitere Polizeikräfte zu verständigen. Genug Zeit für die Neonazis, die linken Jugendlichen, die sich vor dem Stein- und Flaschenhagel in ihr Fahrzeug flüchteten, noch ein zweites Mal anzugreifen. Der 28-jährige Jan S. aus Berlin trägt seitdem eine Narbe im Gesicht: Eine Flasche hatte sein Auge nur knapp verfehlt. An dem Bus der Punks entstanden rund 3.500 Mark Sachschaden.

Waffen und Propaganda

Wenig später wurden die 16 rechten Angreifer – darunter auch eine Frau – auf der Autobahn von der herbeigerufenen Polizeiverstärkung angehalten und festgenommen. Bei Hausdurchsuchungen fanden sich die szeneüblichen Schlagwaffen und Propagandamaterialien. Der Ermittlungseifer der Polizisten hielt sich jedoch in Grenzen. Weil es den Beamten offenbar zu mühsam erschien, die Kisten mit mehreren tausend rechtsextremen Flugblättern mitzunehmen, die sie feinsäuberlich sortiert bei einem der Beteiligten fanden, beschlagnahmten sie jeweils nur ein Ansichtsexemplar der Hetzschriften.

Dass die der Schweriner Staatsanwaltschaft vorliegenden Beweise und Zeugenaussagen gegen die Angreifer durchaus ausreichend für eine Anklageerhebung sein können, zeigte der Prozessausgang in Luckenwalde.

Da Jugendlichen und Heranwachsenden grundsätzlich an ihrem Wohnort der Prozess gemacht wird, hatten die Schweriner Behörden das Verfahren gegen einen an dem Angriff beteiligten 21-jährigen Neonazi aus Luckenwalde an die dortige Justiz abgegeben. Die erhob relativ zügig Anklage, und im Oktober letzten Jahres folgte der Prozess. Das Ergebnis: eine neunmonatige Bewährungsstrafe für den 21-jährigen Alexander T., der dagegen Berufung einlegte.

„Reibungsverluste“

Alexander T.s fünfzehn Tat- und Gesinnungsgenossen dagegen blieben bisher unbehelligt von jeglicher Anklage. „Manche sind eben schneller als andere“, lautet der trockene Kommentar des Schweriner Oberstaatsanwalts Hans-Rudolf Wirsig auf die Frage, warum die Schweriner Ankläger immer noch über den Akten brüten, während ein kleines Amtsgericht in der brandenburgischen Provinz im gleichen Zeitraum einen kompletten Prozess abwickelt.

Die Gründe für den schleppenden Verlauf kann auch Oberstaatsanwalt Wirsig nicht genau erklären. Es habe „Reibungsverluste“ bei den Ermittlungen gegeben, sagt er vorsichtig. Da die Angreifer nicht in Berlin und Brandenburg lebten, sei man auf die länderübergreifende Zusammenarbeitet mehrerer Behörden angewiesen.

Es dauert eine Weile, bis sich der Oberstaatsanwalt zu einer konkreteren Aussage hinreißen lässt. Ungewöhnlich direkt kritisiert er schließlich, dass die Ermittlungsanweisungen der Schweriner Staatsanwaltschaft „nicht mit der gebotenen Schnelligkeit“ umgesetzt worden seien. Doch nun sei das Verfahren „auf der Zielgerade“, versichert Wirsig am Schluss. Man warte lediglich darauf, dass die polnischen Zeugen vernommen werden können.

Rechtsanwalt Stephan Schrage, der von dem Geschädigten Jan S. als Nebenklagevertreter eingeschaltet wurde, kann derartigen Versprechen kaum noch glauben. Er hält das Vorgehen von Polizei und Justiz gegen die Kameradschaft Germania für einen Skandal.

Opfer nicht vernommen

Neben der Tatsache, dass die Polizeibeamten tatenlos zugesehen hätten, wie die Neonazis ihre überraschten Opfer angriffen, kritisiert er weitere Ermittlungsfehler. So hätte die Polizei die polnischen Punks direkt vor Ort vernehmen können – „dann müsste man jetzt keine Amtshilfeersuchen zur Zeugenvernehmung nach Polen schicken“, so Schrage. Unverständlich ist dem Berliner Anwalt auch, warum die Haftbefehle gegen die rechten Angreifer innerhalb kürzester Zeit wieder ausgesetzt wurden. „So werden Neonazis regelrecht ermuntert, weiterzumachen“, sagt Schrage.

Beispielsweise Lutz Giesen, einer der Anführer der Kameradschaft, gegen den ebenfalls wegen des Angriffs auf die Punks ermittelt wird. Der vorbestrafte Giesen, gegen den in den letzten zehn Jahren über 40 einschlägige Ermittlungsverfahren anhängig waren, scheint sich keine ernsthaften Sorgen um den Ausgang des Ermittlungsverfahrens zu machen. Stattdessen hält er die eigenen Kameraden und die Polizei weiter auf Trab. Zuletzt im Februar dieses Jahres, als er mit der Anmeldung einer Neonazi-Mahnwache am Todestag des SA-Führers Horst Wessel für Schlagzeilen sorgte.

Auch ansonsten gibt sich die Kameradschaft Germania weiter militant: Besucher der Kameradschafts-Homepage werden dort von „Radio Germania“ neben Zeit- und Datumsangabe mit „88 Kameraden“ begrüßt – dem szeneinternen Zahlencode für den verbotenen Hitlergruß.