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: Spaniens Staub in Max Aubs „magischem Labyrinth“

Anarchistische Suada

Vor etwa einem Jahr kursierte unter Big-Brother-Fans ein bis auf den heutigen Tag nicht überprüftes, da absolut glaubhaftes Gerücht: Das erste spanische Big-Brother-Team, so hieß es, hätte bereits nach 48 Stunden solidarisch und in beispielloser Wut sämtliche Kameras im Container zerstört, sodass die Fernsehshow abgebrochen werden musste.

Es gehört nicht viel kulturalistische Verblendung dazu, um solche Gesten des Widerstands als typisch spanisch zu bezeichnen und mit der anarchistischen Tradition dieser exzentrischen europäischen Region – „Finis Terre“ – in Verbindung zu bringen.

Apropos Anarchie. An Spanien kommt man sowieso nicht vorbei. Genauer: am Spanischen Bürgerkrieg. Also Hans Magnus Enzensberger, George Orwell und jetzt Max Aub. Den „Kurzen Sommer der Anarchie“ gibt es jedoch ebenso wenig auf MC oder CD wie die „Hommage to Catalonia“ – doch dafür das schöne Projekt, sämtliche Werke aus Max Aubs Bürgerkriegs-Romanzyklus „Das magische Labyrinth“ ins Hörspielformat zu transformieren.

Von den großen Romanen, die der Autor im mexikanischen Exil schrieb, geben die Hörbücher allerdings bloß kleine Geschmacksproben, die zur Lektüre einladen. Das ist schon mal nicht schlecht: Aub gilt zwar als einer der wichtigsten spanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, ist aber trotz seines deutschen Vaters hierzulande ziemlich unbekannt geblieben. Zugleich funktionieren die Hörversionen – in der Funkbearbeitung von Ulrich Gerhardt rigoros gekürzt – aber auch eigenständig: als kunstvolle Fragmente, die zwischen inszeniertem Dokumentationsschnipsel und Drama oszillieren.

Vor kurzem erschien die dritte von sechs Hörspielfassungen: „Blutiges Spiel“, von Gerhardt eingedampft auf den Fiebermonolog des in Madrid tödlich verwundeten Archivars Don Leandro. Es ist Leandros geistiges Testament, das er auf der Flucht nach Viver de las Aguas spricht, und Rolf Boysen flüstert dieses Traktat über die afrikanisch-arabischen Wurzeln Spaniens beschwörend in eine Gegend, die man sich absolut karg und sonnenverbrannt vorstellt, und manchmal scheint er’s auch geradezu auszuspucken, direkt in Dreck und Staub.

Durch Don Leandro verkündet Aub eine krude Philosophie, die ebenso voluntaristisch wie geschichts- und abstammtungsversessen argumentiert: Die Spanier seien Nachfahren von Beduinen und Nomaden – daher ihre Verachtung für sesshafte Bauern und Bürger –, also quasi Afrikaner. Gleichwohl habe der Anarchismus hierzulande weniger mit Bakunin zu tun als mit maurischen Gelehrten; er vertrage sich aber dennoch prächtig mit dem Christentum und sei im Übrigen weniger Utopie als permanente Kriegshaltung: Kampf für ein herrschaftsfreies Leben nach Lust und persönlicher Würde, jenseits jeglicher Moral.

Ernst Jünger? Von dem könnten jedenfalls theoretisch die beiden schönsten Sätze der knapp einstündigen Suada stammen: „Erleuchtung erfährt man nicht, indem man zehn Stunden am Tag arbeitet. Arbeit schadet dem Menschen.“

Obgleich das alles natürlich heftig zum Ich-bin-stolz-ein-Spanier-zu-sein-Haften tendiert und dem Graswurzelanarchisten die Zehennägel aufstellen dürfte, ist Don Leandros essayistischer Monolog ein herber, schöner, aufs Äußerste gespannter Text. Dass Aub damit nur eine von vielen mehr oder minder radikalen Positionen der Bürgerkriegszeit wiedergab, zeigt zum Beispiel die tragikomische Geschichte des Jorge Mustieles – einer von acht Lebensläufen, die Aub im Roman „Theater der Hoffnung“ erzählt.

Mustieles ist, ganz anders, als die Theorien Don Leandros es behaupten, ein ausgesprochen entscheidungsunfreudiger, unter seinem wohlhabenden, stockkonservativen Vater und seiner Feigheit gleichermaßen leidender junger Mann – und zwar so sehr, dass er damit Unglück und Tod über sich und seine Familie bringt.

Die Hörspielfassung stützt sich dabei angenehmerweise stark auf Dialoge, wechselnde Erzähler und die verzweifelt gehetzte Stimme von Tobias Lelle. Was man sich dann auch prächtig vorstellen kann: dass ein nicht gänzlich unsympathischer Weichei-Psychopath wie Jorge von libertären Ideen begeistert war. Hier erkennt man sich wieder: Anarchy – you can’t beat the feeling. EVA BEHRENDT

Max Aub: „Blutiges Spiel“. Funkbearbeitung und Regie: Ulrich Gerhardt, 1 CD, Eichborn Berlin, 2001, 34 DM Bislang in derselben Reihe erschienen: Max Aub: „Theater der Hoffnung“, 1 CD, Eichborn Berlin, 2000, 34 DMMax Aub: „Nichts geht mehr“, 1 CD, Eichborn Berlin, 2000, 34 DM