„Freiheit hat zwei Seiten“

Martin Vogel, einer der Väter des neuen Urhebervertragsrechts, spricht über die Angst der Verleger vor „angemessener“ Bezahlung und den Übersetzer, der Thomas Mann ins Turkmenische überträgt

Martin Vogel (53) ist Richter am Europäischen Patentamt in München. Als Urheberrechtsexperte berät er das Justizministerium schon seit 1994. Gemeinsam mit vier Rechtsprofessoren hat er im Vorjahr den so genannten Professorenentwurf zum Urhebervertragsrecht vorgestellt.

taz: Herr Vogel, Sie haben mit anderen Juristen zusammen das neue Urhebervertragsrecht entwickelt. Warum engagieren Sie sich eigentlich so für die Rechte von gut verdienenden Bestsellerautoren und Starregisseuren?

Martin Vogel: Genau um die geht es in diesem Gesetz natürlich nicht. Die etwa 1,5 Prozent der Branchenstars, die bereits jetzt auf gleicher Augenhöhe mit ihren Abnehmern verhandeln können, benötigen kein Schutzgesetz.

Um wen geht es dann?

Das neue Urhebervertragsrecht ist ein Gesetz für die Schlechterverdienenden. Damit meine ich die Freiberufler, deren Stellung so schwach ist, dass sie sich bisher gegen eine „unangemessene“ Bezahlung nicht wehren konnten.

Werden in der Kunst- und Medienbranche wirklich alle – außer einer Hand voll Branchenstars – „unangemessen“ bezahlt?

Nein, natürlich nicht. Wo es zum Beispiel Tarifverträge und andere Vereinbarungen gibt, besteht meist eine „angemessene“ Vergütung. Aber in weiten Teilen der Kulturwirtschaft fehlen eben Schutzmechanismen und lassen sich bisher auch nicht durchsetzen. Hier muss der Gesetzgeber eingreifen und die Verhandlungsposition der Schwächeren verbessern.

Die Verleger sehen dabei allerdings die Vertragsfreiheit, eine der Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung, in Gefahr.

Die Verleger sollten sich daran erinnern, dass sie gerade erst vehement – und aus meiner Sicht völlig zu Recht – die Buchpreisbindung und damit eine Beschränkung der Vertragsfreiheit verteidigt haben. Vertragsfreiheit hat aber immer zwei Seiten; sie ist auch die Freiheit des anderen und nicht allein das Recht einer Seite, nach Gutsherrenart bestimmen zu können.

Wo sehen Sie besonders krasse Verhältnisse?

Unausgewogene Verträge sind häufig bei literarischen Übersetzern und Buchillustratoren sowie bei Fotografen und freien Journalisten an Tageszeitungen anzutreffen.

Ein Verleger sagte neulich: Man könne unmöglich einen Thomas Mann mit dem Übersetzer gleichstellen, der ihn ins Turkmenische übertragen hat ...

Das verlangt ja auch niemand. Dennoch muss auch ein Übersetzer „angemessen“ bezahlt werden. Es ist eine äußerst anspruchsvolle Leistung, ein literarisches Werk in seiner ganzen Atmosphäre in eine andere Sprache zu übertragen. Hier genügt kein Einmalhonorar, vielmehr müssen auch Übersetzer am eventuellen Erfolg eines Buches beteiligt werden.

Die Verlage behaupten ja, dass sie auch heute schon „angemessen“ bezahlen ...

Wenn die Verlage heute durchweg faire Verträge abschließen würden, hätten sie nicht solche Angst vor diesem Gesetz. Das Problem ist aber eher, dass sie Unsummen für die Lizenzen ausländischer Romane ausgeben und dann nicht mehr genug Geld haben, die Übersetzer ordentlich zu bezahlen.

Kleine Verlage können ihren Autoren, Übersetzern und Illustratoren oft einfach nicht mehr geben, sonst verschwinden sie vom Markt ...

Jetzt schicken die großen Verlage die kleinen vor, um Mitleid zu erregen ... Niemand will die kleinen Verlage kaputtmachen. Wo wenig verdient wird, kann auch wenig bezahlt werden, das ist doch klar. Aber auch bei kleinen Verlagen müssen Risiken und Nutzen gerecht verteilt werden. Mehr will das Gesetz gar nicht.

Wie ist das in Bereichen, in denen derzeit noch gar kein Geld verdient wird – etwa wenn eine Zeitung die gedruckten Texte ihrer Mitarbeiter und Korrespondenten ergänzend ins Internet stellt?

Dann ist das eine separate Nutzung, die zusätzlich und wiederum „angemessen“ bezahlt werden muss. Eine Zeitung geht schließlich nicht aus Spaß und Idealismus ins Internet, sondern weil sie dies für wirtschaftlich sinnvoll hält.

Manche Zeitungen versuchen jetzt noch schnell Verträge abzuschließen, bei denen die Journalisten dem Verlag freiwillig sämtliche Verwertungsrechte übertragen ...

Ich würde so etwas nicht unterschreiben. Im Übrigen wird das neue Gesetz auch Verträge erfassen, die jetzt noch kurz vor Inkrafttreten ausgehandelt werden.

Fürchten Sie nicht die Verlagerung von Arbeitsplätzen, wenn die Standards in Deutschland spürbar steigen? Ein Privatfunksprecher drohte neulich bereits, dass man bald in anderen Ländern drehen und produzieren werde ...

Gerade im Bereich der Kultur ist das unseriöses Geklingel. Man kann schließlich keinen deutschen Krimi in der Ukraine drehen.

Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Nutznießer des neuen Gesetzes?

Es sind wohl 100.000 Personen, die als Urheber oder ausübende Künstler mit diesem Gesetz abgesichert werden. Im Übrigen nützt das Gesetz ja auch Verlegern und anderen Rechteverwertern. Denn wenn sie allgemeine Vergütungsregelungen mit den Urheberverbänden aushandeln, gewinnen sie an Rechts- und auch an Planungssicherheit.

GESPRÄCH: CHRISTIAN RATH