Born to be blond

Norma Jean hatte weder helles Haar, noch war sie dumm. Doch dann kam Marilyn

von ELISABETH BRONFEN

Sie bleibt für uns ein schillerndes Rätsel. Nicht zuletzt wegen der Verschwörungstheorien und Spekulationen, die ihren frühzeitigen Tod im Alter von 36 Jahren überschattet haben. Heute wissen wir: Marilyn Monroe, die Glamour-Ikone weiblicher Verführungskraft, wurde ihr Leben lang von einer tiefen Einsamkeit begleitet, und so gewinnt man beim Anblick ihrer Fotos schnell den Eindruck, ihr strahlendes Lächeln drohe stets in eine untröstliche Traurigkeit umzukippen. Geboren als uneheliche Tochter einer Filmcutterin, die sehr bald aufgrund ihrer Geisteskrankheit in eine Anstalt eingeliefert wurde, wuchs Norma Jean Baker Mortenson bei Ersatzfamilien und in Waisenhäusern in der Umgebung von Los Angeles auf. Nur eines hatte ihre Mutter Gladys ihr mit auf den Weg gegeben: den Ehrgeiz, wie die von ihr vergötterten Filmstars der Dreißigerjahre zu werden. Wenn man niemand ist, so die Logik dieser Bewunderung, dann kann man nur jemand werden, indem man jemand anderes wird.

Geliftet, begradigt, gefärbt

Bereitwillig ließ sich Norma Jean denn auch von der Twentieth Century Fox umgestalten. Ihre Nase wurde geliftet, die Zähne begradigt, ihre Haarlinie nach hinten versetzt, die Haare platinblond gefärbt und ihr schwerfälliger Name auf ein wohlklingendes doppeltes M – Marilyn Monroe – reduziert. Aus dem verwahrlosten Kind wurde zunächst das reizvolle Cover-Girl und Pin-up der Kriegsjahre, dann das ehrgeizige Starlet in „The Asphalt Jungle“ und „All about Eve“, das keine Publicity scheute, um sich größere Filmrollen zu ergattern, bis sie dann als Femme fatale in „Niagara“ in jenem Starkörper angekommen war, mit dem sie zur einmaligen Königin der Sexkomödie wurde.

Nachträglich fällt es uns leicht, in ihrem Drang nach Ruhm eine Kompensation für die Mängel der eigenen Biografie entdecken zu wollen – für die Minderwertigkeitsgefühle und die Überzeugung, ein Spottobjekt zu sein. Selbst nachdem sie sich einen festen Platz in der amerikanischen Öffentlichkeit erworben hatte – als Gattin des ehemaligen Football-Stars Joe DiMaggio und später des Pulitzer-Preis-Trägers Arthur Miller sowie als Freundin der Kennedys –, behauptete sie selbst in der Presse, nur ihre Arbeit würde ihr festen Boden unter den Füßen bieten. Doch obgleich sie der letzte große weibliche Star des klassischen Studio-Systems war, wurde sie nie für den Oscar nominiert. Scheinbar bestand ihr Problem darin, weder dumm noch blond zu sein, doch nur in diesem Kunstkörper den ersehnten Ruhm erlangen zu können. Tatsächlich war ihre Antwort auf die Klischeevorstellung, Männer würden Blondinen bevorzugen, eine überzogene Inszenierung der Farbe Weiß.

Wider Hollywoods Zensur

Oft wirkt Marilyn Monroe wie ein strahlender Körper, dessen bleiches Gesicht nahtlos übergeht in die platinblonden Haare und dessen helle Haut sich mit den eng anliegenden Kleidungsstücken derart verschränkt, dass man gar keine Körpergrenzen, sondern vielmehr eine einzige Körperbewegung wahrzunehmen meint. Von ihren Regisseuren auf ihre Sexualität reduziert, stellte sie diese zudem so bewusst zur Schau, dass nicht nur deutlich wurde, wie wenig ihre Ausstrahlungskraft sich darauf beschränken ließ. Sie beharrte auch immer wieder darauf, dass eine offen dargebotene Sexualität das Weiblichkeitsbild der Fünfzigerjahre weit überschritt. Ob in „Niagara“ nackt unter einem Betttuch liegend, um dieses dann unauffällig während der Dreharbeiten beiseite zu schieben, ob in „The Seven Year Itch“ über einem U-Bahn-Schacht stehend, um durch den Wind des vorbeifahrenden Zuges ihren Rock immer höher flattern zu lassen: Es war ihr dezidiertes Anliegen, Hollywoods Zensurbehörden zu umgehen.

Die weit verbreitete Neigung, Marilyn Monroe als Opfer eines ausbeuterischen Studiosystems zu begreifen, verfehlt also nicht nur ihr unübertreffliches fotografisches Charisma. Ihre Unberechenbarkeit könnte auch als Widerstand gegen Ideologie und Kommerz gesehen werden, aus denen allein sie auch entstehen konnte. Nirgends wird dies deutlicher als in den Anekdoten, die über die Dreharbeiten zu „Some Like It Hot“ nachträglich in Umlauf gesetzt wurden. Tatsächlich machte sie ihre Mitmenschen durch ihre Unpünktlichkeit und ihre Vergesslichkeit rasend. Listig vermochte sie es, ihre männlichen Partner zu erschöpfen und erst dann aus dem Vollen zu schöpfen, als deren Kräfte bereits nachgelassen hatten. Dabei konnte sie damit rechnen, dass Billy Wilder, vor die Wahl gestellt, welche der takes er nehmen sollte, immer zu ihren Gunsten entscheiden würde. Ihre scheinbare Fragilität erwies sich als tauglichste aller weiblichen Waffen.

Bedenkt man, dass es in „Some Like It Hot“ um die Frage geht, ob Weiblichkeit etwas Authentisches sei oder ob auch Männer sich diese als Maskerade aneignen könnten, und bedenkt man ferner, dass die unschlagbare sexuelle Ausstrahlung Marilyn Monroes das Resultat von stundenlangen Make-up-Sitzungen war, wie auch die Rundungen ihres Körpers nur deshalb so vollkommen wirkten, weil sie oft in die eng anliegenden Kleider hineingenäht wurde, erscheint ihre gelungenste Folterszene wie eine bewusst inszenierte Geste der Aufklärung: Marilyn Monroe ließ Tony Curtis und Jack Lemmon einen ganzen Tag lang in Seidenstrümpfen und auf Stöckelschuhen herumstehen, mit Brust- und Hüftpölsterchen ausgestattet, weil es ihr scheinbar unmöglich war, den Satz „It’s me, Sugar“ auszusprechen. Billy Wilder hatte nach mehrfachen Fehlaufnahmen die drei Worte in großen Buchstaben an sämtliche Türen und Wände schreiben lassen. Doch dreiundfünfzig Mal verdrehte sie die Worte zu einem weniger eindeutigen Satz: „It’s Sugar, me.“

Heute erkennen wir leichter als damals: Das Charisma der Monroe nährt sich gerade von der Spannung, die sich aus dem Versuch, diesen Star auf eine Sexgöttin zu reduzieren, ergibt. Nur auf den ersten Blick funktionieren Fantasien wie die ihres Biografen Norman Mailer, dass nämlich Sex zwar schwierig und gefährlich mit anderen sei, mit ihr aber wie Eiskrem. Denn ob als Lorelei Lee in „Gentlemen Prefer Blondes“, als Sugar Kane in „Some Like It Hot“ oder als Rosilyn in „Misfits“, die von ihr gespielten dummen Blondinen wirken hilflos, bekommen aber schließlich doch, was sie wollen. Zudem spielt Marilyn Monroe die naive Kindfrau so überzeugend, dass man sich zwar einreden kann, dies gelinge ihr, weil es ihren eigenen Persönlichkeitskern treffe. Gleichzeitig ahnt man aber auch, wie sehr sie diesen medial erzeugten Starkörper voll im Griff hat. Sie selber erklärte in der Presse immer wieder: „In Wahrheit habe ich nie jemandem etwas vorgetäuscht. Ich habe Männern nur manchmal erlaubt, sich selber etwas vorzumachen.“

So gelang es ihr, der weiblichen Verkörperung des Sexsymbols eine ungeahnte Tiefe, Leidenschaft und Komik zu verleihen. Deshalb hat man auch heute mehr denn je den Eindruck, dass sie in ihrer Substanz das Stereotyp einer weiblicher Verführungskraft perfektionierte und gleichzeitig überschritt. Hatte sie doch selbst in Interviews betont: „Darin liegt das Problem – ein Sexsymbol wird zum Ding. Ich hasse es einfach, ein Ding zu sein. Aber wenn ich schon ein Symbol sein muss, dann lieber für Sex als für andere Werte, für die wir Amerikaner Symbole haben. Doch man wird dabei immer mit dem Unbewussten der Anderen konfrontiert. Es ist zwar schön, in den Fantasien anderer Menschen einen Platz einzunehmen, aber man möchte doch eigentlich gerne akzeptiert werden, für das, was man selbst ist.“

Ehrgeiz und Todessehnsucht

Erst nach ihrem Tod erkannte man, wie sehr unter der Oberfläche einer unbekümmerten Fröhlichkeit grenzenlose Selbstzweifel lauerten. Deshalb bleibt auch heute noch der Widerspruch erhalten: Wir erinnern uns an ihre himmlische Lebensenergie, die sie einen übermenschlichen Zauber ausstrahlen ließ, aber auch an die Ängste und Depressionen, die sie nur mit Tabletten bekämpfen konnte. Sie hat uns einen spannungsreichen Schwebezustand zwischen Lebensbejahung und Todestrieb vorgelebt, verkörperte also Gegensätze, die sich eigentlich ausschließen, die für sie aber aufs innigste verwandt waren. So wirkt sie auf einige, die seit ihrem Tod am 3. August 1962 über sie geschrieben haben, wie eine Schlafwandlerin, sensibel, verletzlich, unfähig, sich zu verteidigen, eine schüchterne Träumerin, die stundenlang in sich selbst versunken sein konnte. Andere sehen sie besessen vom Gedanken, ein Star zu werden. Während einige sich in ihr die kindliche Sexbombe vorstellen wollten, erwies sie sich in der Realität als zu intelligent, zu fordernd und zu kritisch, um wirklich zu gefallen. Sie verweigerte sich der amerikanischen Klischeevorstellung vom glücklichen und verlässlichen Star und lebte stattdessen ihren Mitmenschen eine eigenwillige Mischung aus Verletzlichkeit und Bedürftigkeit einerseits und einer Lumineszenz und Stärke andererseits vor. Doch was uns vor allem bei der Flut von Aufnahmen, die von Marilyn Monroe seit ihrem Tod veröffentlicht wurden, besticht, sind die unnachahmlichen Gesten, die von so vielen aufgegriffen wurden, und das Timbre der Stimme, das wir vielleicht erst, nachdem ihm nicht mehr das Stereotyp der dummen Blondine anhaftet, schätzen können.

Keinerlei Anerkennung

Kurz vor ihrem Tod schickte Marilyn Monroe ein Telegramm an Robert und Ethel Kennedy, dass sie zu einem Gala-Diner nicht kommen könne. Nachträglich lässt es sich wie eine erschütternd präzise Beschreibung ihres fragilen Stands als Filmstar lesen. Bis zum Schluss hatten die Bosse der Twentieth Century Fox sich nämlich unwillig gezeigt, Marilyn Monroes wirklichen Wert anzuerkennen. Sie hatten ihr nie eine dem Gewinn ihrer Filme entsprechende Gage gezahlt, noch ihr jene anspruchsvolleren Rollen angeboten, die ihr Talent verdient hätte. Mit diesem Telegramm weist sie implizit darauf hin, dass man sie, weil sie so oft zu den Dreharbeiten ihres letzten Films „Something’s got to give“ nicht erschienen war, gefeuert hatte und sie nun ihren Vertrag neu einklagen musste. Doch die Formulierungen, die sie wählt, lassen auch eine Einsicht in die eigene Versehrtheit erkennen, von der ihr Charisma sich immer genährt hatte: „Lieber Generalstaatsanwalt und Frau Kennedy. Ich hätte liebend gerne ihre Einladung angenommen. Unglücklicherweise werde ich von einem Freiheitsritt in Anspruch genommen, bei dem es um einen Protest gegen den Verlust an Minderheitsrechten geht, die die wenigen noch lebenden erdgebundenen Stars besitzen. Schließlich haben wir doch nichts anderes gefordert, als zu funkeln. Marilyn Monroe.“

Elisabeth Bronfen ist gemeinsam mit Barbara Straumann Autorin des Buches „Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung. Celebrity Culture im 20. Jahrhundert“, das im Herbst bei Schirmer und Mosel erscheinen wird