Kleiderkunst aus engstem Raum

Ulrike Möntmann stellt mit Frauen der JVA Vechta in Amsterdam Fantasiekleidung aus dem Gefängnis aus

Ulrike Möntmann hat sich entschieden. „Ich will mit den Mitteln der Kunst in die Politik eingreifen. Das Wichtigste an der ‚Kollektion Gefängnis Kleidung‘ ist, zu sehen. Es geht darum, das Hoffnungslose auszuhalten, die schlimmsten menschlichen Möglichkeiten zu ertragen, ohne sich dabei gleich abwenden zu wollen.“ Mit diesen Worten beschreibt die aus Osnabrück stammende und seit über 20 Jahren in Amsterdam lebende Künstlerin ihre Zusammenarbeit mit acht inhaftierten, hauptsächlich drogenabhängigen Frauen. Jetzt wurde im Foyer des Landesgerichts von Amsterdam eine Ausstellung mit Kleidungsstücken aus dem Knast eröffnet.

Der Ort ist gut gewählt. Denn dort, wo über das Schicksal von Angeklagten entschieden wird, provoziert die Innenansicht des Kerkers zum Widerspruch. Hinter roten Backsteinmauern weggeschlossen, dringt das Aufbegehren der Gefangenen nun lautlos in einen modernen architektonischen Glasbau vor, in dem 156 Richter Recht sprechen. Die Frauen legen Zeugnis ab, indem sie wie in einem Spiegel ungleiche Lebenschancen dokumentieren.

Jedes Kleidungsstück wirkt wie ein Fragment. Amputiert, zerstückelt oder in surrealistischer Weise verändert, erzählen die Inhaftierten mit ihren überdimensional großen Objekte vom Leben hinter Gittern. Aus der Ferne sehen die aus Knastwolldecken, Streckverbänden und Mullbinden hergestellten Kleider filigran aus. Sie sind „anziehend“ und „abstoßend“ zugleich, je nach Blickwinkel. Zuerst erwecken sie das Gefühl wohliger, einschmeichelnder Wärme. Je näher der Besucher jedoch dem Gegenstand kommt, desto mehr entpuppt sich das Material als spröde und rau. Der Kontrast könnte nicht größer sein, und er passt zu der darin festgehaltenen, uneingelösten Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe.

Für Möntmann ist dies bereits die dritte Zusammenarbeit mit Gefangenen. „1997 begann für mich die Kooperation zwischen Kunst und Knast“, sagt sie. Damals kreierte sie das „lücke-projekt“, in dem 18 Vechtaer Frauen ihre „Lücken“ – Defizite ihres Lebens – als menschengroße Vasen in Wachs modellierten. Darauf folgte „heart core“ im Bremer Männerknast, wo zum Thema „value and preciousness“ (Werte und Wertvolles) Objekte gestaltet wurden. Für die „Kollektion Gefängnis Kleidung“ entwarfen und nähten Monika Zielinski und A. G. – die damals inhaftierte Jugendliche wollte anonym bleiben – das Objekt „Zwei Hemden. Aneinander geklettet.“ In inniger Umarmung klammern sich zwei Hemden aneinander. Die äußere Haut besteht aus Klettbandstoff, während das Innenfutter aus dem kratzigen Wollstoff der Knastdecken genäht wurde. Zusätzlich verfremdeten die Künstlerinnen die Kleidung, indem sie Hände an die Arme nähten und dadurch die Armöffnung verschlossen. An einem Bügel aufgehängt wirken die Hemden unentrinnbar zusammengefügt.

A. G. wurde noch vor Ausstellungseröffnung entlassen. Aber vorher zog sie das lose Futter des Hemdenobjektes an und führte es im Vechtaer Gefängnis vor. Die anderen Häftlinge waren begeistert. Seitdem begannen andere Inhaftierte, die vorher so verhassten Decken zu klauen, um sie ebenfalls weiterzuverarbeiten. „In der nächsten Phase des Projekts mit den Vechtaer Frauen werden wir eine tragbare Kollektion Gefängnis Kleidung herstellen“, erzählt Möntmann. Es soll eine Konfektion kreiert werden, die sich speziell an den Bedürfnissen der Inhaftierten orientiert. Wer diese Kleidung trägt, will zeigen, wo er herkommt. Die Jacke aus Knastwolldecken trägt das Markenzeichen der JVA als Logo.

Der Freiraum der Kunst erlaubt den Inhaftierten, auch im Gefängnis ihre Identität zu suchen und sich selbst zu verwirklichen. „Im Knast ist alles heftig“, fährt die Amsterdamer Künstlerin fort. Wie in einem Brennspiegel konzentriert sich alles auf engstem Raum: „Jeder steht dort mit dem Rücken zur Wand. Knast erzieht niemanden zu einem besseren Menschen. Stattdessen herrschen extreme Gefühle auf allen Seiten.“ Diese Bedingungslosigkeit des Seins reflektieren die ausgestellten Kunstwerke ohne Netz und doppelten Boden.

ELLEN MEYER

„Kollektion Gefängnis Kleidung“, bis 28. 9., Landesgericht, Amsterdam