Unentschieden aus Prinzip

Diese Musik will das Kommunistische Manifest des Pop werden. Und manchmal singt auch nur ein telefonierender Papagei: Bei No Underground wird Philosophie zu Pop. Das verstehen nicht alle

von THOMAS WINKLER

Pop kommt von populär. Pop muss simpel sein, für die Massen. Pop muss Traumwelten entwerfen und Fluchtraum bieten vor der Realität. Pop ist Lüge. Sein Pop sei anders, sagt Robert Defcon. Sein Pop wolle Verwirrung stiften und gerade so die Welt erklären. Sein Pop biete nicht eine Alternative, sondern viele. Sein Pop, so will es Defcon, kann nicht lügen, weil er erst Unentschiedenheit schafft.

Robert Defcon ist die eine Hälfte von No Underground, eines Berliner Elektronik-Projekts, deren Musik auf ihrem neuen Album „Burn My Body“ beim ersten Hören so wirkt wie durchschnittliche Club-Beschallung. Tatsächlich aber will sie die Darstellung „der ekstatischen Überschreitung in tödlicher Selbstauslöschung“ sein. Diese Musik will das Kommunistische Manifest des Pop werden. Mindestens.

Die Geschichte von Robert Defcon beginnt Mitte der 90er-Jahre in der Berliner Wohnzimmerszene. Privatwohnungen werden zu Clubs erklärt, ohne Schanklizenz wird Alkohol verkauft und bei intimen Konzerten selbst gebackene Plätzchen verteilt. In einer dieser Wohnungen lebt Tim Nowacki. Seine Band, die ausschließlich aus Studenten der Philosophie besteht, nennt er: Wohnung. Man spielt zurückgelehnte Elektronik und liedermacherhaften Schrammelpop, und veranstaltet ständig Release-Partys für ein Album, das in verschiedenen Rohfassungen in Umlauf kommt, begleitet von noch mehr programmatischen Pamphleten. Letztlich aber erscheint es nie.

Aus Wohnung entwickelt Nowacki schließlich zusammen mit dem Bassisten Fels No Underground. Nowacki nennt sich Robert Defcon nach dem Armeekürzel für Verteidigungszustand, „Defence Condition“, Fels gibt sich das Pseudonym Dr. Phelbs. Zum Konzept gehören stundenlange Live-Improvisationen jeden Mittwoch im gerade frisch eröffneten Club Maria, wo man für ein Jahr zu einer Art Hausband wird. Mit „Free Transform“ erscheint 1999 das Debut von No Underground – und stößt auf Unverständnis. Die Presse assoziiert von „Party-Sound“ bis zu „zappaesken Eskapaden“ oder erklärt Phelps und Defcon gleich zu „Siegfried & Roy“. Währenddessen verfasst Defcon weiter Erklärungen.

Nowacki hat sehr genaue Vorstellungen von seiner Band, von Musik als Strategie, von politisch relevanten Klängen. Sein Problem ist: diese Strategie zu vermitteln. Er wolle „Alternativen anbieten“, sagt Nowacki, Unentschiedenheit stiften, Denken provozieren, „alltägliche Selbstgewissheiten in Frage stellen“, im gleichen Satz Heidegger und die Doors zitieren.

Wer nun glaubt, dass Musik hier womöglich überfordert wird, steht nicht allein – dem Bandkollegen geht es nicht anders. „Ich sehe die Gefahr“, sagt Fels, der die Philosophie nach zwei Semestern wieder aufgab, „dass die Popwelt nicht das richtige Forum ist für die Art von Diskussion.“ Er selbst sieht sich als Gegengewicht zu Nowacki, als „bürgerliche Reflektionsfläche“: „Wenn ich mich unbehaglich fühle, dann ist das genau die Reaktion, die der Durchschnittsbürger auch haben würde.“ Eine Reaktion, an deren Ende im Idealfall nichts weniger als die Revolution stehen müsste.

Dabei sehen Defcon und Phelbs in ihren altmodisch-schicken Trainingsjacken und labberigen Jeans nicht unbedingt aus wie ein philosophisches Terrorkleinkommando, eher wie ganz normale Slacker von nebenan. Und auch ihre Musik täuscht erst einmal Eingängigkeit vor. Aber auf „Burn My Body“ findet das Konzept Unentschiedenheit seine Fortsetzung im Sound. Eine schwitzige Swamp-Blues-Nummer wird abgeschlossen von einer fröhlichen Melodie aus einem deutschen Heimatfilm. Eine wunderschöner, verrauchter R & B-Track wird unterlegt mit nervös flatternden elektronischen Effekten. Ausgerechnet am Ende von „Pornostaat“, einem Instrumental, steht unverständliches Gebrabbel. „Ein telefonierender Papagei, unbearbeitet“, erzählt Fels. Der Track endet mit der von einer Kinderhörspielplatte gesampelten Aufforderung: „Denk mal drüber nach!“

No Underground: „Burn My Body“ (Nois-O-Lution/Vielklang). Tour: 6. 6. Berlin, 7. 6. Hamburg, 8. 6. Hildesheim, 9. 6. Kassel, 11. 6. Bayreuth, 12. 6. München, 13. 6. Neu-Ulm, 14. 6. Frankfurt/Main, 15. 6. Erfurt, 16. 6. Chemnitz