„Rebellion ist ein Geschäft“

Lokal hören, global handeln: Der Musiker Manu Chao über ein Laboratorium namens Lateinamerika, Reisende mit und ohne Pass, MTV und Chiapas, Großmutter in Galizien und die Lou Reeds der Straße

Interview DANIEL BAX

taz: Herr Chao, Sie sind in Paris aufgewachsen, als Kind spanischer Eltern. Wie hat Sie diese Herkunft geprägt?

Manu Chao: Als Kinder sind wir jeden August unsere Großmutter in Galizien besuchen gefahren. Damals haben wir das als Qual empfunden – wir wollten lieber in Paris bei unseren Freunden bleiben. Aber ich habe viel gelernt auf diesen Reisen.

Mein Vater dagegen konnte nicht nach Spanien zurück. Er ist dort noch heute sehr bekannt als einer der wenigen Journalisten, die von außen gegen das Franco-Regime anschrieben. In Paris kam er in Kontakt mit anderen Flüchtlingen und Exilanten aus Lateinamerika. Jeden Sonntag traf man sich in unserem Wohnzimmer. Als kleiner Junge habe ich nicht viel von den Gesprächen verstanden. Aber da herrschte stets so eine bestimmte Atmosphäre: Die Leute tranken Mate-Tee und hörten Platten.

Lateinamerikanische Musik?

Mein Großvater hatte viele Platten hinterlassen. Ich kannte ihn nicht – er starb, als ich zwei oder drei Jahre alt war. Aber er war eine Art Legende in unserer Familie. Er war mehrere Jahre auf Kuba verschwunden gewesen, und um dieses Verschwinden rankten sich viele Geschichten und Legenden, was er dort alles getan oder auch nicht getan haben soll. In meiner Vorstellung war Kuba deswegen ein geheimnisvoller, magischer Ort.

Was hatte ihn dorthin verschlagen?

Die Galizier sind so wie die Iren – viele Iren sind aus Armut nach Nordamerika ausgewandert, und die Galizier haben sich aus dem gleichen Grund über Lateinamerika verteilt. Bis vor ungefähr hundert Jahren gab es in Südamerika mehr Galizier als in Galizien selbst – sie waren überall! Mein Großvater muss ziemlich verrückt gewesen sein. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass jeder in seiner Familie berühmt werden sollte. Meinen Onkel hat er deswegen in die Kirche geschickt, weil er wollte, dass er eines Tages Papst wird. Und meinen Vater ließ er das Klavierspiel lernen, weil er wollte, dass der ein zweiter Chopin wird. Er muss ein ziemlicher Tyrann gewesen sein. Und das gilt bloß für die Jungs in der Familie – für die Mädchen soll es noch schlimmer gewesen sein.

Und wie ist Ihr Vater dann Journalist geworden?

Mein Vater ging nach Paris, um Berufsmusiker zu werden. Aber er litt schon mit fünfundzwanzig an Arthritis in den Fingern und konnte deswegen nicht weitermachen. Ich habe allerdings nie verstanden, warum er das Klavier ausgerechnet gegen eine Schreibmaschine eingetauscht hat (lacht).

In den Achtzigern haben Sie damit begonnen, Punkrock mit spanischen Elementen zu vermischen, und für den Stil Ihrer Band Mano Negra den Ausdruck Patchanka geprägt. Woher stammt das Wort?

Aus der Zeit, als ich zu meiner Großmutter nach Galizien fuhr, und dort die Fiestas miterlebte Ich spielte zuerst in einer Rock-’n’-Roll-Band, den Hot Pants. Doch wann immer ich nach Spanien fuhr und dort meine Freunde traf, hörten die lieber Flamenco, von Virtuosen wie El Camarón de la Isla bis hin zu den billigen Flamencoschlagern all dieser Chicos und Chungitos. Das war die Musik der Straße, und alle B-Boys hörten diese Musik. Rock dagegen galt als Musik der Mittelschicht.

Als wir zurück nach Paris kamen, haben wir diese spanischen Stücke nachgespielt, und jeder hat mir gesagt: Das musst du auf der Bühne spielen, das ist fantastisch. Patchanga ist ein Ausdruck für die Sorte Musik, die man in Spanien auf den Fiestas spielt – leichte Unterhaltung, die gemeinhin als Schrott abgetan wurde. Wir haben das adaptiert und mit einem K versehen – Patchanka – um den etwas heftigeren Charakter zu betonen.

Als wir dann aber einmal in Spanien gespielt und diese spanischen Schlager eingestreut haben, da war das Publikum wie vor den Kopf gestoßen. Ein Freund nahm mich beiseite und sagte mir: Manu, bitte, tu das nicht: Das ist doch Müll. Zu jener Zeit war das einfach nicht akzeptiert, Rock zu mischen mit dieser . . . Zigeunermusik. Denn die Leute, die diese Musik hörten, waren entweder Zigeuner oder Junkies, nicht selten beides zusammen. Ich jedoch fand diese Musik interessant, denn die Texte erzählten vom Gefängnis, vom Heroin, und die Sänger waren lauter kleine Lou Reeds.

Sie selbst behaupten sich bis heute noch gerne als Musiker auf der Straße. Spielen Sie dort lieber als im Saal?

Ich mag beides. Es ist gut abzuwechseln, um nicht in Routine zu verfallen. Leute, die auf der Straße spielen, träumen oft davon, auf großer Bühne zu stehen. Und Leute, die auf großen Bühnen spielen, sind manchmal so gelangweilt, dass sie sich wünschen, sie könnten wieder auf der Straße spielen.

Haben sich Mano Negra deshalb aufgelöst, aus Langeweile?

Es ist uns nie gelungen, uns zu langweilen. Wir haben uns vorher aufgelöst (lacht).

Wie treffen Sie heute die Musiker, mit denen Sie arbeiten?

Durch Zufälle. Und mir ist die menschliche Beziehung wichtiger als die Frage, ob jemand nun ein besonders guter Musiker ist. Die Alchemie muss stimmen.

Ihre neue Platte lag fast zwei Jahre in der Schublade, die Veröffentlichung wurde wegen des großen Erfolgs von „Clandestino“ immer wieder verschoben. Was haben Sie seit den Aufnahmen gemacht?

Ich war auf Tour in Südamerika, mehrere Monate lang. Außerdem bin ich viel gereist, in Brasilien und Mexiko, und dann zum ersten Mal in Westafrika, im Senegal und in Mali.

Was fasziniert Sie gerade an Lateinamerika so sehr?

Dieser Kontinent hat fünfhundert Jahre Vorsprung zu allen anderen. Es ist ein einzigartiges Laboratorium, was die Vermischung der Kulturen angeht. Dort findet man alles: Afrika, Europa, Asien. In São Paulo leben zwei Millionen Japaner neben libanesischen Gemeinden. Es ist Babylon.

Sind Sie selbst ein „Clandestino“, ein unerkannt Reisender?

Nein, denn ich besitze einen Pass, einen Erste-Welt-Pass. Ein echter „Clandestino“ zu sein dagegen hat nichts von der Romantik an sich, die in dem Begriff mitschwingen mag.

Kennen Sie viele Leute, die keinen Pass besitzen?

Oh ja, viele. Am schlimmsten ist es in Afrika. Deswegen hat sich dort viel Wut angestaut. Eines Tages war ich im Senegal unterwegs, und ein Polizist hielt mich an. Ich hatte meine Papiere zu Hause vergessen, und natürlich machte mir der Beamte Scherereien. Ein Mann, der die Szene beobachtet hatte, sprach mich daraufhin an: Wer glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Ich bin Rechtsanwalt, und jedes Mal, wenn ich nach Frankreich fahre, werde ich dort von der Polizei angehalten und behandelt wie ein Dieb. Und Sie, Sie kommen hierher und glauben, Sie brauchen keinen Pass? Ich habe mich daraufhin bei ihm entschuldigt. Denn er hat Recht: Als Afrikaner in Europa bist du verpflichtet, deinen Pass immer bei dir zu haben, wie ein Hund seine Marke.

Haben Sie in Südamerika auch so eine Wut erlebt?

Weniger. In Lateinamerika richtet sich die Wut eher gegen die USA, gegen die Gringos – auch wenn man versucht, sie mit ihrer Kultur zu kopieren.

Inzwischen gibt es in Lateinamerika aber eine eigenständige Latin-Rock-Bewegung. Standen Mano Negra da Pate?

Rockmusik in Lateinamerika war lange Zeit, mehr noch als in Spanien, die Musik der Mittel- und Oberschicht. Denn um eine elektrische Gitarre zu kaufen, braucht man viel Geld. Und wer Geld für eine Gitarre hatte, der machte Rockmusik und kopierte nordamerikanische Bands. Aber in den letzten zehn Jahren hat sich da sehr viel geändert.

Als wir mit Mano Negra 1992 das erste Mal nach Südamerika kamen, haben uns viele Journalisten gesagt: Ihr habt hier wirklich eine große Bewegung angestoßen. Ich empfand das nicht so, denn wir sind dort auf viele Leute getroffen, die versucht haben, Rockmusik mit lokalen Stilen zu mischen. Doch sie haben sich anfangs nicht so recht getraut – als würden sie sich dafür schämen. Aber als sie gesehen haben, wie wir alles durcheinander warfen, haben sie das als Signal begriffen: Die Tür steht offen, lasst uns einfach durchgehen.

Hatte das auch eine politische Dimension?

Sehr stark sogar. Man spricht deswegen von der Latin-Rock-Familie – mit allem, was dazugehört. Darunter gibt es Opportunisten wie Idealisten . . .

Welche Rolle spielt MTV für diese Bewegung?

Ich bin kein großer Fan von MTV. Aber es ist ein gutes Informationsmedium. MTV war der erste Sender, auf dem man in Südamerika Mano Negra sehen konnte. Etwas unbehaglich fühle ich mich damit trotzdem. Mir spielt da zu viel Rebellions-Marketing mit. Die Leute, mit denen ich bei MTV zu tun hatte, sind oft wirklich cool. Aber letztlich geht es doch nur darum, ein paar Levi’s-Jeans mehr zu verkaufen.

Wie gehen Sie mit Ihrer Vorbildrolle um?

Jedes Mal, wenn ich aus Südamerika zurückkomme, habe ich am Flughafen Probleme mit meinem Gepäck: Es ist zu schwer von den vielen Tapes. Alle geben mir Ihre Demobänder und wollen von mir produziert werden. Aber nicht alles davon ist interessant – vieles klingt nach einem Mano-Negra-Verschnitt. Ich versuche dann, Ihnen auf eine nette Weise beizubringen: Ihr seid jünger. Ihr müsst Überraschungen bieten.

In Südamerika wird Ihre Musik als Symbol gegen uniforme Globalisierung betrachtet . . .

Ja, aber das war nie meine Intention. Ich mache nicht Musik gegen etwas – ich versuche, Musik für etwas zu machen.

„Clandestino“ war ja dem Kampf in Chiapas gewidmet . . .

Was mir an dieser Bewegung gefällt, ist, dass sie sich auflösen will, sobald sie ihr Ziel erreicht hat. Sie wollen keine Macht. Sie wollen lediglich in einer anderen Art und Weise leben wie der Rest des Landes, nach eigenen Regeln. Das heißt aber nicht, dass ich jede Art von Guerillabewegung unterstütze – einige davon sind Arschlöcher und sehr gefährlich.

Sind Sie sicher, dass Ihre politische Botschaft ankommt?

Es kann auch gefährlich sein, Politik und Musik zu sehr zu vermischen, wenn man berühmt ist – zu oft dient Rebellion nur dem Geschäft. Den eigenen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen und pure Demagogie – dazwischen liegt eine dünne Linie. Es ist zu einfach, bei einer Show, die nicht so rund läuft, einmal „Viva Chiapas“ zu rufen, um das Publikum aufzuwecken. Dann bist du ein Star und hast dich als großer Revolutionär bewiesen. Persönlich bemühe ich mich nun, das ein bisschen stärker zu trennen.