Somnambuler Rächer

Das Leben ist eine Veranstaltung der anderen, aber mit Gewehr kann man sich seinen Teil zurückholen. Hiroyuki Tanakas großartiger Film „Monday“

Ungläubig starrt er auf seine Erinnerung. Alles war tatsächlich so, das beweisen die Patronen-hülsen in seiner Hosentasche

von DETLEF KUHLBRODT

Koichi Takagi (Shinichi Tsutsumi) ist Jedermann: ein schüchterner Angestellter Mitte dreißig mit Brille, der die gesellschaftlichen Forderungen, die an ihn gestellt werden, gern erfüllt, weil er sich auch nichts anderes vorstellen kann. An einem Montagmorgen wacht er in einem Hotelzimmer auf und weiß nicht mehr, wer er ist und wie er dort hingekommen ist. Er hat sein Gedächtnis verloren wie so viele Helden junger japanischer Filme in den letzten Jahren.

In den Taschen seines schwarzen Anzugs findet er Dinge, die ihm helfen, sich allmählich wieder zu rekonstruieren: das Geister bannende Reinigungssalz beschwört die Erinnerung an eine groteske Beerdigungsfeier, bei der er tags zuvor den toten Freund aufschneiden musste, um dessen Herzschrittmacher zu entfernen. Der Leichnam explodierte.

Allein schon wegen dieser unglaublich komischen Beerdigung, sollte man sich den vielfach preisgekrönten Film „Monday“ von Hiroyuki Tanaka unbedingt angucken. Doch in der Erinnerung des Angestellten gibt es noch viel wildere Dinge: betörend schöne Frauen in glitzernden Yakuza-Bars, Gangsterbosse, auf deren Visitenkarten „Gang Boss“ steht, Schnaps, den er unaufhörlich in sich hineinschüttet, ein Gewehr, mit dem der Angestellte, dessen Leben bislang eine Veranstaltung anderer gewesen war, als lächelnder Rächer durch die Straßen zieht. Leichen säumen seinen Weg. Ungläubig starrt er auf seine Erinnerung. Alles war tatsächlich so, das beweisen die Patronenhülsen in seiner Hosentasche, das beweist die Pumpgun, die vor ihm liegt, das beweist vor allem das Fernsehprogramm, wo auf allen Kanälen aufgeregte Experten über seinen Fall diskutieren.

Fernsehteams stehen vor seinem Hotel und berichten live. Spezialkommandos der Polizei dringen ins Hotel ein, um ihn lebend zu fangen. Erst schreibt er einen rührend artigen Abschiedsbrief an seine Eltern und will sich umbringen, dann nimmt er doch den Kampf gegen seine Häscher auf. Meist ist es der Zufall, der ihm dabei hilft. Ab und an wird er auch von einem Teufel begleitet, der so überflüssig ist wie bei David Lynch, aber trotzdem nicht weiter stört.

Leichen säumen den Weg, den er mit einem wunderbar somnambulen Lächeln geht. Ungläubig, aber auch mit einer gewissen Sympathie für sich selbst, steht er gegen Ende mit dem Einsatzleiter als Geisel vor dem Hotel und hält eine pazifistisch-hippieske Rede. Zunächst sind die versammelten Medien- und Ordnungskräfte irritiert, dann werfen sie ihre Strumpfmasken von sich, lassen ihre Waffen sinken und umarmen einander glücklich lachend. Als harmoniesüchtiger Zuschauer bedauert man zwar, dass der Film nicht mit dieser Szene endet, doch wenn es die Schlussszene gewesen wäre, hätte man sie vermutlich auch nicht so schön gefunden.

„Monday“, der vierte Film von Hiroyuki Tanaka, der sich nach dem Namen eines Yakuza-Charakters, den er mal spielte, Sabu nennt und in Japan ein großer Star ist, ist großartiges, schnelles Kino. So cool wie Kitano, so trashig-lustig und einfallsreich wie Sogo Ishis „Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb“, so wunderschön choreografiert und rührend zuweilen wie „Shall We Dance“. Sicher ist der Film auch eine „bissige Kritik an der japanischen Gesellschaft mit ihren Unterwerfungs- und Höflichkeitsritualen“ (epd-Film), doch als nicht japanischer Zuschauer freut man sich ganz asozial, dass es diese Rituale gibt, wenn sie so wunderbare Filme provozieren. Es gibt schöne Filme, bei denen man sich irgendwann trotzdem langweilt, und es gibt schöne Filme, bei denen man sich wünscht, dass sie ewig weitergehen. „Monday“ gehört zu Letzteren.

„Monday“, Regie und Drehbuch: Hiroyuki Tanaka. Mit Shinichi Tsutsumi, Yasuko Matsuyuki, Masanobu Ando u. a. Japan 1999, 100 Min.