Auf Distanz zur Warenwelt

Neuer Passagengeist: Mit der Eröffnung der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung feiert München die diskrete Erneuerung des Bankenviertels durch das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron

In der neuen Kunsthalle lässt sich jede Kunst perfektins Licht setzen

von IRA MAZZONI

Bei der Fusion der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank mit der Vereinsbank München 1997 wurde Vertrauen zerstört. Die Vorstände der Hypo-Bank sahen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Immobilienaltlasten in Milliardenhöhe vertuscht zu haben. Schließlich verlor Vorstandsmitglied Hans Fey, Gründer der Hypo-Kulturstiftung, seinen Posten als Vorsitzender des Stiftungsrates. Die umbaubedingte Schließung „seiner“ Kunsthalle 1999 bot Gelegenheit, Abstand zur Affäre zu gewinnen und neu zu beginnen. Die alte Kunsthalle, das waren ausgediente steinerne Kassenräume, in denen Fey zusammen mit dem künstlerischen Leiter Peter A. Ade insgesamt 54 Ausstellungen mit Fabergé-Eiern, mit Kleopatra und El-Dorado-Gold, mit Chagall und Picasso arrangierte. Egal was kam, das Publikum strömte aus der Fußgängerzone zu den Exponaten: 4,5 Millionen in 15 Jahren.

Jetzt kann sich der neue Bankkonzern – Nummer drei in Europa – mit der Eröffnung der neuen, größeren und schöneren Hypo-Kunsthalle, dem Herzstück der „Fünf Höfe“, als verantwortungsbewusster Stadtplaner und Kulturmäzen in Szene setzen. Mit der Premiereausstellung „Der kühle Blick – Realismus der zwanziger Jahre“ beweist der Leiter der Kunsthalle, Johann Georg Prinz von Hohenzollern, ein sicheres Gespür für Zeitgeist und Ambiente. Denn die glatten Oberflächen der Präzisionisten entsprechen den noblen Ausstellungsräumen von Herzog & de Meuron vollkommen und lassen deren zurückhaltende Qualität als unbedingten Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden Ausstellungshäusern in München erkennen. Nur 16 Monate Bauzeit hat man sich gegönnt, um den Anschluss an die Kunstszene nicht zu verpassen.

Die „Fünf Höfe“ sind das derzeit größte Umbauprojekt in der geschützten Münchner Altstadt. Ein 20.000 Quadratmeter großes Areal – komplett in Bankbesitz – wird bis zum Jahr 2003 neu geordnet. Seit 1840 ist die Hypothekenbank Grundbesitzer im Kreuzviertel. Durch stete Expansion entstand im Laufe der Zeit eine über mehrere benachbarte Häuser verzweigte Hauptverwaltung. Ein städtebaulicher Ideenwettbewerb sollte Klarheit in diesen unwirtschaftlichen „Fuchsbau“ bringen: 19 renommierte Architekturbüros wurden eingeladen, darunter Norman Foster und Giorgio Grassi. Das Schweizer Team Herzog & de Meuron gewann die Konkurrenz 1994 mit einem Passagensystem, das sich am Rhythmus der nahen Residenzhöfe orientierte. Voraussetzung für die Baumaßnahme: Totalabriss des Bestehenden. Bürger und Stadtbildpfleger murrten. Und die Bank hatte sich beim Aufbau Ost im Immobiliengeschäft verkalkuliert. Das radikale Stadtbauprojekt wurde auf Eis gelegt. Schließlich machte die Fusion eine Hauptverwaltung überflüssig und zwang zum Umdenken.

Inzwischen bekennen sich Bauherr und Architekten zum Bauen mit Bestand. Sechzig Prozent der Substanz wurden erhalten, auch die reduziert traditionalistischen 50er-Jahre-Fassaden des Wiederaufbaus. Die „Fünf Höfe“ sind ein höchst artifizielles Implantat, das nach außen kaum in Erscheinung tritt. „Wir sind an Konzepten interessiert – nicht an Fassaden“, beteuert de Meuron und preist die „Fünf Höfe“ als europäisches Gegenmodell zu Shoppingmalls und Berliner Carrées. Dank dieser Philosophie wurden die Münchner nicht mit Investoren-Konfektionsware aus Dünnschliffmarmor und Messingeinlagen bedient. Vielmehr haben die Architekten teils verwunschene, teils mondäne Passagen geschaffen, in denen Waren wie in einem Basar als Geheimnis, Lockung und Verheißung erscheinen.

Dabei haben die für ihr sachliches Understatement bekannten Schweizer auch ihre Liebe zum Dekor entdeckt. Blitzende Pailletten flimmern im Stollen der Prannerpassage, bronzefarbene Lochbleche und ein Wasservorhang schirmen den Portiahof ab. Blühende Schlingpflanzen werden in der 90 Meter langen und 15 Meter hohen Salvatorpasssage das Tageslicht wie in einem Dschungel filtern. Mit dieser stimmungsbetonten Instrumentalisierung der natürlichen Vorgaben ist Herzog & de Meuron eine Reanimation des Passagengeistes des 19. Jahrhunderts geglückt.

Wenigstens eine neue Fassade hat sich der Bauherr dann doch gewünscht. Als Zeichen für die Neuordnung markieren faltbare Bronzebleche den Eingang zu den Wandelhallen des Luxus, der Moden und der Kunst. Fast könnte man übersehen, dass es links zur neuen Kunsthalle geht und nicht in eine weitere Boutique mit verschwenderisch verknapptem Angebot.

Die Ausstellungsräume sind im Zentrum des Gevierts in unmittelbarer Nähe der Kassenhalle untergebracht – 80 Meter und zwei Stockwerke mussten Herzog & de Meuron mit Treppen und Gängen überbrücken, um ihr Ziel zu erreichen. So sehr die Kunsthalle seit ihrer Gründung 1985 davon lebte, dass Passanten zwischen Shopping und Café mal auf einen Sprung vorbeischauten, so sehr haben die Architekten des Neubaus eine hoheitsvolle Distanz zur Warenwelt inszeniert. Vom ersten Stock schaut man hinab in einen der Höfe: Wie in einem spiegelnden Aquarium schwimmen die Flaneure an fliederfarbenen Taschen, langhaarigen Pelzen und hochhackigen Schuhen vorbei.

Auf der anderen Seite des gläsernen Passagenschachtes bietet das Museumscafé mit seinen runden, roten Ledersesseln und Plastiktischen genügend Platz für Voyeure. Die von Herzog & de Meuron entworfene Einrichtung amalgamiert Tropfenlampen und Plastikpop der 70er-Jahre mit neuer Coolness. Vorbei an der breit gelagerten Museumskasse geht es über breite Eichenstufen hinauf in die Lounge mit direktem Blick in die hängenden Gärten der Salvatorpassage, die im Spätsommer fertiggestellt sein sollen: Erst dann betritt man die Hallen der Kunst.

Regelrecht kalt treffen einen dort die provozierenden Blicke der Tamara de Lempicka. Auch wenn der Gastkurator Wieland Schmied, Präsident der Bayrischen Akademie der schönen Künste und Kenner der Materie, über jeden Vorwurf des Modischen erhaben ist – der Auftakt zur groß angelegten 20er-Jahre-Retrospektive ist an Zeitgeistigkeit kaum zu überbieten. Zu sehr entsprechen die dekorativ telefonierenden Pariser Modelle der Lempicka den Styling-Beispielen aktueller Frauenmagazine.

Hat man sich aber der schillernden Amazonen-Phalanx entzogen, kann man differenzierte Epochenbilder entdecken. Dabei sorgen vor allem die bei uns selten präsentierten Amerikaner für Überraschungen, wie zum Beispiel Ivan Albright mit seinen porentief ziselierten, zynischen Allegorien. Zusammen mit den Picassos und Legers, den Dix’ und Grosz’, den Carrás und Morandis, O’Keefes und Sheelers ist eine hochkarätige Schau zusammengestellt worden, die das Niveau von nun an vorgibt. Große Namen werden für zukünftige Kooperationen genannt: MOMA und P.S.1. in New York, Fondation Beyeler in Basel und das Kunstforum Wien. Eins ist sicher, in der neuen Kunsthalle lässt sich jede Kunst perfekt ins Licht setzen. Herzog & de Meuron haben konzentrierte, harmonisch proportionierten Ausstellungsräume geschaffen. Alle Technik bleibt unsichtbar. Die bereits für die Tate Modern entwickelten Lightboxes wurden optimiert und sorgen so für fugenlos gleichmäßiges Tages- und Kunstlicht. Mit distinguierter Zurückhaltung werden diese Räume der Kunst dienen und Qualität fordern. Die Bankstiftung steht in der Pflicht.