Ein Seufzer am Broadway

Nach zehn Jahren muss Thread Waxing Space, eine der wenigen New Yorker Non-profit-Galerien schließen. Dabei wurde hier das Cross-over zwischen Kunst und Alltag am meisten vorangetrieben

von THOMAS GIRST

Am Broadway trieben bis vor kurzem noch dot.coms die Mieten in die Höhe, vor allem im südlichen Teil der sich quer durch Manhattan ziehenden Straße, vom Union Square bis fast zur Wall Street. Mittendrin und bereits zu Zeiten, als man durch den frühen Erwerb von ein paar AOL-Aktien Millionär werden konnte, trotzte die Thread Waxing Space mit kultureller Umtriebigkeit den Auswüchsen der New Economy. Bis letztes Wochenende: Da musste die Non-profit-Galerie und New Yorker Institution nach zehn Jahren schließen. Der Mietvertrag konnte nicht erneuert werden, der Besitzer will die weiträumige Galeriefläche in Luxusapartments umbauen. Gerade sind nebenan Lenny Kravitz und Courtney Love eingezogen, die, wie es sich für waschechte Rebellen gehört, schon mal die Galerieangestellten im gemeinsamen Treppenhaus kräftig anpöbeln.

1991 wurde die Thread Waxing Space von dem unabhängigen Kurator Tim Nye gegründet. Was nur drei Monate als Ausstellungsraum für die abstrakten Künstler Paul Pagk und Hyun Soo Choi gedacht war, entwickelte sich schnell zu einer Galerie, in der sich ein weit gestreutes Programm mit Lesungen, Performances und Filmvorstellungen etablieren konnte. Ein „Seufzer der Erlösung“ sei damals durch New Yorks Kunstwelt gegangen, wie Tim Nye heute völlig unbescheiden feststellt: „Endlich war mit der Thread Waxing Space ein Ort gefunden, der die kreative Energie der Straße sowie die enorme Schaffenskraft junger unkonventioneller Künstler bündeln und vorstellen konnte.“ Künstler wohl gemerkt, um die sich im Kunstbusiness niemand ernsthaft scherte. „Die Thread Waxing Space heißt so, weil hier tatsächlich einmal Fäden gewaxt wurden, zur besseren Beständigkeit des Materials. Die riesigen Spulen an den Decken, die ganze verrückte Architektur der Galerie machte vielen Künstlern ziemlich zu schaffen“, sagt Nye.

Doch sie kamen alle. Verpackungs-, Video-, und Zauberkünstler. Dichter, Buchautoren, DJs, Tänzer und Schauspieler. David Cronenberg widmete man eine Werkschau mit Retrospektive, ein englisches Architektenkollektiv konnte seine innovativen Wohnideen vorführen und die auf der Musik von Queen basierende Rockoper einer Transvestitengruppe war zwei Wochen lang restlos ausverkauft. Originelle Flyer kündeten von Super-8 Filmfestivals, aufwendig gemachte Kataloge wurden mal als Daumenkino, mal als Comics gestaltet. Die von jungen Kuratoren entwickelten Ausstellungen reichten von „Behind Bars“ (1992), die die Kunst Inhaftierter zeigte, zu „Conceptual Art as Neurobiological Practice“ (1999), inklusive Podiumsdiskussion. Mit „Beyond Ars Medica“ stellte die Thread Waxing Space schon 1995 in Formaldehyd konservierte Körperteile und andere medizinische Kuriositäten aus.

Seither wurde das Gebäude von knapp 40.000 Besuchern jährlich als viel frequentiertes Forum genutzt. Das „Arts in Education Program“ bot mittellosen, talentierten Jugendlichen beim Zusammenstellen ihrer Mappe Hilfe von Künstlern an, so dass sie bei der Bewerbung an Kunsthochschulen nicht völlig chancenlos dastanden.

Dies alles soll nun vorbei sein. Als nicht kommerziell ausgerichtete Galerie war die Thread Waxing Space vor allem auf öffentliche Gelder und Sponsoren angewiesen. Die staatliche Kulturförderung ist in den USA aber um einiges niedriger als in allen anderen westlichen Ländern. So konkurrieren in New York eine Hand voll Non-profit-Galerien wie Artist’s Space oder White Columns um stets dieselbe bescheidene Zuwendung. „Seit den ‚Culture Wars‘ Anfang der 90er-Jahre sind die zur Verfügung stehenden Mittel noch einmal zusammengestrichen worden“, stellt die Direktorin der Thread Waxing Space, Ellen F. Salpeter, klaglos fest. „Und wenn uns Sponsoren wegfallen oder der Staat nichts mehr gibt, dann ist das für andere potenzielle Geldgeber eine Signalwirkung. Die lassen es dann auch bleiben.“

Mit Culture Wars meint Salpeter jenen Behördenkrieg, den konservative Kongressabgeordnete anzettelten, weil ihrer Meinung nach Steuergelder an obszöne und blasphemische Kunst vergeben wurden. Die homoerotischen Photographien Robert Mapplethorpes, Andrea Serranos „Piss Christ“ und Karen Finleys Performance „Chocolate Woman“, in der sich die Künstlerin wütend mit Schokolade übergoss, standen damals stellvertretend auf der Anklagebank.

Tim Nye dagegen will die Klage vom Ende der Thread Waxing Space gar nicht erst gelten lassen. Mittlerweile ist er Geschäftsführer von Alltrue.com, ein Anbieter von „reality TV“, dessen Büros am Broadway nur ein paar Häuser nördlich der alten Galerie liegen. Von Nyes Firmenwebsite kann man leicht bekleidete Teenies herunterladen, die ihre Semesterferien an Floridas Daytona Beach in ritualisierter Ausgelassenheit abfeiern. „Unter anderem Namen wird es weitergehen. Ein neuer Anfang, kein Ende. Meine Frau und ich werden den Laden schmeißen. Erst einmal sammeln wir etwa fünf Jahre lang junge Kunst. Ein Ausstellungsraum soll auf Anfrage dann wieder offen stehen und limitierte Künstlereditionen soll es auch geben.“ Im Vergleich zu den traurigen Gesichtern der acht Galerieangestellten umgibt sich Nye mit einem spezifisch amerikanischen Optimismus. Wie Charles Saatchi will er jetzt sein, sagt er noch – genau wie Saatchi, der Werbemogul und Englands wichtigster Sammler zeitgenössischer Kunst.