West-östlicher Tapetenwechsel

V1-Raketen auf Bierdeckeln, Archive im Do-it-yourself-Stil und Heidegger im Mini-Cooper: Mit der Ausstellung „berlin_london_2001“ zeigt das Londoner ICA, wie Kunst aus Berlin zwischen Mitte-Boom und Clubkultur erwachsen geworden ist. Ein paar Laptop-Elektroniker sind trotzdem bei der Party dabei

von PAMELA JAHN

Ein langer, schmaler Flur verbindet die auf unterschiedlichen Stockwerken angelegten Galerieräume des Londoner ICA. Irritiert betrachten zwei Besucherinnen die hohen, frisch tapezierten Wände, die der Berliner Künstler Achim Kobe mit seinen selbst entworfenen und handgemalten Tapeten ausgestattet hat. Immer wieder drehen sie sich nach allen Seiten, blättern konfus im Programmheft nach, streichen hier und da vorsichtig über die Wände und tauschen sich unschlüssig über das Kunstwerk aus. Am Ende ist man sich einig: „In any case, it’s wallpaper.“

Die Tapeten-Arbeiten von Achim Kobe entziehen sich stets einer eindeutigen Zuordnung: Das Spektrum reicht von „Malerei an der Wand“ über Skulptur bis hin zur „Nur-Tapete“. Und einmal mehr hat Kobe ganze Arbeit geleistet: Seine speziell fürs ICA entworfenen Tapeten nehmen den Raum in Beschlag; die Intensität der vielseitig schillernden Farbkontraste und dichten Geometrien lassen den fensterlosen Durchgang noch gedrängter wirken. Ständig sucht man in den wechselnden Rhythmen der Farben und Strukturen nach einem neuen Bildausschnitt, an dem sich das Auge einen Moment festhalten kann. Mit jedem Schritt verändert sich die Perspektive, wird das Tapeten-Bild gleichzeitig zum Raum gebenden Ereignis.

Darüber hinaus funktionieren Kobes Tapeten aber auch als eine Art Wegweiser innerhalb der materialreichen Gruppenausstellung „berlin_london_2001“, für die der Kurator Rüdiger Lange gemeinsam mit Antje Weitzel einige Dutzend Berliner Kulturschaffende aus bildender Kunst, Fotografie, Online- und Video-Art sowie Musik eingeladen hat. Die meisten von ihnen sind zwischen 1960 und 1970 geboren. Auffällig dabei ist die handwerkliche Präzision, mit der die Künstler ihre Konzepte umsetzen: keine groß aufgeblasenen Schock-Events und auch keine Relikte zum Hype der Clubkultur aus Berlin-Mitte. Tatsächlich wirkt die Ausstellung geradezu spröde und sehr erwachsen. „Es ist ja nicht so, dass man jetzt nach zehn Jahren in Berlin keine Lust mehr auf Party hat“, erklärt Lange. Aber schließlich müsse man sich weiterentwickeln, das sei für jede Generation eine nur logische Konsequenz.

Seit 1997 ist Lange künstlerischer Leiter und organisatorischer Kopf von „loop“, einem Mischmodell aus Produktionsraum und Galerie. Auf Langes Ausstellungen wurde denn auch ICA-Direktor Philip Dodd bei der Suche nach young berlin artists aufmerksam. „Was jetzt im ICA groß aufgezogen ist, lief in der ‚loop‘- Galerie zuvor in kleinem Rahmen und als No-Budget-Projekt“, erzählt Lange, dessen Schwerpunkt seit Jahren urbane Skulpturen sind. Für ihn ist es die Verfügbarkeit von Raum – gerade auch nach dem Mauerfall –, die wie kein anderer Faktor die Entwicklung der Kunst in Berlin geprägt hat.

Damit erklärt sich die Auswahl der beteiligten Künstler: Im unteren Raum beispielsweise ist Karsten Konrad mit seinem „Eierspeicher“-Modell vertreten. Hans Hemmert synchronisierte für seine Arbeit „lokale vokabulare“ einen Filmausschnitt aus „Terminator“ mit einer Textpassage aus Heideggers Essay „Die Kunst und der Raum“ von 1969 und präsentiert das Ganze als Autokino aus dem Mini-Cooper; und bei Juliane Dudas Multimedia-Arbeiten haben Räume von früheren oberirdischen DDR-Bunkern plötzlich fünf Wände.

Oliver van den Bergs Windkanalmodelle im ersten Stock beruhen ebenfalls auf einem historischen Ansatz. Die Holzskulpturen namens „Käfer“, „Dickkopf“ oder „Bügeleisen“ sind nach den Bierdeckel-Skizzen von Londoner Bürgern entstanden, die dem Künstler ihr Erinnerungsbild von der im Zweiten Weltkrieg gegen England eingesetzten V1-Rakete aufzeichnen sollten.

Nach Peking (1998) und Bombay (1999) ist Berlin die dritte Stadt, der das ICA eine Übersicht widmet. Auch deshalb soll „berlin_london_2001“ mehr sein als der übliche Export von Artbusiness. In einem separaten, vom Künstlerkollektiv „Soup“ entworfenen Archiv – einem zimmerhohen Pappkarton-Gerüst im Do-it-yourself-Stil – kann sich der reisescheue Londoner über noch mehr Kunst aus Berlin, die Architektur, die Stadt als solche oder gar die Geschichte der BVG informieren. Nebenan stehen in Grabbelkisten zusätzlich Platten und CDs diverser Berliner Elektro-Labels für Hörproben parat. Außerdem hat Co-Kuratorin Antje Weitzel themenspezifische Videoprogramme fürs hauseigene Kino zusammengestellt.

Lange selbst war mehr noch an der Schnittstelle zur Musik interessiert – für ihn ist es die ideale Verbindung von bildender Kunst und sozialkommunikativem Ansatz. Auf seiner musikalischen Künstlerliste versammeln sich Namen wie Jan Jelinek, Ocean Club, Menu/Exit, Rechenzentrum und Monolake. Die türkisch-deutsche Rapperin Aliza A sorgt für den nötigen Kulturen-Mix. Nur scheinen sich die Londoner von Langes Idee nicht wirklich überzeugen zu lassen. Das Interesse an Berlin-Sounds ist eindeutig geringer als an der Kunst. Die bisherigen Berlin Club Nights im ICA waren jedenfalls eher spärlich besucht. Aber in Sachen Party lässt sich London auch ungern etwas vormachen.

Bis 30. 6., ICA, London