Nicht Spiel, nicht Fleisch

Go, Lara, go! In der Filmversion des Videospiels „Tomb Raider“ verbreitet Angelina Jolie die Tristesse des Pseudosynthetischen: Zwischen esoterischen Sternenformationen und Zaubersteinchen wird das Kino zum Abklatsch des Digitalen und lädt zu Bundesjugendspielen in ägypto-asiatischen Tempeln

von KATJA NICODEMUS

Schon merkwürdig, diese Marketingkampagne, die seit einer Woche aus den Endlosloops eines Making-off-Interviews besteht, in dem das freundliche bad girl immer und immer wieder beteuert, dass der Beginn der Dreharbeiten wie der Eintritt in die Army gewesen sei: Um die Heldin des erfolgreichsten Videospiels aller Zeiten zu verkörpern, durfte Angelina Jolie drei Monate lang keine Cocktails trinken, musste trainieren und auch ein bisschen schießen lernen.

In der naiv herausgeleierten Überbetonung von Drill und Körperlichkeit liegt schon die ganze Crux von „Tomb Raider – der Film“. Die Spielfigur Lara Croft hat ihn ja schon, den synthetischen Superbody, den man als User qua Konsole in dreidimensionalen Ebenen omnipotent verbiegen, zu kantig-eleganter Akrobatik und vor allem zum Ballern bringen kann. Als Lara 1994 vom knapp 30-jährigen britischen Software-Tüftler Adrian Smith im Keller seines Vaters entworfen wurde, waren die Vorgaben klar: Smith, nach eigenen Angaben genervt vom Macho-Gehabe der Slys und Terminators, entschied sich für die Kreation eines federnden Ego-Shooters mit Wespentaille und Melonenbrüsten. Geboren war die Gummipuppe mit Knarre, Pixel-Pin-up und Girlieheldin in einem, die sogar Emma zum ideologischen Eiertanz brachte: Bei einer so tollen neuen weiblichen Heldin müsse man die überdimensionierten Titten „als Tribut an die Männerwelt eben in Kauf nehmen“.

Dieser digitalen Kreuzung aus Judith Butlers Phallustheorien, einem Bulldozer und einer 0180-Sex-Nummer kann Frau Jolie, deren zweiter Vorname übrigens Oscarpreisträgerin lautet, eigentlich nur zwei brustwarzenlose Megamöpse und den immer leicht verspannten Schmollmund entgegenhalten. Auch wenn sie sich bei der Schatzsuche in indo-ägypto-asiatischen Tempeln so rührend bemüht wie wir damals bei den Bundesjugendspielen, auch wenn Jolies echter Vater Jon Voight als Lord Croft für dynastisches Flair sorgen soll, auch wenn es den Versuch gibt, den labyrinthischen Ebenen des Spiels so etwas wie eine Handlung abzutrotzen: Im Grunde ist „Tomb Raider“ die größte Volksverarschung seit langem. Ein gähnendes Nichts, zusammengehauen wie eine drittklassige Videoproduktion. Es geht um irgendeine eso-astrologische Sternenkonstellation, deren Herausforderungen auch noch deutlich unter dem Niveau der Spielstrategien liegen: Lara Croft muss eine Uhr zertrümmern und zwei magische Steinbröckchen zusammensetzen. Wie mit der Handkante dazwischengeschnitten, kommen ihr dabei ein paar mittelmäßig animierte Steinkolosse und ein düster dreinblickender David-Copperfield-Verschnitt in die Quere. Sex bleibt, vom inzestuös angehauchten Tochter-Vater-Verhältnis abgesehen, außen vor.

Interessanterweise wirken die filmischen Räume im Vergleich zu den in die Tiefe ausgefalteten Spielebenen geradezu platt. Laras Schloss, ein isländischer Todeskrater und die im globalen Dschungel verstreuten Schatzhöhlen verbreiten genauso wie Jolies leicht hölzerne Bewegungen die unendliche Tristesse des Pseudosynthetischen. Umgekehrt bekommt das Spiel durch seine Verfilmung die Qualität einer Wirklichkeit zweiter Ordnung.

Es hat schon eine schöne Ironie, dass Lara Croft erst als Leinwandfigur endgültig zum Konsummodul à la Baudrillard geworden ist, zum Simulacrum, das nicht mehr imitiert werden muss, weil es sowieso in gigantischem Ausmaß produziert wird. Film wird zur Simulation des Digitalen und eine Computerheldin zum ursprünglichen Wesen, das von einem Kinosternchen resorbiert wird: nicht Spiel, nicht Fleisch.

„Tomb Raider“. Regie: Simon West. Mit: Angelina Jolie, Jon Voight u. a., USA 2001, 100 Min.