Die Waffe des Drachentöters

Guter alter Krach: Wie Neil Young & Crazy Horse in Berlin alle anwesenden Bratwürste besiegten

von WIGLAF DROSTE

Berlin, Waldbühne, 26. Juni 2001, 20 Uhr 30: Neil Young fasst seine Gitarre an, seine Finger streifen über die Saiten: Whiarraouuugh! Von der ersten Sekunde an weiß man, dass es KRACH geben wird, guten, scheppernden Krach, keinen IdiotenLERM, sondern Aufruhr: das Zeug, das Neil Young macht, seit er vor ein paar Jahrzehnten beschloss, nicht mehr der nett-debile Crosby- Stills-Nash’n’Young-Duftie zu sein.

„Don’t cry no tears about me“, singt Neil Young, seine Band und er scheppern sich ein. Ein silbernes Flugzeug, vom Flughafen Tegel kommend, zerschneidet den blauweißen Himmel über den junigrünen Berliner Bäumen. Dahinschmelzen ist leicht: Neil Young spielt, die Tränen stehen hinter den Augen, die Fäuste ballen sich. Beides ist nicht geplant, beides gehört unteilbar zusammen. Diese spezifisch seltsame Gefühlsdurcheinanderrüttelung kann nur Neil Young erzeugen: vor Sehnsucht, Wehmut und Glück heulend in die Schlacht ziehen und es den Arschgeigen so richtig zeigen wollen. Vorher gab es Piffe und La Ola, nackte Sommerarme, weiß-beige bis angebräunt, wie Würmer durch die Luft schnellend, ein Quatsch, unwürdig, ohne jede Wirkung auf Neil Young. Der allerdings bei vielen viel Konkurrenz hat: mobile Beck’s-Bier-Träger, Brezelverkäufer und Herren mit Thüringer Bratwurst, die „Grillwalker“ heißen, auf dass die klebrigste Volksgemeinschaftshymne, „You’ll never walk alone“, auf immer zu sich selbst findet: „You’ll never grillwalk alone.“

Neil Young & Crazy Horse machen dieser Sorte Mist ein Ende, indem sie so spielen, wie sie sind und wie man es sich von ihnen erhofft: hart, jaulend, übersteuert, sich überschlagend, schreiend, kreischend, singend, sirrend, sägend, ein stromgitarristisches Rockistentum: Neil Young ist der Letzte, der das darf.

Man wird kein Klassiker, indem man Ärsche leckt. Neil Young ist auf Kollisionskurs, das ist schön zu sehen und zu hören. Das schmierige „Teach your children“-Zeug ist seit langem Crosby, Stills und Nash überlassen – die von den dreien noch leben, sind schon tot oder, schlimmer, ziehen als Zombies weiter umher – wie der junge Mann im Publikum mit seiner Hose, deren Hintern ihm in den Kniekehlen hängt, wie die Mode es ihm diktiert – die er aber, weil er so ein Rebell ist, exakt mitvollzieht, im Gleichschritt marschtretend, seinen Konformismus nicht nur nicht ahnend, sondern ihn schon vorneweg verteidigend.

Neil Young & Crazy Horse sind die Guten. Mehr als vier davon auf einem Haufen wären aber auch nicht zu ertragen. Deshalb singt Neil Young zwischendurch allein: „Here I am with my old guitar/ doing what I am doing“. Schön, einfach und wahr ist das. Neil Young hat die Größe für solche Sätze. Ein Schnäuzermann, einssiebzig, Lederweste, Bier rechts, Bratwurst mit viel Senf links, stellt sich mitten ins Liebeslied.

So ist das Zeug, das wir Leben nennen: Wir können es uns nicht aussuchen. Neil Young sagt: „How you’re doing?“ und „Thanks for coming“. Er ist sehr großzügig. Alleine singt er „Don’t let it bring you down“ und „Pocahontas“, setzt sich an eine Orgel, und tatsächlich wird es sakral: „Look at Mother Nature on the Run/ in the twenty-first Century“ – für das doch eher sehr banale Herüberschlenkern des Songs ins 21ste Jahrhundert wird er von erschütternd großen Teilen des Publikums gefeiert.

Dann gibt es wieder das volle Brett, doioioioiooiiing, gut so, bevor das Selig-Duselige und Trübe ganz überschwappt. Gegen allzu Sentimentales steht auch der Mann, Kippe und Pils in der einen, Telefon in der anderen, der locker unbeeindruckt bleibt von dem, was Neil Young tut. Das ist aber dumm von ihm, der sich für schlau hält. Denn wie man der Scheißwelt ohne die blöde Sorte Selbstironie ein Schnippchen schlägt und dabei eine gute, eine würdige Figur macht, das kann man sich bei Neil Young ankucken. Wenn man die Drachen schon nicht töten kann, so macht man sich eben nicht mit ihnen gemein.

„Hey hey, my my“, singt Neil Young, „Out of the blue and into the black“, der Schnäuzer-Lederwesten-Bratwurst-Bier-Mann kommt heftig aus dem Knick, schmeißt die Fressalien von sich, schmettert die geballte rechte Faust nach vorn, brüllt „Jaah! Jaah! Jahh!“ und wirft dann beide Arme zurück wie ein besoffen ausgetickter Heiland. Da ist das Lied nach zwanzig Jahren angekommen.

Zum Schluss gibt es eine 20-Minuten-Version von „Hurricane“, der Sounddonner am Ende klingt wie „Apocalypse Now!“. Neil Young legt seine Gitarre weg, wie man eine Waffe weglegt. Es ist vorbei, aber dann legen die vier alten Männer noch einmal 40 Minuten zu, klöddernd und schwer das Schlagzeug, bratend die Gitarren, alte Säcke de Luxe, die das Rock’n’Roll-Quartett von ganz früher aufleben lassen und feiern, Gitarrist Frank Sampedro spingt neben Neil Young hoch und her wie ein fetter Flummiball, während Herr Young in seine Effektgeräte hineinstampft. Einige sind weggegangen, seltsamerweise: Wenn Neil Young zweieinhalb Stunden Zeit für uns hat, warum sollten wir sie nicht für ihn haben? Wo er doch alles hat, worum es geht: ein Herz aus Gold, das nicht mit sich hausieren geht.