Die Mocker

Von der Unschuld der Popkultur in ihren Anfängen: Zur Wiederaufführung von Richard Lesters Beatles-Filmporträt „A Hard Day’s Night“, das in mehrfacher Hinsicht Pioniercharakter hatte

von GERRIT BARTELS

1964 ist kein Jahr, das sich auf Anhieb einem bestimmten Ereignis zuordnen lässt. Nicht wie 1963, als Kennedy ermordet wird. Nicht wie 1968, als in Paris die Studenten auf die Straße gehen, nicht wie 1989, als in Berlin die Mauer fällt. 1964 ist ein eher durchschnittlich spektakuläres Jahr: China wird Atommacht, der Zypernkonflikt eskaliert, Martin Luther King erhält den Friedensnobelpreis; Nelson Mandela wird eingesperrt, Sam Cooke in einem Motel in Los Angeles erschossen, Nikita Chruschtow durch Leonid Breschnew ersetzt; die Labour-Party gewinnt in England die Wahlen, Mods und Rocker liefern sich in London Straßenschlachten, Mary Quint entwirft den Minirock.

Vor allem aber ist 1964 das Jahr, in dem die Beatles die Welt erobern. Sie treten in Amerika in der „Ed-Sullivan-Show“ auf, 73 Millionen Menschen sehen zu, Ende März stehen fünf ihrer Songs an der Spitze der amerikanischen Billboard-Charts, und egal ob in den USA oder Australien, wo sie in Adelaide vor 300.000 Leuten spielen, in Hongkong oder Skandinavien: Überall herrscht „Beatlemania“.

Genau diese Beatlesmanie bildet auch die Grundlage für den 1964 innerhalb von drei Monaten produzierten Beatles-Film „A Hard Day’s Night“. Der Film des Werbe- und Experimentalfilmers Richard Lester und seines Drehbuchautors Alun Owen beschreibt 24 Stunden im Leben von George, John, Ringo und Paul, an deren Ende ein Auftritt in einer Fernsehshow steht. Die Beatles im Zug, die Beatles auf der Flucht vor den Fans, die Beatles im Hotelzimmer, in dem sie Autogramme und Fanpost schreiben sollen, die Beatles auf einer Pressekonferenz, auf der sie Fragen beantworten wie: „Hat der Erfolg Ihr Leben verändert?“ („Yes“) oder „Sind Sie ein Mod oder ein Rocker („A Mocker!“).

„A Hard Day’s Night“ ist ein schneller, komischer, abgedrehter Film, den 37 Jahre später generalzuüberholen und erneut im Kino zu zeigen durchaus seine Berechtigung hat, nimmt er doch fast zwanzig Jahre vor MTV dessen Ästhetik vorweg: Handkamera, schnelle Schnitte, Bilder mit Musik, Musik und Bilder, lustige, sinnfreie Dialoge (und genauso funktioniert er im Kinosaal: Viel unterhaltsamer Leerlauf, und wenn es dann zu viel wird und man abschalten oder eben gehen will, ist er auch schon zu Ende. Schon damals deutete sich also an, dass produktive Langweile irgendwann einmal ein hohes, schützenswertes Gut werden könnte).

Was „A Hard Day’s Night“ aber auch ist: ein sehr unschuldiger Film, der die Popkultur in ihren Anfängen zeigt. Kreischende Teenies, noch mehr kreischende Teenies, sehnsüchtige Blicke, aufgerissene Münder; und eine Band, die sich von der Garderobe zum Hotel, zum Taxi, zu einem Termin und wieder zurück bewegt, „a room, and a room, and a room“, nennt Pauls fiktiver Filmgroßvater das; und selbst wenn sich die Beatles mit viel Ironie und Sarkasmus das Treiben um sie herum vom Leibe halten und ständig Ausbruchsversuche unternehmen (um aber auch immer wieder brav zurückzukehren), wirkt das eher rührend als antiautoritär und rebellisch.

Am Ende ist „A Hard Day’s Night“ eben doch vor allem eins: Heldenverehrung. Damit die Manie nicht so schnell in eine Depression mündete. Das mit der Rebellion und der Subversion und dem totalen Pop kam eben erst alles noch. John Lennon hat später, als er es besser wusste, gesagt: „Wir waren ziemlich sauer über die Oberflächlichkeit der ganzen Geschichte, (. . .) ich witzig, Ringo tumb und niedlich, George dies und Paul jenes. (. . .) Alan Owen hat eine Pressekonferenz miterlebt und sie dann im Film rekonstruiert. Er hat sie sogar ziemlich gut rekonstruiert, aber wir fanden die Szene trotzdem blöde. Sie war nicht realistisch genug.“

Was nun die Wiederaufführung anbetrifft, ist sie letztendlich ein weiteres Kapitel in einer lange dauernden und nie zu Ende gehenden Geschichte: Die Geschichte des ewigen Lebens der Beatles, die Geschichte einer Band, die sich 1970 aufgelöst hat und ohne sich auch nur ein einziges Mal zu einem Comeback auf der Bühne wiedervereinigt zu haben alle Konkurrenten locker niederhält. Ob es ein paar Outtakes oder rare Aufnahmen sind wie bei der 1995 und 1996 erschienenen „Anthology“-Serie oder ein Best-of-Album wie das Weihnachen 2000 veröffentlichte „No. 1“: Die Beatles schaffen es damit immer wieder an Nummer eins der Charts. Kein Prophet muss daher sein, wer voraussagt, dass „A Hard Day’s Night“ ein immens erfolgreicher Film werden wird (wen interessiert da noch ein Rock-’n’-Roll-Film wie „Almost Famous“?) und auch die anderen vier Beatlesfilme digital neu gemastert und in „brillanter Bildqualität“ bald wieder zu sehen sein dürften (Aber immer schön der Reihe nach!).

Was aber war 1964 noch einmal für ein Jahr? Genau, es war das Jahr, in dem die Beatles die Welt eroberten. Im Dezember 1964 veröffentlichten die Beatles dann noch ein Album, dessen Titel das Jahr und auch die 37 folgenden kurz und treffend auf den Punkt brachte: „Beatles for sale.“ Die Beatles gehen immer!

„A Hard Day’s Night“. Regie: Richard Lester. Mit den vier Beatles, Wilfried Brambell, Norman Rossington, John Junkin u. a., Großbritannien 1964, 87 Minuten, schwarzweiß