Ayayayayayayay!

Kompromisslose Folklore von innen heraus: In Tony Gatlifs Spektakelfilm „Vengo“ wird der Geist des Flamenco ergründet. Goldene Kreuze blitzen aus dem Brusthaardickicht, und der Bumerang der Rache fliegt auch herum

Lange hat er ihn gesucht. Den Flamenco. Nicht irgendein Volkshochschulengetrampel, sondern den wahren, schönen und guten versteht sich. Keine leichte Sache. Denn den „Geist“ des Flamenco kann man nicht riechen, schmecken oder beschreiben und – wie man auch von vielen andere guten Trips hört –, man kann ihn als Fremder von außen auch nicht „einsehen“. Doch Regisseur und Instinktbursche Tony Gatlif, der sich vor ein paar Jahren mit seinem alkohohol- und gefühlsduseligen Film „Gadjo Dilo“ bereits in die Zigeunerfolklore gestürzt hat, fand den Kern des geheimnisumwaberten Tanzes „von innen heraus“, wie er in einem durchgeschwitzten Interview im Presseheft verlauten lässt. „Ich ging keine Kompromisse ein. Nichts konnte mich davon abhalten. Das war der Zeitpunkt, als der Flamenco ein Teil von mir wurde.“ Bei so viel zutiefst Empfundenem, bei so viel brünftiger Egozentrik scheint es irgendwie zu passen, dass dieses filmische Dokument einer Binnenreise „Vengo“– zu deutsch: ich komme – heißt.

Von „außen“, also relativ emotionslos und ohne jede Flamencokompetenz betrachtet, erzählt „Vengo“ von einem Mann, der um seine Tochter trauert, sich um seinen behinderten Neffen kümmert und Dreck am Stecken hat. Eine Familenfehde geht auf sein Konto, bei der ein Bursche von einem anderen Clan dran glauben musste. Der Bumerang der Rache kommt jetzt melodramatisch und ziemlich verschwurbelt zurück.

Stünden die Passagen des Tanzens, des Einklatschens und Wettsingens für sich, hätte das eine interessante und dezente Dokumentation abgegeben. Doch Gatlif benutzt das Drama der Lieder, um sich vor dem Drama seiner Filmerzählung zu drücken. Wüst leiden und gestikulieren seine Figuren zur Musik oder füllen mit unheilschwangeren Blicken die Flamencopausen. Ohne jeden Bruch und Witz, wenn man mal von dem hübschen Einfall absieht, bei dem die „Guapos“ mit ihrem Handy unbeholfen über die einzige befestigte Straße irren, um auf einem Stückchen Mittellinie endlich ein Netz zu finden.

Ansonsten aber bleiben in „Vengo“ Männer noch Kerle, mit klaren Ansichten über Ehre, Pflichten und Mutterliebe, mit breitem Gang und einem goldenen Kreuz, das im Sonnenlicht aus dem Dickicht des Brusthaares herausblitzt.

Eine dramatische Umdrehung mehr, eine kühne Verbindung zwischen Mutter und Sohn, eine hysterische Analogie zwischen Sex und Stierkampf, dazu ein Ansammlung gebrochener Seelen, und es hätte etwas von der klugen Ironie eines Almodóvar entstehen können. Oder wenigstens von der überschaubar sortierten Ibererwelt in „Asterix bei den Spaniern“: die nach oben gereckten Nasen, aus denen die Geschöpfe in Andalusien, wenn man sie reizt, wie verschnupfte Stiere vorm Anlauf schnauben. Spitz gezeichnete Neurosenträger, die, wenn sie fröhlich sind, so komische Sachen sagen wie „caramba“ und „olé“. Da bringt der fingerschnippende Obelix mit seinem finalen „Ayayayayayai, ich bin ja so unglüüüüüühühücklich!“-Auftritt die notorisch melancholische Psychodisposition des Flamenco wesentlich besser auf den Punkt als Tony Gatlifs Film.

BIRGIT GLOMBITZA

„Vengo“. Regie: Tony Gatlif, Frankreich 2000. Mit Antonio Canales, Orestes Villasan Rodriguez, Natasha Mayghine u. a. 90 Min.