Der Lohn der Rebellion

Dinosaurier mit Herz: Einst war Joe Strummer die Stimme von The Clash, den begnadetsten Polit-Poseuren der Punk-Ära. Heute sitzt er gern im Einwanderer-Eckladen und trinkt somalischen Kaffee. Nach mehr als einer Dekade Arbeitspause meldet sich der einstige Combat Rocker zurück

Seine Stimme kann immer noch so verächtlich spucken wie früher. Selten wohl hat sich ein Auslaufmodell so frisch angehört

von THOMAS WINKLER

Von einem Großmeister der Selbstinszenierung hätte man wohl anderes erwartet. Nicht schwarze Jeans und ein schmuckloses weißes T-Shirt, das einen kleinen Bauch nur unzureichend verbirgt. So wie er da sitzt in dieser austauschbaren Hotelbar am Potsdamer Platz in Berlin, könnte man denken, Joe Strummer sei einer jener britischen Bauarbeiter, die dereinst die umliegenden Konzernzentralen hochgezogen haben – und als hätte er nur mal kurz seinen Stammplatz an der Theke eines Londoner Pub verlassen, um zu sehen, was so geworden ist aus seiner Hände Arbeit.

Joe Strummer aber hat nicht geholfen, die Neue Berliner Mitte in Beton zu gießen. Ganz im Gegenteil. Strummer hat Punkrock im Allgemeinen, The Clash im Speziellen, den Alkohol, reichlich Drogen, eine gescheiterte Ehe und eine Dekade Streit mit einem multinationalen Plattenkonzern überlebt, um immer noch fest an die Macht von Musik zu glauben. „Auf all den Touren habe ich immer wieder Menschen getroffen – es müssen mittlerweile tausende sein und da übertreibe ich nicht –, die mir erzählt haben, dass einer meiner Songs ihr Leben verändert hat.“ In Strummers leicht schleifendem, wie bekifft wirkendem Tonfall klingen diese Worte weniger pathetisch, als sie sich lesen. Und fast ein wenig überrascht ist er selbst, wenn er feststellt: „Man kann tatsächlich ein Leben mit einem Song beeinflussen.“

Die meisten Songs mit der wundersamen Fähigkeit, ein Leben zu verändern, die hat Joe Strummer allerdings noch geschrieben und gesungen als Mitglied von The Clash. Sein neues Soloalbum „Global A Go-Go“ ist dagegen erst das Zweite nach einer fast zehnjährigen Arbeitsverweigerung, die vor allem dazu diente, vom Unterhaltungskonzern Sony entlassen zu werden, der fünf Millionen Pfund für eine Vertragsauflösung gefordert hatte. The Clash hatten 1977 bei CBS unterschrieben, dem Inbegriff für kapitalistische Machenschaften im Rockbiz, obwohl sie damals die politischste aller britischen Punkbands waren. Oder vielleicht gerade deshalb – als wollten sie trotzig beweisen, dass man das Großkapital schon im Griff habe. Ein verhängnisvoller Irrtum. Heute besitzt Sony als Mutterfirma von CBS noch immer alle Rechte am Namen der Band, die sich Mitte der 80er offiziell auflöste. „Sobald ich mit Mick Jones, Paul Simenon oder Topper Headon auch nur in einem Studio bin“, erzählt Strummer, „heißt das The Clash und gehört Sony.“

Der Ausverkauf wurde ihnen damals übel genommen, war andererseits zu einer Zeit, in der es so gut wie keine Independent-Labels gab, vielleicht unausweichlich, fügt sich aber vor allem hübsch in die Historie der Clash als eine Abfolge von Missverständnissen und unaufgelösten Widersprüchen. So entstand einer ihrer politisch eindeutigsten Tracks nur, weil Strummer sich verhört hatte. Mick Jones, Gitarrist und musikalischer Kopf der Clash, erzählte ihm, er habe einen neuen Song über eine gescheiterte Beziehung geschrieben: „I’m So Bored With You“. Strummers Antwort: „ ‚I’m So Bored With The U.S.A.‘ – das ist ja klasse.“ Fertig war der perfekte Refrain für die nächste Demo gegen den US-Imperialismus.

In der unlängst auf Deutsch erschienenen Biografie „The Music Makers: The Clash“ ist andererseits nachzulesen, wie die ganze Band trotz allem schon immer von Amerika fasziniert war, sich in Vietnamkrieg und US-Kultur vertiefte, schließlich sogar jahrelang in den Staaten lebte. Eine der letzten Ironien der Punkgeschichte: Zur musikalischen Untermalung des Golfkriegs wählte die US-Armee mit „Rock The Casbah“ ausgerechnet einen Clash-Song, der nun garantiert ganz anders gemeint war.

Dank solcher Widersprüche entwickelten sich The Clash stetig weiter, während alle anderen Punkbands sich zu Tode soffen, im Heroin verloren gingen oder sich einfach auflösten. Punkrock machten The Clash eigentlich nur anderthalb Alben lang. Schnell feierten sie jamaikanischen Reggae als wahren Sound der Revolution und stilisierten sich mit Armeehosen und Patronengurten zu Stadtguerrilleros, sie entdeckten Fifties-Rockabilly als rebellische Wurzel des Punk und frisierten sich die Haare mit Gel zur Tolle. The Clash experimentierten mit Rap, Funk und Disco-Rhythmen, als sich die meisten Punks noch damit vergnügten, in Fußgängerzonen Omas zu erschrecken. Schließlich spielten sie sogar Rock – jene Musik, deren selbstzufriedene Saturiertheit auszumerzen Punk nur wenige Jahre zuvor angetreten war.

Heute bezeichnet Strummer seine alte Band als „Poseure“ und „Haargel-Missionare“. Er meint, politisches Engagement sei schon Ende der 70er zum Klischee, zum Witz geworden. „Im ersten Rausch von Punk laberte jeder: ‚Yeah Mann, das ist politisch.‘ Dabei hatte niemand von irgendetwas eine Ahnung, mich eingeschlossen.“ Hinter der mitunter kindlich-naiven Inszenierung, die rückblickend betrachtet sehr viel mehr Humor hatte, als man The Clash und vor allem ihrem ideologischen Anführer Strummer zeitlebens zugestand, blieb die Rebellion trotzdem immer wirkliches Anliegen. Punk sei er noch heute, sagt Strummer, aber seine Definition ist seltsam: „Bei Punk geht es für mich um die richtige Einstellung, kein Brett vorm Kopf zu haben.“ Und was ist mit Pogo tanzen, Leute anspucken, No Future und dem ganzen Kram? Nicht so wichtig, findet Strummer: „Man muss hinter die Oberfläche der Propaganda blicken und Wissen sammeln“, darum gehe es.

The Clash waren, auch wenn Strummer erst Mitte der 80er seinen ersten bunten Irokesenschnitt frisieren ließ, schon 1979 keine Punkband mehr, als mit „London Calling“ ein Album entstand, das ausgerechnet der Rolling Stone, jenes Zentralorgan der Rockbetulichkeit, später in einem Anfall von akuter Dekadenverwirrung zur besten Rockplatte der 80er-Jahre küren sollte. Die Doppelalben, die ein Zusammenkürzen auf die Länge einer einzigen LP nicht bitter nötig gehabt hätten, lassen sich in der Geschichte des Rock ’n’ Roll bequem an einer Hand abzählen. „London Calling“ gehört dazu, obwohl es absurderweise nur deshalb zur Doppel-LP geworden war, so wie das darauf folgende „Sandinista!“ gar als Dreifachalbum konzipiert wurde, weil The Clash glaubten, so schneller aus ihrem über acht Platten laufenden Knebelvertrag herauszukommen. Da hatte aber jemand seinen eigenen Plattenvertrag nicht richtig gelesen.

So kam es zu Strummers nahezu zehnjähriger Arbeitsverweigerung, die er sich mit einem zu Recht untergegangenen ersten Soloversuch namens „Earthquake Weather“, aber auch als Soundtrackkomponist und Schauspieler vertrieb. Seine beste Rolle spielte er in „Mystery Train“ von Jim Jarmusch. Inzwischen hat er aber erkannt, dass „es besser ist, die Schauspieler schauspielern und die Musiker musizieren“ zu lassen. Genau das macht der 51-jährige Diplomatensohn auf „Global A Go-Go“ so überzeugend wie seit Clash-Zeiten nicht mehr. Selten wohl hat sich ein Auslaufmodell so frisch angehört. Nur noch selten erinnert Strummers Band an klassischen Punkrock. Stattdessen adaptiert sie südamerikanische Rhythmen, osteuropäische Melodien und keltische Folk-Einflüsse, um so etwas wie eine Dubversion der späten, experimentelleren Clash abzuliefern. So führt er in gewisser Weise fort, was The Clash begannen, deren Einfluss auf die weitere Entwicklung von Hardcore-Punk und dem Crossover zwischen Hardrock, Funk und HipHop nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Schlussendlich hat man Megasellern wie den Red Hot Chili Peppers oder Limp Bizkit den Weg gewiesen.

Die Botschaft von „Global A Go-Go“, so Strummer, der mit dem Alter zunehmend naiver zu werden scheint, sei es, dass die Menschen lernen müssten, friedlich miteinander zu leben. Diese Botschaft findet sich allerdings weniger in den Texten wieder als in der musikalischen Vielfalt. Die ist Strummers schon immer wild wuchernden Neugier, aber auch dem Entstehungsort der Platte geschuldet. Aufgenommen wurde in Willesden, einem Viertel im Nordosten von London, „wo hundert verschiedene Nationalitäten zusammenleben und man sich schnell daran gewöhnt, in den afrikanischen Lebensmittelladen zu gehen, sich dann eine Tasse somalischen Kaffee zu besorgen und sich indische Hosen zu kaufen“. Dieser Gemischtwarenladen wird zusammengehalten von Strummers Stimme, die einerseits immer noch so verächtlich spucken kann wie früher, sich andererseits aber auch zu jenen eingängigen Chören aufschwingt, wie sie schon The Clash im Überfluss schrieben.

„Global A Go-Go“ dient auch dazu, Strummers Lebensunterhalt zu sichern. Denn auch wenn The Clash von ihrem letzten regulären Album „Combat Rock“ weltweit mehr als vier Millionen Einheiten verkauft haben sollen – bei ihm, so sagt Strummer, sei davon nicht viel gelandet. Nachdem der Clash-Partyknaller „Should I Stay Or Should I Go“ Anfang der 90er gar als Hintergrund für eine Jeanswerbung diente und für ein zwischenzeitliches Hoch in der Kasse sorgte, flossen die Tantiemen seitdem immer spärlicher. Zwar wurden für eine Reunion von The Clash mitunter exorbitante Millionenbeträge geboten. Doch es kam nie so weit, dass sich Strummer, Jones, Simenon und Headon so lächerlich machten wie die ehemaligen Sex-Pistols-Mitstreiter, die verflossenen Ruhm vor ewig gestrigen Nietenlederjackenträgern noch einmal in ein paar Mark umsetzten. Nicht, dass es keine Versuchung gewesen wäre, gibt Strummer zu. Aber „was immer The Clash war, es hatte ein Herz“, und dieses Herz gelte es zu bewahren. Anstatt ihn für pathetisch zu halten, ist man ihm ehrlich dankbar.

Nach all den Jahren voller Enttäuschungen und Peinlichkeiten wohnt der ehemalige Hausbesetzer und Kunststudent mit seiner zweiten Frau Lucinda Tait nun in einer Kleinstadt im beschaulichen Somerset. Dort wundert er sich, wie die Zeit vergangen ist, und manchmal sitzt er vor seinem neuen Computer – auch wenn der Rechner gar nicht angeschaltet ist. „Ich habe sogar Internetanschluss“, flüstert er und beugt sich dabei ein wenig vor, als würde er ein Staatsgeheimnis verraten. Bisher allerdings ist es nur seine Frau, die das Netz benutzt. Strummer beobachtet das Gerät nur, und blickt ihr ab und zu über die Schulter, in die Gegenwart der Zukunft. „Ich begreife das schon noch“, verspricht er aber.

Trotzdem beschleicht ihn manchmal das Gefühl, er stamme aus einer vergangenen Zeit. Unlängst war Joe Strummer drei Wochen lang auf Tour mit The Who, die immer zu seinen großen Vorbildern gehört hatten. Bei dieser Gelegenheit hat er bemerkt, dass es „schwer ist, sich nicht zu fühlen wie ein Rock-Dinosaurier“. Aber auch, dass es auch seine Vorteile hat, ein Dinosaurier zu sein: „Wenn man sich auf jemanden draufsetzt, ist der vollkommen platt.“

Joe Strummer & the Mescaleros: „Global A Go-Go“, Hellcat/Epitaph/Connected. David Quantick: „The Music Makers: The Clash“, Hannibal, 136 Seiten, 20 DM