Die Geschichte von drei schönen Kiewlankinnen

Wir können auch anders

Helena studierte Modedesign und arbeitete daneben als Model für ein Trendmagazin, Tanja hat eine Ausbildung als Marketingmanagerin, und Marina ist so schön, dass sie nie arbeiten musste. Alle drei kommen aus Kiew. 1994 lasen sie unabhängig voneinander eine Kleinanzeige in der ukrainischen Tageszeitung: „Suchen gut aussehende junge Frauen zwischen 18 und 25 als Begleit- und Zimmerservice, bieten gute Verdienstmöglichkeiten.“ Dazu war eine Büroadresse angegeben. Dort lernten sie sich kennen. Ein Mann, Jewgeni, bat sie, sich vorzustellen, um ihre Qualitäten beurteilen zu können. Dann fragte er sie, ob sie bereit wären, nach Deutschland zu reisen. Zwei Wochen später hatte er ihnen bereits Schengen-Visa gültig für drei Monate besorgt.

Am Bahnhof Lichtenberg wartete bereits ein Fahrer, Lionja, mit dem Auto auf sie. Er brachte sie in eine Pension namens „Evi-Club“ am Stuttgarter Platz, wo sie sich ein Zimmer nahmen. Jewgeni und Lionja eröffneten ihnen anschließend, dass sie die angebotenen Servicejobs erst in vier Wochen antreten könnten – und zwar in Freiburg, inzwischen könnten sie aber auch in Berlin gutes Geld verdienen. Dafür müssten sie sich hier im Evi-Club mit Männern treffen. Die Frauen waren von der Idee, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, begeistert, aber die Vorstellung, mit fremden Männern aufs Zimmer zu gehen, machte ihnen Angst. Alle waren sehr aufgeregt. Dass sie die Hälfte ihrer Einnahmen an Jewgenij und Lionja abgeben mussten, schreckte sie nicht ab.

Helena kam schnell zu der Erkenntnis, dass die Tätigkeit im Bordell sie weder weiter voran brachte noch sonderlich reich machte. Sie hatte bis dahin etwa 2.000 Mark für sich verdient, gleichzeitig aber für neue Kleider und erotische Accessoires sowie für Unterkunft und Verpflegung 2.500 Mark ausgegeben. Den beiden anderen ging es ähnlich, und so suchten sie nach einer Möglichkeit, sich in Deutschland selbstständig zu machen – und das ging nur über eine Heirat mit einem deutschen Mann. Dafür ließen sie sich zunächst die nötigen Unterlagen von zu Hause schicken.

Dann bat Helena eine Freundin, die in Köln lebte, ihr einen Mann zu vermitteln. Es war ein guter Bekannter ihrer Freundin, aber er wollte dafür 10.000 Mark haben – und die mussten erst einmal von Helena erarbeitet werden. Tanja lernte ihren zukünftigen Ehemann im Evi-Club kennen – er hatte sich in sie verliebt, und sie tat ebenfalls verliebt. Marina geriet an einen hessischen Bordellbetreiber und Hausbesitzer in Treptow, der ihr erst einen Job als Bardame anbot und ihr dann einen Heiratsantrag machte.

Dann aber fand eine Razzia im Evi-Club statt, und sie landeten auf dem Polizeirevier. Helena besaß bereits eine Bescheinigung vom Standesamt, aufgrund dessen ließ man sie bald wieder frei. Sie fuhr sofort nach Köln, wo sie und ihr Mann Dieter trotz unvollständiger Papiere heirateten.

Tanja bekam einen Eintrag in ihren Reisepass, dass sie binnen zwei Wochen Deutschland zu verlassen hätte. Es gelang ihr jedoch, ihren Mann zu überreden, ihr nach Kiew zu folgen – um die Ehe dort zu schließen.

Nachdem Marina ihren Unternehmer, Martin, geheiratet hatte, gab sie ihren Job hinter der Bar auf und wurde Nurhausfrau.

Nach drei Jahren Ehe bekam Helena eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die ihr eine selbstständige Tätigkeit ermöglichte. Um wieder als Modedesignerin arbeiten zu können, stellte sie eine Mappe mit Entwürfen zusammen, die sie an verschiedene Textilhersteller schickte. Alle winkten jedoch ab. Daraufhin eröffnete sie mit ihrem gesparten Geld zusammen mit einem Freund als Geschäftspartner, Sascha, eine Dessous-Boutique namens „Aquarium“ in Köln. Nachdem sie sich auch noch von ihrem Mann Dieter hatte scheiden lassen, heiratete sie Sascha. Das Geschäft läuft bis heute gut.

Tanja konnte ihren Mann nach einem Jahr nicht mehr ausstehen. Erst betrog sie Heiko, dann ging sie heimlich im Charlottenburger Edelpuff „Bel Ami“ anschaffen. Heiko kam jedoch dahinter und ließ die Ehe annullieren. Tanja wurde abgeschoben. In Kiew stürzte sie sich erst einmal in die Modernisierung ihres Disco-Clubs, den sie seinerzeit mit Heikos Geld gekauft hatte. Nach einem Jahr eröffnete sie an der Dnjepr-Promenade noch einen Strand-Kiosk namens „Walschule“.

Marina ließ sich aus Langeweile von ihrem hessischen Ehemann erst in seine Buchhaltung einweisen. Dann wurde ihr aber diese Büroarbeit zu langweilig. Stattdessen überredete sie Martin, ihr eine Eigentumswohnung in Kiew zu kaufen, die sie teuer renovieren ließ und dann an einen deutschen Botschaftsangestellten vermietete. Wieder zurück in Berlin brachte sie Martins müdes Treptower Bordell in Schwung, indem sie drei Thailänderinnen fand, die fortan den Laden schmissen.

Helena, Tanja und Marina sind eine kleine Minderheit, die es im Westen geschafft hat, wenigstens einen Teil ihrer Träume und Wünsche zu verwirklichen. LILLI BRAND