Die Schönheit der Zündkerze

Das Auto ist Mythos, Kunstgegenstand und Statussymbol in einem. Eine Ausstellung in Baden-Baden geht jetzt noch weiter und behauptet: „Ich bin mein Auto“. Autosarg, Sitzfell-Erotik: Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verwischen immer mehr

von GEORG PATZER

Die neueste Ausstellung der Kunsthalle Baden-Baden ist weitläufig angelegt. Sie beginnt schon zu Hause, auf dem Weg zur Austellung sind wir selbst Teil davon, und wenn wir Pech haben, enden wir so, wie es Tamara Grcić zeigt: als Einzelteile, auseinander gesplittert. Oder, und auch das ist konsequent, wie bei dem Ghanaer Samuel Kane Kwei: im Autosarg. Schließlich gehört es in Afrika zu den Bestattungsritualen, reiche und verehrte Tote in teuren Autos zu beerdigen. Wer es wirklich geschafft hat, bekommt einen Mercedes.

Der berühmte Satz von Descartes gilt heute nicht mehr. Nicht das Denken bestimmt den Menschen, sondern die Fortbewegung, die Rapidität: „Ich fahre, also bin ich.“ Längst ist aus der Mobilität die Auto-Mobilität geworden, die Fähigkeit, sich selbst (auto) ganz automatisch und so schnell wie möglich fortzubewegen: Freie Fahrt für freie Bürger. Das fahrbare Objekt der Begierde ist uns so lieb geworden, dass wir sie nach Frauen oder Tieren nennen: Mercedes oder Carina, Ente oder Jaguar.

Die Kunsthalle Baden-Baden geht sogar noch weiter und behauptet: „Ich bin mein Auto.“ Nach dem erhabenen Nichts des „Big Nothing“ ist dies der zweite Teil einer Reihe über das Thema „Du sollst dir ein Bild machen.“ Sie ist wesentlich spielerischer und pfiffiger gemacht als die letzte, in der sich noch einige pathetische Begriffsillustratoren aus der Konzeptecke fanden, die ein Stück Holz aufhängten und meinten, das wäre ein Lichtstrahl.

Das Tollste ist wohl, dass man in Baden-Baden mit dem Autoscooter fahren kann. In einen kleinen Raum hat die polnische Künstlerin Zuzanna Janin zwei dieser Jahrmarktsautos gestellt. Kindgerecht kann man sich dem allerdings recht bescheidenen Rausch der Geschwindigkeit hingeben, das Nachdenken kommt dann schon automatisch.

Denn auch die sinnliche Erinnerung ist Teil der Ausstellung. Es ging der Kunsthalle nicht um eine Bebilderung von Thesen für oder gegen das Auto, sondern um eine vorsichtige und gradlinige Annäherung an das Staunen, die Fragwürdigkeit, die Faszination, um eine überprüfende Wahrnehmung. Das Auto ist nicht erst seit Roland Barthes’ Begeisterung für den „Citroën DS“ Mythos, Kultgegenstand und Statussymbol in einem. Schön soll die Zündkerze sein, die Picabia als „Porträt eines jungen amerikanischen Mädchens im Zustand der Nacktheit“ ausgab. Mel Ramos antwortet mit einem nackten Mädchen, das sich an so eine Zündkerze anschmiegt, und lässt eine ganze Welt aus Werkstätten und amerikanischen Kleinstädten assoziieren.

Auch Jason Rhoades antwortet auf Picabia mit seinem „Fucking Picabia Cars“. Er setzt dem Surrealisten ein großes, erigiertes Gestänge mit Sitzfellen, Autoreifen und Putzeimern entgegen, auf dem eine CD-ROM-Maschine ständig Bilder von hübschen Mädchen lädt. Der Ladeton wird verstärkt wiedergegeben, es klingt fast wie ein Automotorengeräusch – die Technik vermischt sich vor dem irritierten Zuschauer und -hörer. Oder wir sehen das Bild mit den „Zwei Fiat“ von Gerhard Richter, aber die zwei Fiat sehen wir nicht, weil sie zu schnell fahren und nur noch als verwischte Schemen erkennbar sind. Daneben gibt es Killerautos von Cordula Güdemann, die ihren Angriff fliegen; es gibt sanft auf Kissen und Decken gelegte Schrottteile von Tamara Grcić, oder, besonders hintersinnig durch ihre perfekte Ornamentik, einen Raum von Heinrich Weid mit Delfter Dekortapete und Gusskeramik, in der man auf den zweiten Blick Maschinenmenschen entdeckt, mit Reifen als Beinen, wie Rädchen im unsinnigen Getriebe.

Mit diesen Verwischungen von Sinnlichkeit und Sinnlosigkeit, Angst und Lust, Wiedererkennen und Fremdheit spielt die Ausstellung in vielen Facetten. Sie ist, wie vieles in der Kunsthalle Baden-Baden in der letzten Zeit, klug konzipiert und zurückhaltend, aber präzise präsentiert. Danach rast man zurück über die Autobahn. Oder fährt man jetzt vorsichtiger? Hauptsache, man denkt nicht, man säße noch im Autoscooter. Vielleicht erinnert man sich an das Endlosschleifenvideo von Thomas Demand, das eine Fahrt durch das Modell einer Pariser Unterführung zeigt, immer und immer wieder: Um diese Zeit wäre der 40. Geburtstag von Lady Di gewesen.

„Ich bin mein Auto“, bis 28. 8., Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Der Katalog kostet 38 DM