Pathos aus dem Waschkeller

Jim Jarmusch hat einen Film über Neil Young und seine Band Crazy Horse gedreht: „Year of the Horse“ besteht aus dem üblichen Musikergequatsche und vielen ungeschnittenen Live-Auftritten

Das grobe Korn des Super-8-Materials passt zum rauen Klang der Band

von THOMAS WINKLER

Wenn es einen Moment gibt, in dem Neil Young & Crazy Horse ganz bei sich sind, dann ist es jener Augenblick, in dem sich aus dem berühmten kakophonischen Rückkopplungs-Intro von „Like A Hurricane“ die fast noch berühmtere, glockenhelle Gitarrenmelodie schält. Dieser Moment macht glücklich, immer wieder und wieder aufs Neue. In diesem Moment passiert etwas, das man nicht in Worte fassen kann.

„Year of the Horse“ aber macht sich trotzdem auf, den Augenblick zu ergründen. Jim Jarmusch nahm die S-8-Kamera und ging 1996 mit Crazy Horse auf Tour. Er filmte die Band bei ihren Live-Auftritten, sichtete und verwendete Material aus Neil Youngs Privatarchiv, stellt bei Interviews in einem anonymen Waschkeller immer wieder die Frage nach dem „Geheimnis“ der Band und erntet doch meistens nur das übliche Musikergequatsche von Energie und Emotion und dem Spielen als Einheit und wie speziell all das doch sei.

Die Idee zum Film kam von Young selbst. Er hatte für Jarmusch live in nur einem Take den Soundtrack zu „Dead Man“ eingespielt und Jarmusch im Gegenzug für ihn ein Video zum Song „Big Time“ gedreht und geschnitten. Eines Tages bekam der Filmemacher den Anruf, das Video habe dem Meister gut gefallen. Jetzt solle doch ein ganzer Film in diesem Stile entstehen. Und so geschah es.

Die Grundlage eines jeden guten Neil-Young-Songs ist Pathos. So ist auch Jarmusch, der letzte echte Independent-Filmer des Planeten und demütig seinem Gegenstand verpflichtet, nicht immer gefeit vor Klischees. „Year of the Horse“ beginnt mit einem verschwommen durchs Bild reitenden Indianer und der programmatischen Ankündigung: „Proudly filmed in Super-8“. Das grobe Korn des Amateurmaterials passt natürlich gut zum rauen Klang von Crazy Horse. Mitunter zu gut, aber schön sieht das allemal aus. Die Musik allerdings hat Jarmusch auf 40 digitalen Spuren aufgenommen. Und während manche Interviewaussage abrupt beendet wird, lässt er sich alle Zeit, dem Klang der Band nachzuforschen. Die 13, allesamt live bei Konzerten in Washington, London und im französischen Vienne aufgenommenen Songs sind ungeschnitten, mit all den endlosen Jams und Soli, in den Film übernommen.

Die gnadenlos dokumentarische Herangehensweise wird nur selten aufgegeben: Ein von Jarmusch selbst gestalteter Zeichentrickfilm bleibt ein Fremdkörper, aber dass die Kamera einmal auf einer Spielzeuglokomotive platziert ist und durch eine Miniaturlandschaft fährt, ist zumindest eine hübsche, kleine Anspielung auf Youngs Leidenschaft für Spielzeugeisenbahnen.

Wer aber eine Aufarbeitung der Geschichte von Young und seiner Band erwartet, der sitzt im falschen Film. Nur ein paar wenige Anekdoten werden erzählt. Stattdessen beschimpft Gitarrist Poncho Sampredo immer wieder und nur halb im Scherz Jarmusch als „artsy-fartsy filmmaker“ und bezweifelt, dass man die fast 30 Jahre, die Crazy Horse nun schon existieren, mit Antworten auf „ein paar Fragen erklären“ könne. Nein, „Year of the Horse“ ist der Versuch, einen Film zu machen, der nicht erklärt, sondern dem Rhythmus der Musik von Crazy Horse folgt. Mit wackeliger Handkamera beobachtet er Young, Sampredo, Bassist Billy Talbot, Trommler Ralph Molina und ihre Roadies im Tourbus und auf Flughäfen, beim Kiffen und beim Anzünden von Hoteltischdekoration. Nur selten kann sich Jarmusch über die von Filmen wie „The Last Waltz“ geprägten Konventionen hinwegsetzen. Manchmal aber gelingen ihm dann doch Bilder, die wortlos erzählen: Beim Fototermin mit Paul McCartney reicht es schon, den unangenehm selbstzufriedenen und pausbackig gesunden Exbeatle neben Bassist Talbot zu sehen, der eher an seine eigene Leiche erinnert. Zentrum des Films aber sind ganz eindeutig die oft nur von Kerzen auf der Bühne erleuchteten Konzertaufnahmen. Auch und gerade wegen ihre manchmal ungewohnten, nervenden, nur der Authentizität verpflichteten Länge. Auf der großen Leinwand in grobem Korn kann man nun verfolgen, wie die vier von Crazy Horse ganz locker ihren Titel als die derbste Altherrencombo des Schweinerock verteidigen.

So steht am Ende von „Year of the Horse“ – wie könnte es anders sein – der Moment, der die Band definiert. „Like A Hurricane“ ersteht aus der Rückkopplung, Wohlklang erwächst aus dem Chaos, und der Film findet zwar nicht die Worte, nach denen er suchte, aber doch immerhin die Antwort auf seine Fragen.

„Year of the Horse“, Regie: Jim Jarmusch, USA 1997, 107 Min.