Der Fischer vom Müggelsee

Andreas Thamm ist einer der letzten Berufsfischer Berlins. Fischen geht er im Müggelsee, dem größten See der Stadt, und nachmittags verkauft er die Beute in Köpenick. Sein Lieblingsfisch ist Zander, den isst er am liebsten mit Gemüse und Meerettich

von KATJA BIGALKE

Das Wasser ist spiegelglatt auf der kleinen Müggelspree. Kein Wind bewegt die Stengel der gelben Mummeln, kein Geräusch durchbricht die Stille, Enten dämmern auf dem Wasser. Nur ein Mann ist um sechs Uhr morgens im alten Fischerdorf Rahnsdorf unterwegs. In Jeans, kariertem Hemd und Gummistiefeln steht er am Wasser und blinzelt in die Morgensonne.

Am Ufer fängt die Arbeit von Andreas Thamm an: Er packt Netze, Haken und Plastikeimer in seinen kleinen grünen Kahn. „Da haben schon meine Vorfahren Fische gefangen und verkauft“, sagt er und weist stolz auf das alte Fischergut, das er gerade erstanden hat. Mit den Fischervorfahren verbinden Thamm zwar nur die vier Wände – Thamms Vater war Pfleger. Aber beruflich gibt es eine Linie: Thamm ist der einzige Berliner Berufsfischer mit eigenem Fischladen.

Während Thamm auf den mit 767 Hektar größten Berliner See hinausfährt und Fische fängt, fährt seine Frau nach Köpenick. Dort sorgt sie vormittags mit einem Angestellten für den Fischverkauf in der „Müggelseefischerei“. An diesem Morgen steht sie oben an der Tür zum Garten. Thamm winkt ihr zu und fährt los.

Während er sein Boot an den Inseln „Entenwall“ und „Kelchsecke“ vorbeimanövriert, spricht der sonnengegerbte Mann nicht von Fischen, sondern von „Vermarktung“ und „Wertschöpfung durch Veredelung.“ „Mit der Schönheit ist das immer so ein Ding“, sagt er „man muss wirtschaftlich denken – sonst klappt die Fischerei nicht.“ Dann schweigt er, der Dieselmotor neben ihm rattert, das Boot überquert den Müggelsee.

Am anderen Seeufer drosselt Thamm den Motor und sucht nach kleinen Korkbojen. An denen sind die Stellnetze befestigt, die einen Meter über dem Grund die Fische abfangen.

Jeden Abend stellt er die Netze neu ins Wasser. Je nach Wind an einer anderen Seite des Sees, „so dass die Fische in Richtung Netz schwimmen. Immer dem Futter hinterher.“

Thamm hat die Korkbojen gefunden und macht das Boot fest. Dann zieht er einen Plastikkittel über. Er sieht jetzt aus wie ein Metzger. „Also“, doziert er, „die Hauptfischarten im Müggelsee sind der Zander, der Barsch, der Schlei, der Blei und die Plötze.“

Die hängen nun im Netz. Fisch für Fisch, zieht er das einen Kilometer lange Geflecht aus dem Wasser, entwickelt die darin verfangenen Tiere und wirft sie in einen Plastikeimer. „Für den Zander bekomme ich 16 Mark das Kilo, für den Plötz 2“, sagt er – wieder ganz Geschäftsmann.

Plötze haben rote Flossen, Bleie sind grau und „hochrückig“ und Barsche haben zwei Rückenflossen mit Stachelstrahlen. Sie schimmern im Eimer, schnappen noch nach Luft, dann sind sie tot. Der Netzhaufen daneben wird immer größer. Thamms Fingernägel glänzen silbrig von den Schuppen. „Is nix für zarte Nerven“, sagt er und lacht.

Der 47-jährige Thamm fischt schon seit 27 Jahren auf dem Müggelsee. „Ich kenne hier jede Untiefe“, sagt der eigentliche Herr des Sees. Um ihn herum: Wasser. Keiner da, der sehen kann, dass seine Geschichte und die des Sees zusammengehören.

Mit 14 Jahren hat er in Königswerder eine Ausbildung als Facharbeiter für Binnenfischerei gemacht. „Weil ich gerne geangelt habe und gerne draußen in der Natur war“, kommentiert er die Berufswahl.

Mit 20 ist er bei der Fischereigenossenschaft Köpenick eingestiegen. Nach der Wende hat er sich selbstständig gemacht. Ein Leben immer gleicher Tagesabläufe. Viel verändert hat sich für ihn auch nicht nach der Wende. „Jetzt muss ich mir nur Gedanken um die Vermarktung machen, zu DDR-Zeiten wurde mir das aus der Hand genommen.“ Thamm redet gerne und am liebsten vom Geschäft.

Ein paar romantische Züge kann er dem Fischen aber immer noch abgewinnen: „Ich komme zur Ruhe, wenn ich alleine fischen fahre.“ Langeweile? Kennt er nicht. „Es gibt immer Probleme. „Reusen gehen kaputt, Motoren gehen kaputt.“ Außerdem findet er die Binnenfischerei interessant: „Da gehört ja auch die Zucht dazu, man muss die Zyklen in einem See kennen, man muss wissen, wann die Laichzeiten sind. Für den Zander baue ich Laichplätze auf. Dann müssen einige Fische eingesetzt und andere herausgefischt werden.“

Den Aal zum Beispiel besorgt Thamm bei der zentralen Aalstelle in Hamburg. Seit die Wasserwege mit Schleusen versperrt sind, gelangen die beliebten Tiere nicht mehr von alleine in die Berliner Seen. Die jungen Glasaale werden auf ihrer Reise von der vor Amerika liegenden Sargassosee gen Osten an der europäischen Küste abgefangen und dann zu Millionen von Süßwasserfischern in den Binnengewässern ausgesetzt. Sind sie alt genug, fischen die Fischer die Aale wieder aus dem Wasser. Der Badesee ist Thamms Zuchtbecken. Umgekehrt geht es den Weißfischen, wie dem Blei und den Plötzen. Die typischen Berlin-Fische vermehren sich von selbst zuhauf.

Im Herbst fährt Thamm mit vier Kollegen und seinem kleinen roten Schlepper „Condor“ aus dem Jahr 1927 hinaus und fischt mit dem Schleppnetz die Überpopulation heraus. „Da geht es nicht um Kilos, sondern um Tonnen“, sagt er ganz begeistert. Die drei Kollegen bringen Abwechselung in die sonst sehr einsame Fischerei. Außerdem werden Thamm und Co. vom Fischereiamt für die Weißfischregulierung bezahlt.

Thamm ist am Ende des Netzes angekommen. 50 Kilo schätzt er. Ein paar Zander sind auch dabei, sonst viele Plötze, viele Bleie. Über die Zander freut sich Thamm, weil es die Kundschaft freut und weil es sein Lieblingsfisch ist. Am liebsten isst er ihn im Gemüsebett mit Meerrettich bestrichen.

Er hält die Hände ins Wasser und wäscht sich die Schuppen ab. „Die Leute wissen leider gar nicht mehr, wie man Fisch zubereitet“, sagt er. Das ist zwar einerseits ein Vorteil – er kann mehr Geld nehmen, wenn er den Fisch küchenfertig macht. Andererseits fängt er am meisten Weißfische und die sind auch küchenfertig kein Renner, da sie zu viele Knochen haben. „Die Einzigen, die Plötze oder Bleie noch kaufen, sind die Russlanddeutschen. Die wissen noch, wie man Weißfisch verarbeitet“, sagt er ein bisschen wehmütig. Um Alternativen zu bieten, muss Thamm auch Seefische ankaufen. Außerdem hat er 20 Reusen im See. Mit denen fängt er die Aale.

Aale fangen ist wie ernten: Thamm holt die schlauchartigen Netze mit einem Haken aus dem Wasser und schüttet die Beute in einen Käscher. Wie Aschenputtel greift er nach den „Guten“ – den großen Fischen – und wirft sie in den Fischkasten in der Mitte des Bootes, die „Schlechten“ – die Kleinen – kommen zurück ins Wasser. Thamm hat jetzt mindestens 80 Kilo Fisch. Jetzt geht es zurück zur Dorfstraße 13.

Die ersten Yachten fahren auf den See. Neben den schnittigen Fahrzeugen im Design von Alessi-Toastern macht sich Thamms Fischerboot wie eine Nussschale. Beladen mit drei Eimern voller Fisch fährt Thamm langsam an den in der Müggelspree plantschenden Badeurlaubern vorbei.

Zu Hause angekommen packt er den Fisch in seinen Toyota-Bus und fährt in den Laden in der Bahnhofstraße, wo er den Fang ausnimmt und präpariert. Die gesamte Produktionskette liegt in seinen Händen.

In dem 30er-Jahre-Laden, über dem in alten, geschwungenen Lettern „Fischwaren“ steht, verkauft er selbst im blauweißen Fischerhemd seinen Fisch. Ganz frisch. Den Aal gibt es lebend für 23 Mark. Neben ihm steht die rotbackige Frau Thamm.

Dahinter steht ein Leben ohne Pausen. Für die kleine Fischbeute, die der Müggelsee hergibt, und für die kleine Kundschaft, die den Fisch noch bei Thamms und nicht beim benachbarten „Nordsee“ kauft, müssen die beiden rund ums Jahr arbeiten. Ferien gibt es nur, wenn der Müggelsee zugefroren ist. Und dann reicht die Zeit meist nicht zum Wegfahren. Nur zweimal waren die beiden im Urlaub. Einmal auf den Kanaren, einmal in Florida. „War zwar schön“, sagt Thamm. „Aber da wollt ich nicht alt werden.“ Er möchte auf dem Müggelsee fahren, solange er kann.