Die Freiheit der Einschränkung

Wunderbar durchlässig: Das neue Stück „plan b“ der wee dance company in den Sophiensälen ist ein einziger Flirt

Drei Kinderbilder stehen am Anfang von „plan b“, dem neuen Stück der wee dance company. „Wee“ bedeutet klein, und als sie klein waren, schwenkte die Kalifornierin Sommer Ulrickson die Puschel der Cheerleader, Dan Pelleg lernte in Tel Aviv mit umgelegtem Gebetsschal die Lehren der Schrift, und Marko E. Weigert bekam die Lederhosen für seinen ersten Schuhplattler verpasst. Etwas von dieser Herkunft zitieren sie in ihren Kostümen und mehr noch in ihren Gesten. Und plötzlich spürt man am Grund ihres Tanzes den Jubel und das Gebet versteckt.

Oft kehrt „plan b“ in die Kindheit zurück. Da wetteifern sie in Beschimpfungen, die Kinder andern gerne antun, wenn diese ins Ballett gehen. Das kann man nicht auf sich sitzen lassen, das kann man nur mit Fingerverbiegen kontern. Auch der Traum von der Meerjungfrau, die sich mit sanftem Wellenschlag bewegt, bis sie hart und zweibeinig auf der Erde landet, wird in einem Trio ausgemalt.

Zweimal treten die drei Tänzer am Mikrophon zusammen, um zu singen. Das erste Mal wird dabei aus Hust- und Schneuzgeräuschen, die aus der Richtung des Publikums kommen, ein Rap, dem die drei, die keiner Musik widerstehen können, schließlich folgen müssen. Das zweite Mal singen sie: ein finnisches und ein russisches Liebeslied, ein amerikanisches Wiegenlied, ein Sabbatlied und Gesänge der Renaissance. Erst staunt man, dass sie nach so viel vorausgegangener Bewegung noch den Atem dazu finden, dann ist man begeistert von ihren Stimmen und am Ende hingerissen.

„plan b“ ist pure Verschwendung: Ulrickson, Pelleg und Weigert verschleudern ihre Talente und flirten mit dem Publikum, als wären wir ihnen die allerliebsten. „plan a“ sah eine Low-Budget-Produktion vor, doch weil die Förderung für die wee dance company ausblieb, trat „plan b“ in Kraft. „Wir genießen die Freiheit der Einschränkung“ steht als Motto auf dem Programmheft. Die Energie, mit der sie immer neue Figuren und Formen der Begegnung zu zweit und dritt erfinden, ist auch von dem Trotz angetrieben, sich ohne Produktionsmittel auf der leeren Bühne zu behaupten. Sie haben Bühne und Kostüme, Musik und Video selbst bearbeitet. Da werden zum Beispiel Schubert-Lieder mit einer Collage von fernen Nachrichtentexten unterlegt. Der Tanz nimmt die Intimität der Musik auf und zugleich die Unmöglichkeit, sich mit ihr abzuschotten gegen die Härte der Welt. Die emotionalen und berührenden Szenen werden immer wieder aufgelöst in ironisches Spiel.

„plan b“ ist weniger wie ein Stück aufgebaut, sondern mehr wie eine konzertante Reihung konzipiert. Zusammen hält die Bilder ein Rahmen mit Zirkustusch und Gameshow-Elementen, mit ein wenig Artisten-Nostalgie und sanfter Parodie auf die Unterhaltungskultur heute. Wie bei einer Verlosung wird der Titel des nächsten Stücks aus dem Hut gezogen. Die Verbindung von Unterhaltung mit dem wunderbar durchlässigem Tanzstil der wee dance company ist ungewöhnlich und manchmal auch überflüssig. Aber das kommt wohl davon, wenn man alles geben will. KATRIN BETTINA MÜLLER

„plan b“, in den Sophiensälen, bis 29. Juli und 1.–4. August, jeweils 20 Uhr