Ein Garten der Wissenden

In seinem Film „Das Philosophentreffen“ verfolgt Fritz Boeck die Lebenswege angepasster DDR-Philosophen

Mitte der Fünfzigerjahre hatte der Filmemacher Fritz Boeck Philosophie an der Humboldt-Universität studiert. Zu seinen Kommilitonen gehörten unter anderem Wolf Biermann und Rudolf Bahro, Robert Havemann und Ludwig Harich. In seinem Dokumentarfilm „Das Philosophentreffen“ geht es allerdings nicht um die bekannten Dissidenten, sondern vielmehr um Philosophen, die mehr oder weniger „angepasst“ ihren Weg in der DDR machten. Die Unikarrieren der meisten von ihnen endeten aber Anfang der Neunzigerjahre. Nur Horst Wessel, der Logiker, ist immer noch an der Universität beschäftigt.

Philosophische Fragen werden im „Philosophentreffen“ eher wenig besprochen. Dafür ist ein Film wahrscheinlich auch nicht das geeignete Medium. Mehr geht es um Erinnerungen; wie es war, damals, als die Mitglieder der philosophischen Fakultät mit der Gruppe „Roter Zunder“ Agitprop machten und meinten, mit einfachen Versen – „Wir tragen die Wahrheit von Haus zu Haus und jagen die Lügen zum Fenster hinaus“ – an der Bildung einer besseren Gesellschaft mitwirken zu können. Es wirkt ein bisschen denunziatorisch in dem ansonsten zurückhaltenden Film, derlei Stellen mit flotten Märschen zu unterlegen.

Die Fragen, die Fritz Boeck seinen Exkommilitonen stellt, sind ein wenig unspezifisch. Ob man gläubig gewesen sei? Man habe eher Überzeugungen gehabt, die sich als nicht so tragfähig erwiesen hätten, sagt einer, und man denkt an die radikalen Linken im westdeutschen Universitätsbetrieb, die das Scheitern ihrer Überzeugungen nicht am eigenen Leib miterleben mussten oder die Außenminister wurden und nicht in die Rente geschickt oder die als Renegaten dann ab 1989 mutig die DDR bekämpften.

Schöne Fotos aus den Fünfzigerjahren mit tanzenden Philosophen und FKK-Urlaub an der Ostsee kommen vorbei. Das, was die Philosophen über ihr Leben im Wissenschaftsbetrieb der DDR sagen, ist erwartbar: Man habe oft eher politisch als philosophisch argumentiert, Leute wurden behindert oder verhaftet. Einer spricht von der fatalen Unterscheidung zwischen Avantgarde und dummer Masse und dass es ein großer Fehler gewesen sei, Menschenrechtsfragen als bürgerlichen Krimskrams abzutun.

Schwierig, dem Selbstrechtfertigungszwang zu entgehen. Der Logiker sagt: „Ich habe mein Leben nicht vertan. Ich habe gearbeitet.“ Professor Hahn, der früher auch im ZK war, schreibt Bücher aus Wut gegen die herrschende Ideologie: „Traurig, wenn man zurückblickt, weil ja vieles nicht geklappt hat“, erzählt er, und: „Wir hatten an einem sozialen Großexperiment teilgenommen.“ Er meint, die DDR „lebt ja weiter in den Leuten, ob sie nun wollen oder nicht“. In dem Wissen, dass sie wie jeder vor allem auch Produkt der Verhältnisse sind, in denen sie lebten, und nicht als frei schwebende Autoren Produkt ihrer selbst, scheinen sie den Westlern überlegen.

In seinem Aufsatz vom „anschwellenden Boxgesang“ träumte Botho Strauß von einem Treffen der wenigen Wissenden in einem geschlossenen Garten, in dem die Ritter des Geistes sich fernab des zivilisatorischen Lärms über die eigentlich wichtigen Dinge des Lebens austauschen könnten. Die porträtierten DDR-Philosophen würden vermutlich nicht zu derartigen Treffen geladen werden. Man kann sich auch nicht so recht vorstellen, dass sie sich in Schlössern am Kamin über schwere Dinge einen Kopf machen. Sie wirken stattdessen angenehm normal, wenn sie in ihren Wohnungen, Arbeitszimmern oder auf dem Dach eines Hauses, in dem sie lange Zeit wohnten, von ihren Lebenswegen erzählen.

Am Ende sitzen sie alle zusammen und etwas eng aneinander in der kleinen Hütte eines Philosophen, der aufs Land gegangen ist, und man denkt, dass das sehr schön ist.

DETLEF KUHLBRODT

„Das Philosophentreffen“. Regie: Fritz Boeck. Deutschland 2001, 85 Min.; am 28. und 29. Juli im Central Kino, Rosenthaler Straße, Mitte