Varianten über Wasser und Turm

Kunst an Ausflugsorten – Teil 1: Eine Videoinstallation Ulrike Rosenbachs im Wasserturm Eutin  ■ Von Hajo Schiff

Wälder, Felder und Seen, Schlösser, Kirchen und Gasthöfe: Wer die Reize der Holsteinischen Schweiz im Überblick sehen möchte, steigt schon mal auf einen Aussichtsturm. Ein besonderes Exemplar davon ist der Wasserturm in Eutin. Doch nicht nur der Blick aus 38 Meter Höhe ist dort ausnehmend schön, auch der Turm selbst ist einen Blick wert. 1906 in neugotischen Formen erbaut, ist diese mittelalterlich anmu-tende Stadtkrone nach wie vor ein funktionierender Betrieb der Stadtwerke mit aluminiumglänzenden Fallrohren und großem Wassertank, durch den sich eine schmale Wendeltreppe windet. Aber was manchen arglosen Ausflügler noch mehr verwundert, sind die künstlerischen Interventionen, mit denen seit fünf Jahren die Produzentengalerie „OHa-Kunst e.V.“ den kargen Platz im Turm bespielt.

Bei runden Räumen, spitzbogigen Fenstern und steilen Treppen finden sich hier nicht Malerei und Fotografie, sondern vorwiegend das Thema Wasser und Turm umkreisende Installationen. Da wird direkt auf die Funktion des Turmes referiert, wie mit den meterlangen blauen Objekten, die der Kieler Volker Tiemann aus den oberen Fenstern hängen ließ: Sie schwappten aus dem Turm, wie Wasser, das überläuft. Menschen, die unverdrossen auf einem Damm durch schwere Brandung immer wieder hin- und hergingen, zeigte die dänische Künstlerin Eva Koch in ihrer Videoinstallation „waterwalk“. Und Ingo Gerken ließ den Wasserturm rülpsen und installierte vor einem Jahr deutlich über die Stadt schallende Schluckauf-Geräusche.

Immer wieder findet sich der Turm kreativ verändert: Der Kopenhagener Lichtkünstler Thorbjörn Lausten arbeitete unter dem schweren Wasserbehälter mit Lichtsetzungen und der Schweizer Bildhauer-Professor Hannes Brunner umgab den Turm mit einer Reihe von Satellitenschüsseln, die das Innere mit einer Kaskade von vor sich hinbrabbelndem Weltfernsehen versorgten.

Feldsteine und eine 30 Meter lange Kartoffelrutsche aus Sanitärteilen baute der Findlingsfreund Frank Raendchen ein. Der Eutiner Bildhauer ist auch der tatkräftige Leiter der Produzentengalerie, deren Prinzip es ist, junge Künstler im Wechsel mit überregional bekannten Vorbildern auszustellen: So kamen in die doch relativ kleine Kreisstadt Eutin schon die Fluxuslegende Henning Christiansen, dem gerade der dänische Pavillon auf der Biennale Venedig gewidmet ist, und jetzt Ulrike Rosenbach, die in allen Kunstlexika als die Begründerin der feministischen Videokunst verzeichnet ist. Unter dem Titel NICHTS ÜBERSTÜR Zen hat sie zu ihrem Zyklus über „Amor und Psyche“ eine neue Arbeit installiert.

Zwischen zwei Wasserrohre wurde eine sieben Meter hohe Verspannung aus Bahnen von schwarzem, halbtransparenten Seidenpapier gewunden. Die Bahnen werfen barocke Falten und durch das schwarze Material scheint schwach das Licht. Es scheint, wie die Kölner Künstlerin meint, ein Blick nach innen in die dunkle Seele: „Psyche aber, wandert umher...“, flüstert eine hallende Raumstimme, und aus der Mitte des Seidengewirrs schaut in flackernder Beleuchtung ein schwebendes Gesicht.

Die Videorauminstallation öffnet einen meditativen Blick in mythisch besetzte Zwischenwelten, ein kleiner Monitor im Vordergrund und dessen rotes Kabelknäuel mag den Betrachtern als hilfreicher Ariadnefaden ins Labyrinth des Mythos dienen. Denn per Lauftext ist dort eine Textstelle aus der Lebensgeschichte der vergöttlichten altgriechischen Königstocher Psyche zitiert.

Der von Ulrike Rosenbach aufgegriffene Moment ihrer Geschichte, wie sie der römische Autor Apuleius überliefert hat, hat passenderweise direkt mit einem Turm zu tun: Die neidisch konkurrierende Göttin Aphrodite, Mutter von Psyches Liebhaber Eros, stellt dieser als letzte der immer schwerer werdenden Prüfungen die Aufgabe, ein Schönheitsmittel aus dem Hades zu holen. Verzweifelt über die menschenunmögliche Aufgabe, will sich Psyche von einem Turm stürzen, um schneller in die Unterwelt zu gelangen. Doch das rührt sogar den steinernen Turm. Da in alter Zeit die Dinge noch sprechen konnten, gibt er Psyche zu bedenken, dass der schnelle Weg nicht immer der richtige sei, und entwickelt ruhig einen Plan, der Psyche auch diese Prüfung bestehen lässt. Die stille aber monumental wirkende Arbeit von Ulrike Rosenbach ist die bisher mythischste Intervention, mit der der Verein „OHa-Kunst“ Eutin auch für aktuelle Kunst attraktiv gemacht hat.

OHa-Kunst e.V., Wasserturm Eutin, Bismarckstraße, tägl. 11–14 Uhr + 14.30–17 Uhr; www.oha-kunst-online.de

NICHTS ÜBERSTÜR Zen, Videoinstallation von Ulrike Rosenbach: bis 21. August