Außen Apricot, innen Kloake

Die Moderne im Barock, logofiziert und abgesenkt: Ein Lagebericht aus dem Museumsquartier in Wien, dessen Kürzel MQ sich bereits durchgesetzt hat. Nach der Eröffnung aller Sammlungen im September wird der in 36 Monaten fertig gestellte Gebäudekomplex das größte Kulturzentrum Europas sein

von ROLAND MOTZ

MQ ist überall. Am Flughafen, am Südbahnhof, in den U-Bahnhöfen, selbst vor dem Zentralfriedhof in Wien leuchten die weißen Schriftzeichen auf einem rotem Punkt dem Besucher entgegen. Als ob es dort, weiß Gott, nicht schon genug Unterhaltung gäbe. Aber der Wiener braucht eben nicht nur „a scheene Leich“ (Nestroy), sondern auch Kunst und Musik.

Lange sah es danach aus, als ob auch das Museumsquartier – so der offizielle Name, MQ ist das Logo – in den jahrzehntelangen Rankünen und Intrigen der Wiener Stadtpolitik begraben werden sollte. Doch dann entsprang nach nur 36-monatiger Bauzeit die umstrittene, schon abgeschriebene Karteileiche wie Phönix aus der Asche und versetzte selbst die verwöhnten Wiener in einen Freudenrausch. Alleine 300.000 strömten Ende Juni auf das riesige Areal der ehemaligen Hofstallungen, obwohl mit der Inbetriebnahme der neuen Kunsthalle nur die erste von drei „Eröffnungsetappen“ stattfand.

„20 Jahre Streit und drei Jahre Bauzeit, das macht uns keiner nach“, scherzt Doris Trinker vom Wiener Tourismusverband. Wir sind mit dem Fiaker durch die Hofburg vorgefahren, wie es sich gehört. Zwischen viel Barock hindurch, am Kunsthistorischen und am Naturhistorischen Museum vorbei bis vor die 400 Meter lange, aber eher unauffällige Außenfassade des neuen Museumsareals, das mit einer Fläche von 60.000 qm zu den zehn größten auf der Welt zählt.

Die vom berühmten Barockbaumeister Fischer von Erlach zu Beginn des 18. Jahrhunderts erbauten kaiserlichen Hofstallungen wurden in den Originalfarben restauriert und bilden den äußeren Rahmen des Komplexes. „47/13 ergab die Farbprobe, also ein geschmackiges Apricot mit einem leichten Nusseinschlag, so haben wir es dann gemacht“, erklärt uns stolz der Farbverantwortliche vom Bundesdenkmalamt.

Von den Neubauten selbst sieht man allerdings erst etwas, wenn man den Hof hinter der historischen Front betritt. Zu heftig war der Widerstand – angeführt von der Kronenzeitung, Teilen der ÖVP, Haider & Co – gegen die Pläne der Architekten Laurids und Manfred Ortner, einen 67 Meter hohen Leseturm als klares Zeichen für die Moderne ins Zentrum zu setzen. So mussten die Architekten nicht nur den Turm streichen, sondern auch den weißen Kubusbau für die milliardenschwere Sammlung Leopold und den schwarzen Würfel für die Sammlung Ludwig zur Hälfte in die Erde versenken, damit die Moderne den Barock nicht erschlägt.

Wir dürfen vorab einen Blick in das aus weißem bulgarischem Muschelkalk errichtete, quaderförmige Leopoldmuseum werfen und sind erstaunt über die hohen Wände, die sehr hoch angesetzten Fenster und das viele Tageslicht, das in die mit Eichenholz getäfelten Säle eindringt. Ab September werden hier auf fünf Ebenen und einer Ausstellungsfläche von insgesamt 5.400 qm Meisterwerke von Klimt und Kokoschka, vor allem aber die weltgrößte Egon-Schiele-Sammlung zu sehen sein. Ganz anders das dunkle MUMOK, das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, auf der anderen Seite, zu dem man nicht nur über den großen, noch kahlen riesigen Hauptinnenhof, sondern auch auf einem schmalen Gehweg hinter der ehemaligen Winterreithalle gelangen kann, wo sich die Künstlerwohnungen bzw. Wohnateliers des neu geschaffenen Quartiers 21 befinden. Der anthrazitfarbene „Monolith“ aus deutscher Basaltlava, zu dessen hochgelegenem Foyer eine zehn Meter breite Freitreppe führt, macht mit seinen schmalen Sehschlitzen und der gekrümmten Dachfläche von außen einen strengen, abweisenden Eindruck. Hier wird, ebenfalls ab September, die größte österreichische Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst auf einer Fläche von 4.800 qm zu sehen sein – unter Kunstlicht.

„Wir wollen einen Imagewandel durch das MQ erreichen,“ sagt Doris Trinker im trendig eingerichteten und zwischen MUMOK und der Kunsthalle gelegenen Café Halle. „Wien ist nicht nur die Stadt des Barocks und des Theaters. Wien soll auch als Stadt moderner Kunst positioniert werden.“ Infolgedessen gibt es für das MQ auch keinen Museumsführer, sondern natürlich einen Eventguide. Aber noch hält es sich mit den Events in Grenzen. Sie finden bisher in der neuen Kunsthalle statt, die zusammen mit den gleichzeitig bespielbaren Konzerthallen E und G die ehemalige, mit roten Klinkersteinen restaurierte Winterreithalle ausfüllen.

Die Kunsthalle versteht sich als Werkstatt, als Labor und als „Verhandlungsort“ für die junge, zeitgenössische Kunst und verzichtet daher auf eine auffällige dominierende Architektur. „Wir wollen die Inhalte unterstützen“, meint Gerald Matt, der Chef der neuen Kunsthalle, zu dem funktionalen, zurückhaltenden Bau ganz im Dienst der aktuellen Kunst. Gerade noch hat hinter uns ein ultramodernes Stadtreinigungsgerät mit einem Höllenlärm die Pferdeäpfel von der Ringstraße geräumt. Aber in der neuen Kunsthalle stinkt es ganz eindeutig: „Cloaka“ heißt der bestaunte maschinelle Verdauungsapparat aus sechs gläsernen Bioreaktoren, die mit Schläuchen verbunden sind. Zweimal am Tag wird das Kunstwerk des Belgiers Wim Delvoye, das offensichtlich an Descartes’ Bild vom Menschen als Maschine erinnern will, mit Essensresten aus dem Restaurant gefüttert. Die Wiener haben die Scheiße ins Museum verbannt, könnte man denken.

Aber die moderne Kunst ist weit mehr als ein Abbild der Natur. „Attraktiv irritieren“ will Gerald Matt und dabei den Besuchern eine „zeitgenössische Vitaminspritze“ verpassen. Neben beunruhigenden Bildern und fleischähnlichen Wachsobjekten des 1988 an Aids gestorbenen Paul Thek bestimmen mit Schreckensbotschaften beschriftete, überdimensionale Totenköpfe aus Pappmache die aktuelle Ausstellung, mit der die Kunsthalle Wien als erste Einrichtung des neuen Museumsquartiers in Vollbetrieb ging. Allerdings erscheint das Motto „Eine barocke Party“ etwas aufgesetzt, auch wenn Museumspressereferent Thomas Soraperra meint, der Barock sei nicht nur an den historischen Fassaden gegenwärtig, sondern auch die ausgestellten „künstlerischen Positionen“ seien eine Art Spurensuche nach „barocken Ideen in unserer Zeit“.

Zumindest das moderne Café Halle, in das man als Clou die ehemalige Kaiserloge zur Winterreithalle integriert hat, ist vom jugendlichen Wiener Publikum bereits voll angenommen worden. Es fällt schwer, um die Mittagszeit einen freien Tisch zu ergattern, obwohl das über zwei Ebenen verteilte Caférestaurant mit dem Edelstahl-Design auch über eine große Terrasse im Freien verfügt.

Von der Terrasse, die einen Teil der Freitreppe zum MUMOK einnimmt, hat man einen guten Überblick über das Gesamtareal. Zwei Milliarden Schilling, knapp 300 Millionen DM und damit genau im Kostenplan liegend, wurden in den größten Kulturneubau in der Geschichte Österreichs gesteckt. Entstanden ist mehr als ein Museumsquartier, entstanden ist ein neuer Stadtteil mit zehn verschiedenen Zugängen und einer eigenen U-Bahn-Station, der sich mitten im Zentrum der Stadt zwischen den 1. und den 7. Bezirk geschoben hat und die barocke Kulturmeile Hofburg und das Kneipenviertel Spittelberg einander näher bringt. Wie pulsierend das Leben in dem durchgängig geöffneten neuen Kulturareal sein kann und ob die anvisierte jährliche Besucherzahl von über einer Million erreicht werden kann, wird die nahe Zukunft zeigen, wenn die Restaurants, Cafés, Bars, Museumsshops und Buchläden zwischen den verschiedenen Innenhöfen ihre Rollläden hochziehen. Im September und Oktober öffnen nicht nur die zu Publikumsmagneten auserkorenen Leopold Museum und MUMOK ihre Pforten, sondern auch Tanzquartier, Architekturzentrum, das ZOOM-Kindermuseum und weitere Institutionen.

Vieles spricht dafür, dass die „Revitalisierung“ des lange lieblos als Messegelände genutzten und dann vernachlässigten, brachliegenden Trakts gelingen wird. Das letzte Urteil sprechen die vielen Besucher Wiens und nicht zuletzt die Wiener selbst. „Es wird“, so verspricht Doris Trinker „ab Herbst ein MQ-Allround-Ticket geben“. Wie viel es kosten wird und wie die Einnahmen zwischen den Museen verteilt werden, darüber wird hinter den Kulissen noch heftig gestritten. So ist es in Wien halt seit Jahrhunderten üblich.

Informationen unter: www.mqw.at. Die aktuelle Ausstellung „Eine barocke Party“ dauert noch bis zum 16. September. Eröffnungstermin für das MUMOK ist der 15. September, das Leopold Museum eröffnet am 21. und das ZOOM-Kindermuseum am 29. September.