Die Heimat der Neonazis ist das Netz

Die rechtsradikale Szene nutzt das Internet zu Propagandazwecken. Widerstand ist mühsam, aber erfolgreich

Otto Schily macht sich Sorgen ums Netz. Der Anstieg von Internetseiten mit rechtsradikalen Inhalten im Juli über 1.000 beunruhigt den Innenminister. Deshalb wurde er jüngst in einem Interview viel versprechend: Schily will mit Regierungsvertretern der USA diskutieren, ob „die Urheber rechtsradikaler Websites mit Wirkung auf Deutschland in den USA auf Schadenersatz verklagt werden können.“

Denn die meisten braunen Seiten werden von amerikanischen Providern gehostet. Deshalb können die Betreiber in Deutschland nicht verklagt werden – obwohl sie sich nach deutschem Recht wegen Volksverhetzung strafbar machen. Diese juristische Lücke nutzen die Neonazis aus, legen ihre Inhalte auf einem Server im Ausland ab und schicken derart fast ungehindert rechte Propaganda ins WWW.

Der Schweizer Samuel Althof kennt das Problem. „Ich halte es für fragwürdig, ob Schilys Strategie zum Erfolg führt, da man die wahre Täterschaft nur selten herausfinden kann“, sagt der Sprecher der Vereinigung „Aktion Kinder des Holocaust“, die in mühevoller Kleinarbeit gegen die Verbreitung von Websites mit antisemitischen Inhalten vorgeht. Sie durchforstet das Netz nach verdächtigen Internetauftritten. Ist man fündig geworden, wird beim Provider die Löschung beantragt. „Auf diese Weise haben wir in diesem Jahr rund 300 Seiten entfernt“, sagt Althof.

Momentan sind die Netzaktivisten einem weiteren Trick der Neonazis auf der Spur: dem Redirecting. Dadurch, dass die Homepages mit ausländerfeindlichen Inhalten auf amerikanischen Providern gehostet werden, entstehen ellenlange Adressen wie www.angelfire.com/nh/kok/anfang.htm. Der Betreiber dieser Seite war die Kameradschaft Oespel-Kley, die sich allerdings bei einem Stuttgarter Anbieter die einprägsamere URL www.kameradschaft-ok.de.vu sichern ließ. Von dort wurde der Surfer direkt auf die kameradschaftliche Homepage umgeleitet. Die „Aktion Kinder des Holocaust“ hat nun Strafanzeige gegen den Redirector unter www.de.vu erstattet. „Er lädt die Neonazis quasi ein, seinen Dienst zu missbrauchen“, erklärt Althof, der mit der Anzeige ein Exempel statuieren will. Rund 30 Umleitungen wurden mittlerweile gesperrt – auch die der Kameradschaft Oespel-Kley.

Es ist jedoch ein Kampf gegen Windmühlen, denn die rechtsextreme Szene ist im Cyberspace sehr aktiv und vor allem: sehr versiert. Bereits Anfang der 90er-Jahre hat sie die Möglichkeiten des Netzes erkannt – das Thulenetz ist seit 1993 der Inbegriff für effektive Nazipropaganda im Internet. Und die rechten Computer-Freaks arbeiten meistens unter verschleierten Identitäten. JUTTA HEESS