Nichts ist unmöglich

Der Hit zum Hype: Fischerspooner zielen auf die Auflösung der Grenzen zwischen Clubszene und Kunstbetrieb – und treffen damit einen Nerv

von ANDREAS HARTMANN

Begonnen hat alles vor zwei Jahren. Die New Yorker Performance-Truppe Fischerspooner absolvierte erste Auftritte in Coffeeshops, dann in New Yorker Clubs und schließlich im Tempel des hippen Kunstwesens, dem PS 1. Das Kunstmagazin Index lancierte zudem eine zwölfseitige Interview-Fotostrecke, und bald war der Hype da – zumindest in der Kunstszene. Doch daraufhin hatten Fischerspooner mit dem Song „Emerge“, dessen dazugehöriger Videoclip Teile aus einer ihrer spektakulären Performances zeigt, einen veritablen Clubhit, und plötzlich wurde der Act auch noch für englische Dance-Magazine interessant. Doch wo verorten die sich denn nun, und was wollen sie überhaupt? Wo fängt Kunst an und wo hört Musik auf? Das sind die Fragen, die hier aufgeworfen werden. Und Fischerspooner tun alles dafür, sie nicht endgültig beantworten zu müssen.

Fischerspooner, die im Kern aus Warren Fischer und Casey Spooner bestehen, bei ihren Performances aber bis zum 23-köpfigen Kollektiv anwachsen können, changieren zwischen Clubkultur und Kunstbetrieb, um Ersteres als das viel konservativere System zu entlarven. In der Kunst ist schließlich alles erlaubt, der Kunstbegriff scheint endlos dehnbar – warum also nicht mal eine Camouflage-Performance, bei der eine Horde Paradiesvögel, die einem Adam-Ant-Lookalike- und Glamrock-Contest entsprungen scheinen, zu äußerst angesagtem 80s-Popelectro eine Vollplayback-Show liefern? Alles kein Problem. Für den Club ist das dagegen ungewohnt. Plötzlich soll die Menge sich nicht mehr nur selbst feiern, sondern wieder, wie beim Rockkonzert, einem Treiben auf der Bühne folgen – und dann kommt die Musik dazu auch noch schlicht vom Band?! Das muss die Danceszene erst mal verdauen.

Fischerspooner drehen die eisernen Regeln der elektronischen Musik schlicht um. Für DJs lauteten sie stets: keine unnötigen (Rock-)Posen, nur die Musik zählt. Fischerspooner behaupten dagen, dass es ihnen weniger um die Musik gehe, sondern um das reine Entertainment, um Entertainment als Kunst. Sie stellen sich damit in eine Traditionslinie von Velvet Underground bis hin zu den Sex Pistols, bei denen zumindest zu Anfang ihrer Karrieren auch nicht so recht klar war, wo die Trennlinie zwischen Kunstprojekt und Band verläuft. Und einen, der den Malcolm McLaren mimt, gibt es bei ihnen auch: Es ist der Münchner DJ Hell, bei dessen Gigolo-Label Fischerspooner nach langem Hin und Her gelandet sind. Mit ihnen hat sich Hell offenbar endlich selbst gefunden. In Anlehung an McLarens Film „The Great Rock ’n’ Roll Swindle“ hat er vor kurzem ein Buch mit dem Titel „The Great Gigolo Swindle“ herausgebracht und die klassische Punkästhetik als Corporate Identity für sein Label entdeckt. Wie der echte McLaren damals weiß auch Hell Aufregung künstlich zu erzeugen. Zuletzt hat er die Auslieferung des Fischerspooner-Albums in die Plattenläden verzögert und ihm noch schnell einen neuen Titel verpasst: Statt „# 1“ heißt es nun „The best album ever“.

Bei Fischerspooner herrscht strikte Arbeitsteilung. Warren Fischer ist ausschließlich für die Musik zuständig, während Casey Spooner Showkonzeptor, Entertainer und Künstler ist, seinen Background im experimentellen Theater verankert sieht und zur Musik schlicht nichts zu sagen hat – außer dass er mit Eighties-Elektronikpop, wie ihn Fischerspooner eigentlich produzieren, nichts zu tun haben möchte. Das Ziel solcher Aussagen ist natürlich, für zusätzliche Verwirrung zu sorgen. Dass Fischerspooner durch „Emerge“, ihren klebrigen 80s-Retro-Knaller ganz im Sinne der andauernden Achtziger-Hysterie, in dem Maße allein durch ihre Musik Aufmerksamkeit erregten, muss als Unfall gedeutet werden, vielleicht aber auch als künstlerisch eingeplanter Nebeneffekt. Die längst fertige und jetzt erst offiziell erscheinende CD war bisher jedenfalls nicht mehr als eine Dreingabe zu den Performances.

Das Neue an Fischerspooner liegt darin, den Transfusionsfluss zwischen Clubkultur und Kunstbetrieb umzukehren. So wie sich die Kunstszene bisher eine Frischzellenkur durch Pop besorgt hat, holt sich die Clubszene nun einen längst notwendig gewordenen Aufregungsschub aus dem Kunstsektor. Mit den Performances von Fischerspooner, die sich nie einander gleichen, in denen aber stets Spooner in Fantasy-Kostümen die Lippen bewegt und das Top-of-the-Pops-Showprinzip persifliert, dabei die Menge zum Tanzen animiert, während gefakete Go-go-Tänzer den Rest besorgen, wird der Rahmen des Clubs gesprengt. Er wird zu dem Ideal, das in den Diskursen zur Clubkultur schon immer von ihm entworfen wurde – zum Ort, an dem alles passieren kann.