Fremd im Körper

Hemmungslos: In Berlin wurde Michael Laubs „Total Masala Slammer“ uraufgeführt, eine Hommage an das indische Kino und den indischen Tanz

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Nichts geht ihm über das Fremdsein: im eigenen Körper, in einer Rolle, in der Kultur. Michael Laub, seit zwanzig Jahren Regisseur und Choreograph der Remote Control Productions in New York, ist für sein neues Stück „Total Masala Slammer“ nach Indien gereist, um Koautoren für Tanz, Text und Musik unter indischen Künstlern zu suchen. Einfach war das nicht, denn viele der Meister der tradierten Schulen fürchteten um ihre Authentizität. Das Risiko aber hat sich gelohnt. Herausgekommen ist eine Feier des Hybriden, so spöttisch, überströmend und zärtlich zugleich, wie man es bisher nur aus der Literatur kennt, etwa von den Romanen Salman Rushdies oder der jungen Engländerin Zadie Smith. Noch nie war Indien so sexy und die Liebe so komisch auf der Bühne wie in „Total Masala Slammer“, uraufgeführt im Hebbel-Theater als Auftakt des Berliner Festivals „Tanz im August“.

Fremd im eigenen Körper: Hildigunn Eydfinsdottir, die Laub schon durch die Stoffe von Wedekinds Lulu und Shelleys Frankenstein begleitet hat, kommt von den Färöer-Inseln. In jedes Stück bringt sie ihre Herkunft wie eine nordische Legende ein. Ihre kurze Theorie vom Kulturtransfer beruht auf der Frage „who fucked whom?“. Und weil ihre Großmutter Piraten kannte, liegt ihr das Tanzen im Blut. Sie schüttelt sich im roten Pailettenkleid und jault wie eine alte Schellackplatte.

Fremd im Text: Einmal kommt Stephanie Weymann, Schauspielerin aus New York, mit Kopfhörern auf die Bühne. Sie übermittelt in gebrochenem Englisch einen Text voller Liebesgeständnisse. Man weiß nicht, ob sie der Stimme im Kopfhörer antwortet, ein Lied übersetzt oder eine fremde Sprache lernt. Der Text und die Liebe haben ihr Subjekt verloren. Laub ist ein Meister darin, Texte von ihren Sprechern zu trennen und von hinten anzuschauen, eine immer etwas anzügliche Position. Diesmal benutzt er Auszüge aus den „Leiden des jungen Werther“ von Goethe, die sich prächtig dafür eignen, den Abstand zu den Idealen der romantischen Liebe zu vermessen. Denn es geht in „Total Masala Slammer“ um die unterschiedlichen Ökonomien des Körpers und der Liebe in den Kulturen.

Nichts existiert in so verschwenderischem Übermaße im indischen Kino, der größten Filmindustrie der Welt, wie die Liebe. Laub hält ihrer elementaren Wucht mit dem „Werther“ eine zweihundert Jahre alte und tödlich endende Geschichte ihrer Unterwerfung unter die haushälterischen Tugenden des Bürgertums entgegen. Einmal werfen sich die Tänzer aus Indien und die Männer aus dem Westen in einen Konkurrenzkampf der Gesten, nach den Sternen zu greifen. Den Sieg erringen die Liebhaber Indiens, die das Spektakel nicht nur hemmungslos in den Kitsch hineinjagen, sondern irgendwie auch darüber hinaus.

Vielleicht liegt das daran, dass in Indien selbst die Götter tanzen. Im indischen Kino unterbrechen Tanz und Gesang die Story und entfalten eine Sinnlichkeit, die sich dem Rand gesellschaftlicher und sexueller Tabus anschmiegt und sie verführerisch umspielt. Doch Aufführungen zeitgenössischer Tänzer Indiens finden hier so oft in einem musealen Rahmen statt, dass sie kaum in der Gegenwart ankommen können. Als Europäer weiß man nicht viel von den Bedeutungen der Bewegungen. Das scheint in diesem Stück erstmals egal.

Die Tänze entstammen den Schulen des Kathak, schneller perkussiver Rhythmen, gesungen, getrommelt und mit den nackten Sohlen in die Erde gestoßen, begleitet von Tabla-Spielern, Hindi-Pop und elektronischen Manipulationen. Schellen um die Füße machen jeden Schritt zur antreibenden Musik. Fast auf der Stelle getanzt, lässt er aus einem Minimum an Gesten eine ungeheure Energie hervorsprühen. Sein Feuer durchbricht alle die Schichten der Darstellung und Symbolisierung in den Film- und Theaterzitaten. Die Augen flitzen dabei wie Amors Pfeile hin und her.

Bollywood, das bedeutet Filmkarrieren, die seit fast einem Jahrhundert quer zur kolonialen und zur indischen Gesellschaftsordnung verlaufen und Frauen als Schauspielerinnen die größte Unabhängigkeit und die höchste Verachtung einbringen können. Ihre Geschichte ist Farce und Tragödie zugleich, immer wieder in den Storys der Filme tradiert. Das taucht in den Zutaten auf, die Laubs indische Partner zum Masala-Cocktail beigetragen haben. Eingebaut ist ein Soup-Melodram über die pampige Nandita, die Schauspielerin werden will, und ihren etwas lahmen Freund Subhanka. Gegen ihren Willen zum Aufstieg kommt seine Liebe so wenig an wie ein Schluck kaltes Wasser. Filmsequenzen zeigen den hysterischen Mann auf der Leinwand eines provisorischen Kinos. Das Solo aber, das eine der Tänzerinnen davor aufführt, ist in seiner Souveränität nicht davon zu berühren.