Guben erprobt das Kirchenasyl

Familie Nguyen ist ein Musterbeispiel an Integration. Trotzdem sollen die vier Nguyens morgen nach Vietnam abgeschoben werden. Nun erhalten sie Kirchenasyl – in der Stadt, in der einst ein Algerier zu Tode gehetzt wurde

BERLIN taz ■ Von kurzen Aufenthalten in Vietnam abgesehen, lebt Ba Tan Nguyen seit 22 Jahren in Deutschland. Wenn es nach dem Landratsamt Spree-Neiße geht, soll der mit seiner Familie in Guben wohnende Bauingenieur am Mittwoch abgeschoben werden. Trotz Protesten von SPD und CDU-Kommunalpolitikern und Unterschriften von mehr als 800 Gubenern hielt Landrat Dieter Friese (SPD) gestern an dieser Entscheidung fest. Einen ersten Ausreisetermin am Sonntag hatte die Familie verstreichen lassen und sich stattdessen an die evangelische Kirchengemeinde von Guben gewandt. Die gewährt den Nguyens nun Kirchenasyl. „Wir wünschen uns, dass die Familie bleiben kann“, sagte Pfarrer Rudolf Zörner gegenüber der taz. Für die Gemeinde ist es das erste Kirchenasyl. Mit Hilfe von Privatpersonen wurde die Familie an einem sicheren Ort untergebracht.

Der Pfarrer findet es unverständlich, dass Landrat Friese „seinen Ermessensspielraum in einem Einzelfall nicht nutzt“, der auch bei Landespolitikern Betroffenheit ausgelöst habe. Schließlich sei die Familie Nguyen ein Beispiel gelungener Integration und das Engagement vieler Bürger in diesem Fall ein wichtiges Zeichen „gegen den weitverbreiteten Ruf der Ausländerfeindlichkeit von Guben“.

1973 kam der heute 47-jährige Ba Tan Nguyen zum Architektur- und Bauwesenstudium nach Weimar. Nach erfolgreichem Abschluss arbeitete er drei Jahre in einem Erfurter Kombinat und ging dann nach Vietnam zurück. Ein Doktorrandenstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes führte ihn 1986 an die Technische Hochschule in Aachen. Als promovierter Bauingenieur zog Ba Tan Nguyen Anfang der 90er-Jahre dann gemeinsam mit seiner Familie nach Guben. Der 17-jährige Sohn ist Schülersprecher in der 10. Klasse eines Gubener Gymnasiums, das jüngere Kind wurde in Deutschland geboren. Die Anstellung des Bauingenieurs in einem Ingenieurbüro endete im Juli nur, weil die Ausländerbehörde da schon die so genannte freiwilligen Ausreise angeordnete hatte.

Die aktuelle Altfallregelung gilt für die Familie nicht, da Ba Tan Nguyen zu Studienzwecken nach Deutschland eingereist ist und die Familie in den letzten drei Jahren nur noch eine Duldung bekam. In jüngster Zeit hat der Flüchtlingsrat Brandenburg kritisiert, dass die Altfallregelung in Brandenburg besonders restriktiv gehandhabt würde. Im vergangenen Jahr hatte eine evangelische Kirchengemeinde deshalb einer betroffenen vietnamesischen Familie ebenfalls Kirchenasyl gewährt.

„Wenn das neue Zuwanderungsgesetz schon in Kraft wäre, könnten die Nguyens in Guben bleiben“, meint Pfarrer Zörner. Nun soll das Kirchenasyl den Spielraum für eine Lösung schaffen und die Einsicht beim Landrat fördern. Im Jugendclub „Fabrik e.V.“ werden derweil Spenden gesammelt und Aktionen vorbereitet. Unter anderem soll Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bei seinem Besuch in der Stadt über das Schicksal der Nguyens informiert werden. Und in der Stadtverordnetenversammlung setzt sich eine große Koalition von SPD- und CDU-Parlamentarierern sowie der Bürgermeister für den Verbleib der Familie ein. Nach der fünften Schändung des Mahnmals für den im Februar 1999 in Guben zu Tode gehetzten algerischen Asylbewerber Farid Gouendoul an diesem Wochenende geht es schließlich auch um den guten Ruf der Stadt.

HEIKE KLEFFNER